Geschichtsmesse in Suhl Das ist ja wie früher! Oder?

Prominente Gäste auf dem Podium der Suhler Geschichtsmesse sind am Donnerstagabend Christine Lieberknecht und Bodo Ramelow. Foto: /Michael Reichel

Nach langer Pause lädt die Bundesstiftung Aufarbeitung zur Geschichtsmesse in Suhl. Das Eröffnungsforum am Donnerstag zeigt: Die Debatten sind schwieriger geworden – und es geht mehr denn je um die Zeit nach der Wende.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Die „Spaziergänger“ haben mit ihren Demonstrationen gegen die Corona-Politik die demokratische Kultur unter Rechtfertigungsdruck gesetzt: Was erlauben die sich? Oder besser: Wie viel Protest ist erlaubt? Damit stellt sich gleichzeitig die Frage, was Freiheit in einer Zeit bedeutet, in der Verordnungen die Menschen in einem seit DDR-Zeiten nicht mehr gekannten Ausmaß beschränkt haben. Ist das nicht der Rede wert?

Freiheit ist ein hierzulande so schwieriger wie sensibler, weil durch die politischen Ereignisse der Wende vorbelasteter Begriff – darin sind sich die Gäste der ersten Podiumsdiskussion bei der 14. Geschichtsmesse der Bundesstiftung Aufarbeitung am Donnerstagabend in Suhl einig. Aber die Beschränkung von Freiheit, die sich Menschen einst erkämpft haben, in einer Demokratie weckt unschöne Erinnerungen – an die Diktatur. Diskutiert werden soll also über die „Grenzen der Demokratie“. Jörg Ganzenmüller von der Stiftung Ettersberg zitiert dazu eine landläufige Meinung: „Das ist doch wie früher! Oder?“ Ist es natürlich nicht. Das herauszuarbeiten müht sich zum Beispiel Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), in dem er persönliche Gewissenskonflikte um die Freiheit, sich impfen zu lassen, oder die Freiheit, gegen Corona--Maßnahmen zu protestieren, einräumt: „Da sind auch Verantwortungsträger in der Zwickmühle.“ Überdies seien alle Verordnungen, bei denen die Parlamente ja weitgehend außen vor waren, mit „Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht“ getroffen worden.

Ein eher kritischer Blick

Seine Vorgängerin im Amt, Christine Lieberknecht (CDU), pflegt einen eher kritischen Blick auf die Corona-Politik der vergangenen beiden Jahre. Ihrer eigenen Landeskirche hat die Pastorin ob einer von ihr ausgemachten Untätigkeit, sich in der Pandemie um die Menschen zu kümmern, scharf ins Gewissen geredet. Auch der öffentliche Diskurs, sagt sie, sei immer weiter verrechtlicht und verklausuliert geführt, mithin von vielen Menschen zunehmend als abgehoben und unverständlich, möglicherweise gar bedrohlich wahrgenommen worden: „Was nützt es, wenn der Geist dabei verloren geht?“, fragt Lieberknecht. Wo aber der Ausgleich, die Verständigung mit den Menschen fehle, müsse man sich nicht wundern, wenn eine Gesellschaft in Schieflage gerät und prophezeit: Von der Fachdiskussion wieder herunter zu kommen, sei „ein echtes Problem.“

Die Wahrnehmung einiger, der Staat bevormunde seine Bürger wie zu DDR-Zeiten, will Nancy Aris, die sächsische Landesbeauftragte für die SED-Diktatur, nicht verallgemeinert wissen: Vor allem Jüngere seien diszipliniert gewesen und hätten sich an Regeln gehalten. Gerade das seien aber Menschen, die DDR gar nicht erlebt hätten und denen Unfreiheit á la DDR gar nicht so einfach zu erklären sei. Dennoch zeitigt eine Allensbach-Umfrage das Ergebnis, 45 Prozent der Ostdeutschen wähne sich in einer Schein-Demokratie.

Bei aller Unschärfe dieses Begriffs – die Demokratie an sich lehnen deutlich weniger Ostdeutsche ab, wohl aber sind viele mit ihrer momentanen Performance unzufrieden – sieht Bodo Ramelow darin ein erhebliches Problem. Aber er hat auch eine mögliche Strategie, die soweit weg nicht ist von Christine Lieberknecht: „Es beginnt mit dem Diskurs.“ Wer Widersprüche produziere, sollte darüber reden. Das gelte auch für ihn persönlich: „Ich hätte gerne mit Spaziergängern gesprochen, aber leider wollten die nicht mit mir reden.“

Christine Lieberknecht wiederum hat Sorge, dass Mehrheitsmeinungen alleine den Diskurs bestimmen, und jeder, der etwas anderes sagt, nicht gehört, schlimmstenfalls niedergebrüllt wird: „Also haben Bürger das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden.“ Auch auf die Frage hin, ob im öffentlichen Diskurs, wenn es unbequem wird, zu schnell die Reißleine gezogen, die Debatte abgebrochen wird, hat Lieberknecht eine klare Meinung: „Ich bin für einen eher weiteren Diskussionsraum.“ Einig sind sich am Ende alle darüber, wann Schluss mit Lustig ist: „Die Grenze des Protests sehe ich, wenn es darum geht, die Demokratie zu delegitimieren, anstatt die Politik zu ändern“, sagt Jörg Ganzenmüller.

Messe ausgebucht

Erstmals seit über zwei Jahren lädt die Bundesstiftung Aufarbeitung wieder zur nunmehr 14. Geschichtsmesse nach Suhl. Mit Vorträgen, Diskussionen, Präsentationen und Workshops beschäftigen sich die über 250 Teilnehmer aus ganz Deutschland seit Donnerstag unter der Überschrift „Demokratie unter Druck“ noch bis Samstag mit Freiheit, Protest und Extremismus in Europa nach 1989/90. Im vergangenen Jahr musste das Suhler Traditionstreffen, das immer im Januar stattfindet, pandemiebedingt ausfallen. In diesem Jahr wurde es in den April verschoben. „Das Interesse ist dennoch ungebrochen“, sagt Anna Kaminsky, die Direktorin der Bundesstiftung. Die Tagung sei sofort ausgebucht gewesen. Beschäftigte sich die Messe in den zurückliegenden Jahren vor allem mit DDR-Diktatur und Folgen, rückt nun deutsche und europäische Geschichte nach der Zeitenwende 1989 in den Fokus. Die 15. Messe wird im Januar 2023 im Suhler Ringberghotel stattfinden.

Autor

Bilder