Die Zahl der Krankschreibungen aufgrund psychischer Leiden ist deutlich gestiegen. In jungen Familien arbeiten zunehmend beide Partner annähernd Vollzeit - bei Alleinerziehenden würde das Gehalt einer Teilzeitstelle meist gar nicht reichen. Sie fühlen sich noch häufiger gestresst als Eltern, die mit ihrem Partner zusammenleben.
Laut Müttergenesungswerk kommen immer mehr Eltern in Beratungsstellen, um sich über Kuren zu informieren. Arbeitgeber sind dazu verpflichtet, gestresste Mütter und Väter für eine vom Arzt verordnete Kur freizustellen.
Zu wenig Zeit für Erziehungsarbeit
«Der Druck ist sehr hoch, die Taktung anders als früher», sagt Antje Krause, Leiterin einer Klinik in Bad Harzburg, die Mütter- und Mütter-Kind-Kuren anbietet. Eltern strebten danach, ihre Familien zu optimieren und ihren Kindern die besten Startchancen zu geben. Im Gespräch mit Freundinnen werde zwar auf die Partner geschimpft oder über die Kinder gestöhnt, wenige Frauen redeten aber über ihre totale Erschöpfung. In der Kur gehe es dann darum, sich auszutauschen und innezuhalten. «Eine Frau erzählte mir am Ende, das Schönste sei gewesen, ihrem Kind in Ruhe beim Spielen zuschauen zu können.»
Silvia Selinger-Hugen, Leiterin von zwei Kliniken auf der Nordsee-Insel Norderney, beobachtet, dass die Erziehungsarbeit nebenher erledigt werden muss, weil oft beide Eltern nahezu Vollzeit arbeiten. «Es muss Zeit für Beziehungen und Zeit für Kommunikation in der Familie bleiben», mahnt sie. Wenn es ein Wertegerüst und gute Beziehungen innerhalb einer Familie gebe, seien die Mitglieder auch stressresistenter.
Die Doppelbelastung von Familie und Beruf sei ein Faktor für erhöhtes Auftreten von Depressionen bei Frauen im Vergleich zu Männern, sagt Anette Kersting, Professorin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig. Dies sei durch Studien gut belegt. Die Haus- und Erziehungsarbeit bleibe meist Frauensache. Gleichzeitig gibt es Untersuchungen, die darauf hinweisen, dass Elternschaft vor psychischen Erkrankungen schützen kann. Die Ärztin betont: «Eltern müssen zwar sehr viel leisten, aber sie bekommen auch sehr viel zurück von ihren Kindern.»