Freies Wort hilft Mit ALS im eigenen Körper gefangen

Familienzeit ist ein kostbares Gut. Für Katharina Adolph aus Zella-Mehlis ganz besonders, denn die zweifache Mutter lebt mit der Diagnose ALS, die schrittweise ihre Nervenzellen zerstört und ein gemeinsames Familienleben kaum mehr ermöglicht.

 
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Katharina Adolph lebt mit der Diagnose ALS, einer Krankheit, die ihre motorischen Nervenzellen zerstört. Aufgeben kommt für die zweifache Mutter nicht infrage. Foto: ichael Bauroth

Katharina Adolph ist Mutter. Doch so wie andere Mütter kann die 37-Jährige nicht sein. Nie mehr so, wie sich Kinder ihre Mutter wünschen: spontan, fröhlich und vielleicht auch albern, gemeinsam auf Achse, auf dem Spielplatz tobend, die Hausaufgaben meisternd über Wunder der Natur staunend, immer für sie da. Auch Katharina Adolph ist für die dreijährige Alina und den neun Jahre alten Oliver da. Sie sind das Allerwichtigste in ihrem Leben. Und das verlangt ihr Bärenkräfte ab. Für beide versetzt sie immer wieder sinnbildlich Berge, denn jede noch so kleinste Bewegung bedeutet für sie unvorstellbare Anstrengung. Selbst die Bewegung der Zunge, die elementar ist, um Worte zu formen, ist nicht verschont. Die Zella-Mehliserin hat ALS.

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Die drei Buchstaben stehen für Amyotrophe Lateralsklerose, eine neurodegenerative Erkrankung, die die motorischen Nervenzellen betrifft und die diese nach und nach zerstört sowie Muskellähmungen hervorruft. Drei von 100 000 Menschen erkranken europaweit jährlich an ALS, auch der Astrophysiker Stephen Hawking oder der Maler Jörg Immendorff, was das seltene Krankheitsbild mehr in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit rückte. Für Katharina Adolph bedeutete ALS zuerst eine lange Odyssee und inzwischen ein Gefangensein im eigenen Körper.

Dass mit ihr etwas nicht stimmt, bemerkte sie während der zweiten Schwangerschaft. Corona war in aller Munde. Doch bei der Zella-Mehliserin, die damals noch im Café Otto beschäftigt war, wurde eine heftige Grippe diagnostiziert. Vier Wochen lang kam sie nicht wieder auf die Beine. „So schlimm krank war ich noch nie“, erinnert sie sich an den März 2020 zurück.

Gesund wurde sie nicht wieder. Die Familie bemerkte zuerst, dass sich ihr Gangbild änderte. „Ich lief leicht schwankend, so, als ob ich angetrunken wäre und musste mich oft an Hauswänden festhalten“, beschreibt sie, was passierte. Hinzu kam, dass sie überall hängenblieb, auf der Straße ohne sichtbaren Grund stürzte oder Treppen herunterfiel. Der aufgesuchte Orthopäde vermutete einen durch die Schwangerschaft abgedrückten Nerv und riet nach der Geburt zum MRT. Gefunden wurde später nichts. Weiter ging es mit Verdacht auf Multiple Sklerose zum Neurologen. Auch dieser bestätigte sich nicht.

Es folgten weitere Stürze und eine sich weiter verschlechternde Verfassung, die das Gehen nur noch mit Hilfe von Krücken erlaubte. Nach der OP nach erneutem Sturz mit Schulterbruch war auch das Gehen an Krücken nicht mehr möglich, Katharina Adolph blieb nun nur noch der Rollstuhl. Das jedoch mit der Folge, dass sich der Zustand ihrer Beine verschlimmerte. Untersuchungen, Behandlungen, nichts half. Ende 2021 dann die Diagnose ALS, nachdem an einer Hand ein Muskelloch entdeckt wurde, wenig später ein äußerst seltener genetischer Defekt. Seit fast zwei Jahren ist Katharina Adolph regelmäßig in der ALS-Ambulanz der Berliner Charité.

