Hilfsaktion nach Moped-Drama Eisfelder Familie kämpft um ihre Tochter

Nach einem Mopedunfall liegt die 16-jährige Fiona im Wachkoma – in einer Klinik am anderen Ende der Republik. Ihre Familie tut alles, damit sie wieder nach Hause kommen kann. Doch es gibt Hindernisse.

 
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Die erste Spende auf dem Konto von Freies-Wort-hilft für Fiona stammt vom Kreissportbund. Aus der Advents-Aktion „Kicken für Kinder“ gehen 591 Euro an Fiona. KSB-Geschäftsführer Ulrich Hofmann (links) überreicht den symbolischen Scheck an Stefan Blümig. Foto:  

Es ist der 13. September. Ein schöner Tag. Fiona freut sich. Die 16-Jährige aus Eisfeld darf ihren allerersten Ausflug mit ihrem Freund aus dem benachbarten Waffenrod machen. Mit dem Moped. Ihre Beziehung ist taufrisch, der junge Mann hat ausdauernd darum gekämpft. Sie sitzt, hat den Helm auf – und los geht’s. Gegen halb, dreiviertel acht sitzt die Familie draußen, alles ist vorbereitet zum Grillen. Fiona müsste gleich kommen. Sirenen sind zu hören, kurz darauf landet ein Hubschrauber keinen Kilometer Luftlinie vom Haus der Blümigs entfernt. Wenig später kommt ein Anruf: Fiona und ihr Freund sind verunglückt. Von einer auf die andere Sekunde ist bei Familie Blümig nichts mehr, wie es war. „Man denkt immer, das passiert nur anderen“, sagt Stefan Blümig. Der 48-Jährige, der sonst so gefasst ist, kann sich nicht mehr halten. Die Tränen laufen, während er all das, was weiter passiert ist, Revue passieren lässt. Die beiden Hunde Murphy und Urmel kommen, legen ihre Schnauzen auf seine Beine, als spürten sie, dass er Trost braucht. Wären sie und Kater Loki nicht, wäre ihm „schon längst die Decke auf den Kopf gefallen“, gibt er zu.

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Er erzählt weiter: Er und seine Frau Anne sind sofort zur Unfallstelle gefahren. „Fiona lag noch auf der Straße – und die junge Notärztin telefonierte.“ Stiefvater und Mutter müssen mitanhören, wie ein Krankenhaus nach dem anderen die Aufnahme ihres Kindes verweigert. „Jeder soll das wissen. Fiona nützt es zwar nichts mehr, doch vielleicht hilft man damit anderen, die zwischen Leben und Tod schweben. Da muss sich etwas ändern.“

Schweres Schädel-Hirn-Trauma, Hirnblutungen – jede Sekunde zählt. Doch Fiona liegt eine gefühlte Ewigkeit da, bis sie schließlich im Rettungshubschrauber nach Suhl geflogen wird. Dort angekommen heißt es, sie könne dort nicht operiert werden. Das Krankenhaus kann Fiona nicht helfen, weil es keine Neurochirurgie gibt. Sie wird umgelagert – in einen Rettungswagen – und ihre Reise geht auf vier Rädern weiter. Die Minuten verrinnen. Es werden Stunden. Ziel: Erfurt. „Der Hubschrauber hat Nachtflugverbot, wurde uns gesagt“, erinnert sich Stiefvater Stefan Blümig. Er schüttelt den Kopf. Acht bis zehn Minuten länger hätte er bis nach Erfurt gebraucht. „ Acht bis zehn Minuten, die die Chancen von Fiona wesentlich verbessert hätten“, sagt er und schüttelt den Kopf. Alles, was schiefgehen konnte, ist schiefgegangen.

Fiona wird operiert – mehrfach. Das Stammhirn ist verletzt – durch den enormen Schädeldruck. „Es war lange nicht klar, ob sie’s packt“, sagt Stefan Blümig. Seine Frau Anne sitzt an Fionas Bett – und sie ist bereit, ihre Kleine gehen zu lassen, sagt ihr: „Mäuschen, wenn du gehen willst, dann geh, wenn du dich aber entscheidest zu bleiben, dann kämpfe, verdammt noch mal!“

Bei einem Ausflug vor dem Unglück: Fiona, ihr Stiefbruder Leonard, Stefan und Anne Blümig sind eine glückliche Familie. Foto: Privat

Fiona hat sich fürs Leben entschieden, während in Eisfeld eine Dreier-WG gemeinsam hofft und bangt. Ihr Papa Jochen Stemig ist gekommen. „Unser Verhältnis ist sehr gut – und er kümmert sich. Auch in Zukunft wird er uns helfen“, erzählt Stefan Blümig.

