Gedenkfeier auf Point Alpha Helden der Revolution und Lehrlinge der Einheit

„Ich wünsche mir etwas mehr Fröhlichkeit und Zuversicht, wenn wir auf den Mauerfall und die Wiedervereinigung zurückblicken.“ Das sagte der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Sonntag beim Festakt in der Gedenkstätte Point Alpha.

 
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Gut besucht war der traditionelle Festakt am Vorabend des Tages der Deutschen Einheit in der Gedenkstätte Point Alpha. In der Fahrzeughalle blieb am Sonntag kaum ein Platz frei.

Zunächst traf man sich am Denkmal der Deutschen Teilung und Wiedervereinigung zur Kranzniederlegung und zum Eintrag der Ehrengäste in die goldenen Bücher der Stadt Geisa, der Gemeinde Rasdorf und der Point Alpha Stiftung. Kränze legten mit Unterstützung der Kyffhäuser-Kameradschaft nieder die Landtage und die Landesregierungen von Thüringen und Hessen, der Wartburgkreis und der Landkreis Fulda.

Stefan Heck (Stiftungsratsvorsitzender) mahnte: „Freiheit muss gelebt, immer wieder ausbalanciert und insbesondere der jüngeren Generation vermittelt werden.“ Deshalb dürfe die diktatorische Seite des SED-Regimes niemals in Vergessenheit geraten und deshalb sei es nötig, den Menschen politische Bildung an die Hand zu geben – damit sie Demokratie und Diktatur unterscheiden können, insbesondere in Zeiten, in denen sie unzufrieden sind. Die Überwindung der Diktatur und die Erfolge der vergangenen 32 Jahre seien trotz aller Zwistigkeiten Gründe, mit Stolz auf den Tag der Einheit zu blicken. Auch der hessische Innenstaatssekretär Stefan Sauer (CDU) ermutigte, trotz der vielen Krisen nach vorne zu schauen und Kraft zu sammeln. „Wenn wir hier keine Kraft finden, werden wir es auch nicht schaffen, die Gesellschaft zusammenzuhalten“, erklärte er. Die politische Botschaft, die von Point Alpha ausgehe, sei aktueller denn je: Freiheit, Demokratie und Völkerverständigung bekomme man nicht geschenkt, sondern müsse man lernen und sich immer wieder dafür einsetzen.

Demokratie weiterentwickeln

Dorothea Marx (SPD), Vizepräsidentin des Thüringer Landtags, fragte, was man tun könne, wenn heute viele mit der Demokratie fremdeln und äußerte die Hoffnung, dass sich viele Menschen finden, welche die Demokratie als bestes aller Staatssysteme weiter entwickeln, aber auch täglich verteidigen und neu vermitteln wollen. Sie mahnte, das Gedächtnis an früheres Unrecht weiter wach zu halten. Major General Stephen J. Maranian erinnerte daran, dass seit dem im Februar begonnenen russischen Angriffskrieg in der Ukraine Freiheit und Frieden in Europa erneut bedroht seien und die NATO jederzeit bereit sein müsse, das Territorium der ihr angehörenden Länder zu verteidigen. Die Entschlossenheit und Widerstandsfähigkeit der NATO sei größer als je zuvor, erklärte er.

Thomas de Maizière erzählte in seiner Festrede zunächst Anekdoten aus der Zeit, als die Wiedervereinigung Deutschlands verhandelt wurde. So habe sich zum Beispiel eine Arbeitsgruppe damit beschäftigt, wie man den von der Treuhand erwirtschafteten Erlös verwende. Der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) wollte das Geld für die Staatskasse. Die ostdeutschen Vertreter hatten sich hingegen dafür ausgesprochen, den Erlös über ein Sondervermögen der Bevölkerung in den neuen Bundesländern zukommen zu lassen. Einig waren sich beide Seiten, dass ein Erlös von 140 Milliarden D-Mark zu erwarten sei – und somit lagen beide falsch, als am Ende ein Minus von 105 Milliarden Mark herauskam.

„Einigkeit statt Einheit“

Mehrere Wünsche äußerte de Maizière. Einer lautete, die Erwartung an die Einheit herunterzuschrauben. Dass die „innere Einheit in den Köpfen“ vorangebracht werden müsse, dem widersprach er. „Von innerer Einheit zu sprechen, halte ich für romantisiert. In der Nationalhymne ist ja auch nicht von Einheit, sondern von Einigkeit die Rede“, erklärte er. Deutschland sei schon immer ein föderaler Staat, ein Verbund aus Ländern mit eigener Identität und Mentalität gewesen. „Ich finde es nicht schlechter, wenn jemand sagt, ich bin Ost- oder Westdeutscher, als wenn jemand sagt: Ich bin Hesse oder Bayer“, so de Maizière. Viele Menschen in Ostdeutschland hätten das Gefühl, dass es eine Selbstermächtigung westdeutscher Politiker und Medien gab, die Lage in den neuen Bundesländern zu beurteilen und Ratschläge zu geben. „Das gegenseitige Mit-dem-Finger-aufeinander-Zeigen sollten wir uns abgewöhnen, und zwar auf beiden Seiten“, mahnte der Politiker.

Seit 1990 werde auch oft über die „Angleichung der Lebensverhältnisse“ gesprochen. „Das geht von der Annahme aus, dass es überall das gleiche Niveau gibt. Gleich ist aber etwas anderes als gleichwertig. Wir werden in unserem Land keine gleichen Lebensstandards schaffen können, die gibt es in keinem Land auf der Welt“, argumentierte Thomas de Maizière. Er sprach sich dafür aus, dass die Leistungen und Biografien der Menschen in Ostdeutschland anerkannt werden müssen und sie nicht als Menschen zweiter Klasse dastehen wollen. Bei der Wiedervereinigung habe sich für die meisten Menschen in Westdeutschland nur die Postleitzahl geändert, für die Menschen in Ostdeutschland hingegen alles, deren Welt wurde auf den Kopf gestellt – was sie auch gewollt hätten und zwar schnell. „Die Helden der friedlichen Revolution wurden zu Lehrlingen der Einheit“, zitierte de Maizière den früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck. Sein wichtigster Wunsch aber sei etwas mehr Fröhlichkeit und Zuversicht, wenn wir auf Mauerfall und Wiedervereinigung zurückblicken. Er empfahl, Negatives klar zu benennen und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, aber auch Positives herauszustellen und sich darüber zu freuen. „Wenn wir heute etwas von der Fröhlichkeit und dem Glück wiederfinden können, was wir damals empfunden haben, dann wird aus dem 3. Oktober wirklich ein Feiertag“, betonte der Politiker.

Benedikt Stock, Geschäftsführender Vorstand der Point-Alpha-Stiftung, brachte seine Freude darüber zum Ausdruck, dass die Gedenkstätte in diesem Sommer ohne Einschränkungen öffnen durfte. Allerdings seien 23 Prozent weniger Besucher gekommen, als vor der Corona-Zeit. Stock bat die Gäste in der Fahrzeughalle, in ihren Familien und Bekanntenkreisen für die Gedenkstätte zu werben. Ziel sei, die Besucherzahlen wieder auf das Vor-Corona-Niveau zu steigern.

Der Festakt wurde musikalisch umrahmt von der Stadtkapelle Geisa unter Leitung von Stephan Nimmich.

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