Freies Wort hilft Ein Berg voller Probleme

;arie-Luise Otto

Mehr als 6000 Euro haben Menschen aus der Region für Familie Mohammed aus Barchfeld (Wartburgkreis) gespendet. Die erste Not ist gelindert, nun gilt es langfristig Unterstützung zu leisten – nicht unbedingt mit Geld, sondern mit Expertise.

 
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Dagmar Dähne (links) und Heike Klinzing (rechts) unterstützen die Familie Mohammed, wo sie können. Die beiden Frauen stoßen jedoch an ihre Grenzen. Foto: Imogen Berger

Es ist ein Berg voller Zettel, der sich hier auf dem großen Holztisch des kleinen Hauses in Barchfeld stapelt. Ein Berg voller Probleme. „Es ist der absolute Wahnsinn“, sagt Heike Klinzing. „Unglaublich“, befindet Dagmar Dähne. Die beiden Frauen unterstützen seit vielen Jahren Familie Mohammed aus Barchfeld, die 2015 vor dem Krieg aus Syrien nach Deutschland geflohen und nach einer monatelangen Odyssee in Barchfeld gelandet ist. Und seit dem unerwarteten Tod von Familienvater und Haupternährer Nihad stehen sie dessen Ehefrau Aiyscha und deren drei Töchtern – der zwölfjährigen Tala, der 15-jährigen Jana und der 23-jährigen Joudy – zur Seite.

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„Was wir leisten können, machen wir“, sagt Heike Klinzing. Doch die Zeit der Grundschulleiterin und der Unternehmerin ist auch nicht unbegrenzt. Zumal der Berg von Problemen – die vor allem mit der deutschen Bürokratie zu tun haben – schier nicht kleiner zu werden scheint.

Im Mai hatte sich Heike Klinzing an Freies Wort hilft, den Hilfsverein von Südthüringer Zeitung und Freies Wort, gewandt. Die Familie Mohammed brauche Hilfe, stehe wegen des Todes des Haupternähers – Nihad Mohammed hatte in Immelborn als Tischler gearbeitet – unverschuldet vor dem finanziellen Abgrund, berichtete sie damals. Neben dem Kredit für das kleine Häuschen, dass der Familienvater begonnen hatte zu sanieren, und den Raten für das Auto, bliebe kaum noch etwas zum Leben für die vier Frauen, berichtete die Barchfelderin damals.

Das Schicksal der Syrer, die zwei Jahre meist zu Fuß quer durch Europa auf der Flucht vor dem Krieg waren, bewegte unsere Leser. Sie spendeten mehr als 6000 Euro. „Das ist wirklich unglaublich toll“, sagt Dagmar Dähne. „Großartig“, befindet Heike Klinzing. Mit dem Geld habe eine hohe Energiekostennachzahlung beglichen, die größte finanzielle Not gelindert werden können. Dennoch sei noch längst nicht alles gut, was, so betonen die beiden Frauen, jedoch nur schwer mit Spendengeld ins Lot gebracht werden könne.

Wo wir wieder bei dem Berg voller Zettel auf dem Wohnzimmertisch der Familie Mohammed wären. Es ist die Bürokratie an der die Helferinnen schier verzweifeln. Bis heute erhalten die Kinder keine Halbwaisen- und Mutter Aiyscha keine Witwenrente. Auch Bürgergeld wurde nicht bewilligt. Das Auto, das Nihad noch kurz vor seinem Tod bei einem Händler in Bad Salzungen gekauft hatte, ist kaputt. „Motorschaden“, sagt Jana Mohammed. Erst nach dem Intervenieren der Helferinnen habe der Verkäufer einen viel kleineren Ersatzwagen zugestanden. „Der wollte die Schuld auf die Familie schieben“, erzählt Heike Klinzing erbost.

Aktuell leben die Mohammeds von den 660 Euro Krankengeld der schwer an Diabetes leidenden Mutter und auf Pump. Vor allem Verwandte würden ihnen finanziell unter die Arme greifen, berichten Heike Klinzing und Dagmar Dähne.

Die mittlere Tochter Jana hat in den Sommerferien extra die Schule gewechselt, macht ihren 10.-Klasse-Abschluss nun in Bad Liebenstein anstatt in Bad Salzungen. „Damit ich das Busgeld nicht bezahlen muss“. Zudem jobbt die junge Frau, die unter anderem im CDU-Ortsverein engagiert ist und Anwältin werden möchte, in einem Barchfelder Supermarkt, um das Einkommen irgendwie aufzubessern.

Währenddessen mahlen die Mühlen der Bürokratie langsam – sehr langsam. „Allein das Ausstellen des Totenscheines hat drei Monate gedauert“, erzählt Dagmar Dähne. Dieser sei aber Grundlage des Erbscheins, der bis heute nicht vorliegt. Was wiederum eine essenzielle Voraussetzung sei, um Leistungen bekommen zu können. „Ohne den Erbschein hat die Familie keinen Zugriff auf Nihads Konto – das fordern die Behörden aber, weil nachgewiesen werden muss, dass sie mittellos sind“, sagt Heike Klinzing.

Dagmar Dähne und sie haben Vollmachten, um mit den Ämtern und Behörden verhandeln zu können. „Wir hören dabei den permanenten Vorwurf, das Unterlagen fehlen“, sagt Dagmar Dähne. Das gelte auch für die Bestattungskosten in Höhe von mehreren Tausend Euro. Die sind ebenfalls noch offen, weil die zuständige Behörde sich aus den genannten Gründen weigert, die Kosten zu übernehmen. Hinzu kommen Mahnungen, beispielsweise vom Energieversorger oder der GEZ, weil Rechnungen nicht bezahlt wurden. „Wir wissen einfach nicht, wie wir diesen Knoten lösen können“, sagt Heike Klinzing.

Die Spenden der Leser hätten über die erste Not geholfen, doch nun brauche es eine koordinierende Stelle, die sich der Sache strukturiert annehme „und das ganze aufdröseln kann“, befinden die beiden Frauen.

Die Redaktion schilderte Kevin Rodeck, dem Integrationsbeauftragten des Wartburgkreises, die Situation und der war sofort bereit, zu unterstützen. Er vermittelte den Kontakt zu Annett Luther-Schmidt vom Jugendmigrationsdienst des Landkreises. Das Beratungsangebot, das im Bad Salzunger Stadtteil Allendorf seinen Sitz hat, richtet sich vor allem an junge Migranten und unterstützt bei schulischen Angelegenheiten und Behördengängen. Inzwischen hat sie mit Heike Klinzing Kontakt aufgenommen

Vielleicht kann Annett Luther-Schmidt auch der ältesten Tochter Joudy bei der Suche nach einem Praktikumsplatz in einer Apotheke helfen. Die 23-Jährige hat ihre Ausbildung in Erfurt erfolgreich abgeschlossen und braucht nun noch ein halbjähriges Anerkennungspraktikum.