Mittlerweile liegt Fiona im Wachkoma – in der Rehaklinik im nordrhein-westfälischen Hattingen. Und Mama Anne lässt ihre Kämpferin nicht aus den Augen, schläft im Nachbarbett, ist immer an ihrer Seite. Selten gönnt sie sich ein Pause – wenn doch, ist Jochen zur Stelle. Anne Blümig lässt sich zur Pflegekraft „ausbilden“, schaut genau hin, fragt nach – lernt. Ob Fiona allerdings weiß, dass Mama Mama ist? Stefan Blümig zieht die Schultern nach oben. Er weiß es nicht. „Vielleicht kann sie es uns irgendwann ja mal sagen. Wir gehen fest davon aus, dass sie etwas mitbekommt, aber was, das ist fraglich.“

Ein handgroßes Stück Schädelplatte hatte man dem Mädchen in Erfurt entnommen. Um dem Gehirn mehr Platz zu geben. Nun soll es wieder eingesetzt werden. Doch so einfach ist das nicht. Die Hattinger wollen sich zwar bemühen, das Stück Schädelplatte in die Essener Uniklinik zu holen, um Fiona die weite Reise nach Erfurt zu ersparen. Doch ob es gelingt, steht in den Sternen. „Da spielen höchstwahrscheinlich wirtschaftliche Aspekte eine Rolle. Ich habe mich nie mit dem medizinischen Versorgungssystem auseinandergesetzt. Aber ich weiß mittlerweile, es gibt großen Optimierungsbedarf!“

Stefan Blümig lässt all das, was nach dem Unfall passiert ist, nicht los. Die Familie hat eine Zweitmeinung eingeholt und weiß mittlerweile, dass vieles nicht gepasst hat. Legt man willkürlich zehn verschiedene Scheiben Schweizer Käse übereinander, ist es unwahrscheinlich, dass ein Löchlein durchgängig ist. Aber Fiona ist durch genau so ein Loch gefallen. „Sie ist ein zartes Wesen, aber körperlich sehr fit, kernig unterwegs und ich bin der festen Meinung, sie bekommt es hin, so gut, wie es werden kann. Sie ist unser Phönix“, sagt er. Und es klingt, als spräche er sich Mut zu.

Die Rehabilitation hat für Fiona begonnen, ihre Atmung wird, nachdem nun die Trachialkanüle entfernt wurde, zusehends stabiler. Und solange sie Fortschritte macht, kann die 16-Jährige in Hattingen bleiben. Die Übungseinheiten zeigen eine Entwicklung, die alle hoffen lässt.

Über Weihnachten jedoch hatte sie offensichtlich entschieden, nicht mehr mitmachen zu wollen. Es liegt auf der Hand, warum, meint Stefan Blümig. „Wer hat schon Bock, die Weihnachtszeit im Krankenhaus zu verbringen? Fiona offensichtlich nicht.“ Doch die Phase sei vorbei.

„Ich weiß mittlerweile, was das Wort unfassbar bedeutet“, sagt Stefan Blümig, der mittlerweile allein im Häuschen in Eisfeld wohnt, das die Patchwork-Familie vor etwa fünf Jahren gekauft und seitdem Stück für Stück renoviert hat. Tägliche Telefonate, regelmäßige Besuche in Hattingen und Homeoffice prägen seinen Alltag. Und Grübeln. Immer wieder fährt er an der Unfallstelle vorbei, versucht sich vorzustellen, wie alles passiert ist. Und immer wieder tun sich neue Fragen auf. „Mir ist eines aber ganz wichtig: Niemand macht ihrem Freund einen Vorwurf. So eine Scheiße passiert eben.“ Dennoch würde er sich Aufklärung wünschen. Doch von der Polizei hat er bisher nichts gehört. Und auch die Versicherungen tun sich schwer, die Schuldfrage zu definieren. Die Kosten aber, die sind da – und es werden täglich mehr.

