Erfurt – Zahlreiche Vertreter der Landespolitik, von zivilgesellschaftlichen Vereinen und ungezählte Privatpersonen haben in Thüringen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Weil wegen der Corona-Pandemie keine großen Gedenkveranstaltungen möglich waren, gedachten der Landtag, die Landesregierung und die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora am Mittwoch in einer gemeinsamen, virtuellen Veranstaltung.
 
Für viele Juden wird die Trauer über die Toten der Shoa und das Leid der Überleben allerdings von Angst vor aktuellen Entwicklungen begleitet – und das nicht nur vor einem seit Jahren bis in die Mitte der Gesellschaft hinreichenden Rechtspopulismus, der auch von antisemitischen Ressentiments lebt. Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde, Reinhard Schramm, kritisiert vor diesem Hintergrund auch, dass antisemitische Äußerungen zunehmend hinter einer Kritik am Staat Israel versteckt werden, dass derartig maskierte Kritik immer weiter um sich greift und sich in Deutschland eine falsch verstandene Toleranz gegenüber solchen Äußerungen zeigt.
 
Nach Ansicht Schramms lässt sich das etwa am Umgang mit der sogenannten BDS-Bewegung ablesen. Sie ruft seit Jahren zum Boykott israelischer Produkte auf. Schon die BDS-Aktionen selbst sieht Schramm ausgesprochen kritisch. „Wenn BDS-Aktivisten in Kaufhäusern und Läden israelische Waren mit dem Aufkleber ‚Kauft nicht!‘ bekleben, erinnert das an die Boykottaktion der Nazis 1933: ‚Kauft nicht bei Juden!‘“, sagt er.
 
Dass der Deutsche Bundestag 2019 in einer Resolution BDS zwar als antisemitisch motiviert verurteilt hatte, Ende 2020 aber die von Künstlern und Wissenschaftlern getragene „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ diese Resolution für falsch erklärte, befremdet Schramm nun noch mehr. Dass diese Initiative behauptet, durch eine „missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs“ würden „wichtige Stimmen beiseite gedrängt und kritische Positionen verzerrt“, hält er wie auch viele andere Juden für Hohn. „Muss der Bundestag auf eine Verurteilung der BDS-Bewegung verzichten, weil sein Beschluss missbräuchlich interpretiert werden könnte?“, fragt er. „Nein, die eindeutige Verurteilung der BDS-Bewegung war überfällig.“
 
Völlig unverständlich sei überhaupt, dass Organisationen, die jüdische Namensgeber haben, zu den Unterstützern der Initiative gehören, wie etwa das Moses-Mendelssohn-Zentrum. Sie sollten „wenigstens mit unseren jüdischen Gemeinden sprechen“, ehe sie derartige Aufrufe unterzeichneten, sagt Schramm.