Keine fünf Minuten kann sie sich hinsetzen, schon geht die Ladentür auf. An diesem Tag erst recht, denn die Leute wissen, die bestellten Einkellerungskartoffeln sind da. Zehn Paletten mit je dreißig 25-Kilo-Säcken hat wieder der Bauer aus Marktleuthen im Fichtelgebirge geliefert und die müssen zügig verteilt werden. Charlotte Müller und ihr Mann Wolfgang haken wie jedes Jahr um diese Zeit ihre Liste ab. Weil viele Kunden das zugleich mit dem Einkauf verbinden, fragen sie auch nach Joghurt und Semmeln, nach Schreibwaren oder einer Zeitschrift. Und bringen ein Päckchen oder Briefe gleich mit. Einer entschuldigt sich sogar, weil er nicht wie versprochen am Vortag pünktlich war, das sei nicht seine Art. Seit fast 30 Jahren managt Charlotte das Geschäft, das bereits ihre Mutter betrieben hatte und davor ihre Eltern und deren Eltern. Unter dem Namen Geuther gehört seit 1874 die gleichnamige Bäckerei samt Verkaufsstelle quasi Ewigkeiten zum Inventar des Ortes. Die Bäckerei wurde aufgegeben, der Laden blieb und wandelte sich. Charlotte Müller, eigentlich gelernte Bekleidungsfacharbeiterin, stieg vor fast drei Jahrzehnten ein. Später auch ihr Mann, einst Küchenchef. Der Familie mit zwei Kindern war es nach der Wende wie vielen anderen gegangen - die Betriebe wurden geschlossen, die Beschäftigten mussten sehen, wie es weitergeht.