Vor der Familie türmt sich ein riesengroßer, schier unüberschaubarer Berg auf. Ein spezieller Rollstuhl muss angeschafft werden – um Fiona, wenn sie dann nach Hause kommt, fahren zu können. Ein Auto, möglichst ein Kleinbus, ausgestattet mit allem, was Rollstuhlfahrer brauchen, muss gekauft werden. Und auch Zuhause stehen Veränderungen an. Die Familie denkt über einen Umzug in die Nähe von Anne Blümigs Heimatstadt Wuppertal nach. Dort sind ihre Eltern zu Hause, in Bonn studiert ihr großer Sohn Luca (25 Jahre) Politikwissenschaft – und auch Stefan Blümigs 13-jähriger Sohn Leonard wohnt nicht weit weg. Doch überstürzen wollen sie nichts. Denn auch ihr Haus muss erst einmal verkauft werden. „Es ist also durchaus möglich, dass Fiona erst einmal nach Eisfeld kommt. Und dann muss das Erdgeschoss hier umgebaut werden.“ Doch auch hier hat Stefan Blümig schon Lösungen parat. Er, der aus dem Verlagswesen kommt, im Landschaftsbau tätig war und nun den Vertrieb für ein Start-up, das Outdoor-Geräte für Kinderspielplätze produziert, in Deutschland, Österreich und der Schweiz aufbaut, ist ein Praktiker. „Das Bad müsste reaktiviert und behindertengerecht eingerichtet werden. Die Absätze zwischen Küche, Flur und Wohnzimmer müssten verschwinden – und das Wohnzimmer soll dann Fionas Reich werden.“ Doch Umbauten sind nötig.

Stefan Blümig stürzt sich in die Arbeit, denn er weiß, er muss überzeugen. Er wird auf kurz oder lang der einzige Verdiener der Familie sein. Seine Frau, die in der Lohnbuchhaltung und Personalabteilung der Firma Kapp in Coburg gearbeitet hat und bisher freigestellt ist, wird perspektivisch zu hundert Prozent für Fiona da sein.

Für die Familie ist die Situation eine Zerreißprobe. „Eine solche Situation hat das Potenzial, Familien auseinanderzutreiben. Doch ich entdecke Seiten an meiner Frau, die meine Liebe zu ihr nur noch größer werden lassen.“ Einmal im Monat besucht er Fiona und Anne in der Klinik. Vor Kurzem waren auch Murphy und Urmel dabei – und haben sofort Fionas Nähe gesucht. Kurz nach Weihnachten sei seine Frau für drei Tage bei ihm gewesen – in Eisfeld. Wann sie das nächste Mal kommt? „Vielleicht zu Ostern.“

Die Hirnschwellung bei Fiona ist abgeklungen, aber der Regenerationsprozess wird noch sehr lange andauern. Doch klar ist heute schon: Wenn sie wieder aufwacht, wird sie nicht dieselbe sein. Ihr Leben wird nicht das von ihr erträumte, sondern ein komplett anderes werden. Sie wird immer auf Hilfe angewiesen sein. „Bei Fiona werden jetzt die Schmerzpflaster abgesetzt. Was dann wird, muss die Zeit zeigen.“ Manchmal reagiert sie auf Aufforderungen, zieht ihr Knie im Bett hoch, spannt die Muskeln an. Nur sie selbst kann momentan entscheiden, ob und wie sie mitarbeitet. Große Hoffnung setzt die Familie auf die anstehende OP, bei der der Schädel wiederhergestellt wird. „Vielleicht merkt der Körper dann, dass er wieder komplett ist und kann anfangen, noch mehr Gas zu geben.“

Gas gegeben haben auch Bekannte und Freunde der Familie. Stefan Blümig hat viel Zuspruch erfahren. Dafür sind sie alle unglaublich dankbar. Und auch der Verein Freies Wort hilft wird in dieser unfassbar schweren Zeit versuchen zu helfen. Über 3000 Euro Soforthilfe kann die Familie verfügen. Und eine Spendenaktion ist angekurbelt – um ein klein wenig zu helfen bei den Ausgaben, die auf die Blümigs zukommen.

Freies Wort hilft

Spenden
Wenn Sie, liebe Leser, die Familie unterstützen wollen, können Sie auf das Konto des Hilfswerks der Heimatzeitungen „Freies Wort hilft – Miteinander-Füreinander“ spenden. Das Geld wird 1:1 auf das Konto der Familie überwiesen. Stichwort: „Fiona“Konto: Rhön-Rennsteig-Sparkasse DE39 8405 0000 1705 0170 17.