Die Mohammeds haben 2015 die Flucht aus Syrien überlebt und sich in Barchfeld (Wartburgkreis) ein neues Leben aufgebaut. Nun ist der Familienvater Nihad plötzlich gestorben. Zur tiefen Trauer über den Verlust kommen große finanzielle Sorgen. Ein Fall für „Freies Wort hilft“.
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Er war ein fleißiger Mann, sagen die, die ihn kannten. Neben seinem Beruf als Tischler in einer Immelborner Firma hat Nihad Mohammed nahezu rund um die Uhr an seinem kleinen Häuschen in Barchfeld gebaut. Sich nicht geschont. Erst als die Schmerzen zu stark wurden, ging er zum Arzt. Zu spät. Vor wenigen Wochen ist der Syrer gestorben. 52 Jahre wurde er alt.
Zurück lässt er seine Frau Aiyscha und drei Töchter: die 12-jährige Tala, die 15-jährige Jana und die 23-jährige Joudy. Seine Familie, die er nie im Stich lassen wollte. Auch nicht 2014, als der Krieg in Syrien – damals lebten die Mohammeds in der Hauptstadt Aleppo – zur Bedrohung für die Familie wurde. Denn sie sind Kurden, eine ethnische Minderheit, die einen Teil der Opposition in dem Land bilden. Und die in Syrien um ihr Leben fürchten müssen.
Monatelange Odyssee
Und so begann eine Fluchtgeschichte, die zynisch als klassisch bezeichnet werden könnte. Wenn die Mutter und ihre drei Töchter davon erzählen, kann man nur erahnen, was diese Monate in ihren Seelen für Narben hinterlassen haben müssen. Sie sitzen im Wohnzimmer ihres kleines Hauses in Barchfeld und malen ein Bild von der monatelangen Odyssee, die meiste Zeit zu Fuß – Wind und Wetter schutzlos ausgeliefert. Von Syrien ging es in die Türkei, „wo wir an der Grenze tagelang im Wald geblieben sind“, erzählt Joudy, die älteste Tochter in akzentfreiem Deutsch. 13 Jahre war sie damals. Von Schleusern in ein überfülltes Schlauchboot gesetzt, ging es schließlich von der Türkei nach Griechenland – das kostete die Familie ihr gesamtes Erspartes. „Wir haben gesehen, wie die Menschen ertrunken sind – die paar Stunden auf dem Meer waren gefühlt wie Monate“, sagt Joudy. Auf einer griechischen Insel – welche das war, wissen die Mohammeds nicht mehr – kamen sie schließlich an.
Doch zu Ende war die Odyssee noch lange nicht. Über Griechenland und die Balkanroute lief die Familie schließlich bis nach Österreich, wo sie in einen Zug nach München gesetzt wurde. „Wir wollten nach Deutschland, denn ein Bruder meiner Mutter kam schon früher nach Dortmund“, sagt die 23-Jährige. Die Mohammeds landeten jedoch nicht in Nordrhein-Westfalen, sondern in verschiedenen Thüringer Flüchtlingsunterkünften und schließlich in der ehemaligen Schule in Barchfeld, die der Landkreis kurzfristig zur Notunterkunft umfunktioniert hatte.
Die einzigen, die geblieben sind
Mit nichts außer dem, was sie am Leibe trugen, kam die Familie in dem Werradorf an.
Vier von ihnen sitzen heute im hübsch eingerichteten Wohnzimmer ihres kleinen Häuschens, das vermutlich weit mehr als 100 Jahre alt ist. Die Geschichte der Familie ist auch eine Geschichte von Hoffnung – auf ein neues Leben in einem friedlichen Land – und eine Geschichte von Fleiß – für dieses Leben selbst etwas zu tun. Bei ihnen sitzt Heike Klinzing. Die Barchfelderin engagierte sich damals in der Flüchtlingshilfe und es entwickelte sich eine Freundschaft zu den Mohammeds. „Sie sind auch die einzigen, die in Barchfeld geblieben sind“, sagt sie.
Nihad, gelernter Tischler und sehr geschickt in seinem Beruf, habe schnell angefangen zu arbeiten. „Erst in Teilzeit, weil er nebenbei noch einen Deutschkurs absolviert hat, dann aber in Vollzeit“, erzählt Joudy. Seiner Frau, der gelernten Krankenschwester, sei der berufliche Einstieg schwerer gefallen, auch wegen des Kopftuches, das die gläubige Muslima trägt. Angefeindet worden sei ihre Mutter, berichten die Töchter. Das habe ihnen allen das Herz zerrissen. Dennoch habe sie weitergearbeitet – Tätigkeiten für niedrig Qualifizierte ausgeübt, obwohl sie doch eigentlich eine Fachkraft ist. Rassismus ist etwas, das die Mohammeds im Laufe der Jahre immer wieder erlebt haben. Abgestempelt zu werden, wegen des Namens oder Äußeren. Verbittert wirken sie dennoch nicht, sondern dankbar für ein Leben in Frieden.