Aufgeben der Selbstständigkeit

Längst war ein selbstständiges Leben im eigenen kleinen Fachwerkhäuschen mit den vielen Treppen in Zella-Mehlis gar nicht mehr möglich. Mit ihrem Sohn zog sie nach Ohrdruf zu ihrer Mutter Andrea Adolph, die die Pflege übernahm und sich zugleich auch um Oliver kümmert, der in Ohrdruf eingeschult wurde. Während Kinder seines Alters unbeschwert Richtung Zukunft schauen, ist er darauf fixiert, zu unterstützen, wo er kann. Er erinnert sich sehr gut an einfachere Zeiten, musste bereits den Tod seines ihm sehr nahe stehenden Opas verkraften und nun hilflos zusehen, wie die Krankheit seiner Mutter voranschreitet.

Oma Andrea, die sich mit 65 Jahren auf ihren wohlverdienten Ruhestand freute, ist praktisch in den nächsten Vollzeit-Dienst gewechselt. Katharina Adolphs Lebensgefährte blieb mit Alina in Zella-Mehlis zurück und kümmert sich als Papa allein um die Tochter, die ihre Mutter nie gesund erlebt hat. Dass die Familie seit zwei Jahren zerrissen ist, zermürbt nicht nur Katharina Adolph, die täglich mit Hilfe zu ihr kommender Physio- und Ergotherapeuten sowie mit Logopäden entschlossen um ein Aufhalten der Symptome kämpft und oft wegen Rehamaßnahmen wochenlang nicht zu Hause ist.

Üben, um das Versteifen zu verhindern

Mit den verkrampften Händen zufassen, das gelingt ihr nicht mehr. Arme und Beine kann sie ohne fremde Hilfe nicht mehr anheben. Dennoch muss sie all das üben, damit die Muskeln in Bewegung bleiben und nicht vollkommen versteifen. Noch vor zwei Jahren schob sie Alina im Kinderwagen, den sie wie einen Rollator nutzte. Längst läuft die Kleine der Mutter davon, der inzwischen die Feinmotorik komplett ausgefallen ist. „Das macht mich wahnsinnig, denn nichts geht mehr.“ Selbst das Essen ist problematisch, da eine Hand die andere zitternde, kraftlose festhalten muss. Seit einem Jahr sind Ausfälle auch beim Sprechen da. Das geht nur noch langsam und erfordert höchste Anstrengung. Bei Aufregung und Stress funktioniert gar nichts. „Es ist fürchterlich, wenn man sich ausdrücken möchte und es nicht kann“, beschreibt Katharina Adolph ihre Situation.

In einer geschrumpften Welt

Sorge bereitet ihr, dass sie alles in andere Hände legen muss, auch das, worum sich Mütter eben kümmern. Nirgends kann sie dabei sein, denn ohne fremde Hilfe kommt sie nicht aus ihrem hübsch eingerichteten Zimmer, das zu ihrer klein geschrumpften Welt geworden ist. Zugang zur großen, kaum mehr erreichbaren, bietet ihr der Rechner. Auch wenn sie sehr froh ist, ihre Mutter an der Seite zu wissen, die sie pflegt, weiß sie auch, welche Last sie zu tragen hat. Nichts wünschte sie sich mehr, als ihr diese nehmen und mehr unbeschwerte Zeit mit der gesamten Familie verbringen zu können. Anfangs fuhr Andrea Adolph ihre Tochter Katharina noch nach Zella-Mehlis. Doch körperlich ist das für beide nicht mehr zu leisten. Ihr Partner versucht indes mit der kleinen Alina für gemeinsame Zeit nach Ohrdruf zu kommen.

Das Schicksal der wegen der Krankheit getrennten Familie ist bewegend. Besonders ist es der Mut von Katharina Adolph, die für ihre Kinder kämpft und dabei für sie ihren Optimismus bewahrt, auch an Tagen, an denen es ihr mental nicht gut geht. Da es ihre Stimme noch vermag, hat sie ein Hörbuch für sie gegen das Vergessen aufgenommen. Sie weiß, dass ihre Kinder ihre Mutti früher als andere verlieren werden. Auch deswegen ist Zeit für Familie Adolph ein so kostbares Gut.

Der Verein „Freies Wort hilft“ kann mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, gemeinsame Familienzeit schaffen. Das ist möglich durch Spenden, die zu allen SOS-Veranstaltungen in Suhl an der Fotobox abgegeben werden oder auf das Vereinskonto eingezahlt werden können.

Wer spenden möchte bitte an:

Freies Wort hilft e.V.

Verwendungszweck: K. Adolph, ALS

IBAN: DE39 840500 00 1705 017 017

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