Die beiden älteren Mädchen gingen schnell zur Schule, die Jüngste in den Kindergarten. Inzwischen besucht sie die 6. Klasse. Joudy, die eigentlich studieren wollte, begann in einer Erfurter Apotheke eine Ausbildung zur pharmazeutisch-technischen Assistentin, die sie aktuell gerade abschließt. Die Mädchen integrierten sich, trotz häufiger Rückschläge. Joudy beispielsweise konnte ihre Prüfung in Erfurt 2023 nicht ablegen, weil sie nur geduldet war und keinen Aufenthaltstitel trug. Inzwischen hat sie das dauerhafte Bleiberecht. Die mittlere Tochter Jana engagiert sich im CDU-Ortsverband von Barchfeld-Immelborn.
Zum Hauskauf überredet
„Wir wussten, wir können nicht zurück, also wollten wir uns hier etwas aufbauen“, sagt Joudy. Und so kaufte die Familie im vergangenen Jahr das kleine Haus in Barchfeld. „Meine Papa wollte eigentlich nicht, aber ich habe ihn überredet“, sagt Joudy. Die 23-Jährige übernahm früh die Rolle der Familienmanagerin – bis heute. Die teure Miete von mehr als 1000 Euro könne man auch sinnvoller investieren, befand sie.
Kurze Zeit schien alles perfekt
Einen Kredit für das sanierungsbedürftige Eigenheim zu bekommen, war kein Problem. Die Mohammeds standen ja in Lohn und Brot. Und für eine kurze Zeit schien alles perfekt. In jeder freien Minute werkelte der Familienvater an dem Häuschen – baute nach und nach die Zimmer aus. „Immer so, wie Geld da war“, erzählt Joudy. Fertig wurde er nicht.
Anfang des Jahres kamen Schmerzen, die Nihad irgendwann nicht mehr ignorieren konnte. Damals war seine Frau gerade zur Reha in Bad Liebenstein, weil bei ihr eine schwere Diabetes diagnostiziert worden war. Nihad kam ins Krankenhaus, und dort war sehr schnell klar: Die Prognose ist mehr als düster. Der Krebs hat in seinem Körper unbemerkt gewütet – eine Behandlung war nicht mehr möglich. Wenige Wochen danach war er tot.
Zurück bleiben eine Witwe und die drei Mädchen – fassungslos und voller Trauer über den Verlust des geliebten Mannes und Vaters. Hinzu kommen finanzielle Sorgen. Der Hauskredit muss getilgt, ein ebenfalls finanziertes Auto abbezahlt werden. Vor Kurzem flatterte zudem eine Gasnachzahlung über mehrere Tausend Euro ins Haus. Doch wie soll das alles bezahlt werden, wenn der Hauptverdiener fehlt? Joudy muss nach ihrer Prüfung noch ein halbes Jahr Anerkennungspraktikum absolvieren – ob sie dafür eine Bezahlung bekommt, liegt im Ermessen ihres Arbeitgebers. Erst danach kann sie zum Einkommen beitragen.
Berg voller Formulare
„Es ist ein Berg voller Formulare und Rechnungen – es ist eine Katastrophe“, sagt Heike Klinzing. Gemeinsam mit Dagmar Dähne und der Familie von Thomas Wolf aus Bad Salzungen unterstützt sie die Mohammeds, wo sie nur kann. So haben sie beispielsweise beim Energieversorger eine Stundung der Nachzahlung ausgehandelt. Und Heike Klinzing hat sich an „Freies Wort hilft“, den Hilfsverein von Südthüringer Zeitung und Freies Wort, gewandt. „Allein schaffen wir das nicht.“ Jeder Euro helfe, denn aktuell bleibe der Familie nach Abzug aller Verpflichtungen in Höhe von rund 1000 Euro kein Geld für Lebensmittel. Die Jüngste benötige eine neue Schulausstattung „und wir bräuchten mal jemanden, der sich die Heizung anschaut“, sagt Heike Klinzing. Zudem weigere sich der Autoverkäufer hartnäckig, das Familienauto in ein kleines umzutauschen, um die Ratenlast zu mindern.
„Ich wache morgens auf, und mein Kopf ist voller Probleme und Sorgen, und abends schlafe ich damit wieder ein“, beschreibt Joudy die Situation.
Spenden
Der gemeinnützige Verein Freies Wort hilft e.V. möchte die Familie in dieser schweren Zeit unterstützen und ruft zu Spenden unter dem Stichwort „Familie Mohammed“ auf.