Kleine Kunst" - allein schon die Bezeichnung ist wenig geeignet, die Aufmerksamkeit des Publikums zu erheischen. Was soll man sich darunter schon vorstellen? Das Gegenteil von großer Kunst, nach der sich alle zehn Finger ablecken? Also Bild- und Objekterzeugnisse, die gerade noch als Kunst durchgehen? Mitnichten. Der Autor Thomas R. Hoffmann meint es wörtlich. Kleine Kunst bedeutet bei ihm schlicht kleinformatige Kunst. Und die hat es in sich. Virtuos zeigt der Berliner Kunsthistoriker anhand von Beispielen großer Meister wie Franz Marc, Rembrandt und Ai Weiwei, was in ihr steckt.

Geschickt versetzt er sich in seinem Band "Wow! Kleine Kunst mit großer Wirkung" in die Rolle des Kunstbetrachters zur Entstehungszeit des jeweiligen Werkes. In 14 wunderbar gestalteten Kapiteln liefert er bei 14 Werken ab dem 15. Jahrhundert ein Stück angewandten Geschichtsunterricht mit -Geschichte war sein zweites Studienfach. Von der glücklichen Liaison, die beide Fächer in seinem Kopf eingegangen sind, kann der Kunstinteressierte nun profitieren. Auf sympathische Art arbeitet Hoffmann an der Sattelfestigkeit des Lesers in Sachen Bildinterpretation, ohne je verkopft zu wirken. Genau genommen eignet sich das Buch auch als lehrreiches Familienbuch für Abende, an denen der Fernseher einmal ausbleibt.

Die Entdeckungsreise auf dem Terrain der kleinen Kunstwerke ist spannend. Das Besondere: Bis auf einen skulpturalen Ausreißer sind sie ausnahmslos im Originalformat abgedruckt. Im Klartext heißt das, keins ist größer als die 22 mal 22 Zentimeter von Albrecht Dürers Landschaftsaquarell "Arco". Man wird in eine Eins-zu-Eins-Situation versetzt, wie sie im Museum herrscht - nur dass man das Buch in aller Ruhe näher heranziehen kann. In einem Ausschnitt ist jeweils ein Bilddetail vergrößert. Passende Zitate, teils von den Künstlern, teils aus der Bibel oder der Sekundärliteratur wecken den Appetit auf den Text. Und wie!

Wer wusste bisher, dass Rembrandt seine als Bildträger verwendeten Kupferplatten angeblich vor der Bemalung mit Knoblauchzehen abrieb, damit ob der Klebrigkeit des Saftes die Farben auf der metallenen Oberfläche hafteten? Oder dass die Symbolik der niederländischen Obstkorb-Stillleben des 17. Jahrhunderts auf die vierte Vision des Propheten Amos im Alten Testament fußt? Der Korb steht für das Strafgericht Gottes am Weltende und ist prall gefüllt mit bedeutungsschwangeren Früchten und Insekten, die vom Autor auf das Anschaulichste erklärt werden.

Das kleinste Werk aus der Galerie des Buches ist der Sonnenblumenkern aus Porzellan des chinesischen Künstlers Ai Weiwei. Er ist nur ein einziges Teilchen der Installation "Sunflower Seeds" in der Turbinenhalle der Londoner Tate Modern, deren Boden im Jahr 2010 zehn Zentimeter hoch mit 100 Millionen handgefertigten Sonnenblumenkernen aufgeschüttet war. Hergestellt und handbemalt in zwei Jahren von 600 chinesischen Kunsthandwerkern. Nur drei von ihnen kolorierte Ai Weiwei selbst. Die Bedeutung der bizarren Anhäufung mag für den westlichen Kunstbetrachter verborgen bleiben. Die Nachhilfe von Hoffmann sorgt für sofortige Transparenz. Elegant spannt er den Bogen von der regimekritischen Haltung des Künstlers hin zu dessen Aufruf an seine Landsleute, ihre Rechte auf der Straße einzufordern: Gemeinsam sind wir stark!

Selbst die Botschaft der zwei toten Tsetsefliegen von Pratchaya Phinthong, präsentiert auf der Kasseler Documenta 13, liegt für den Autor auf der Hand. Sie sind als Impulsgeber für die umweltfreundliche Bekämpfung der von ihnen übertragenen Schlafkrankheit gedacht. Sein ausgezeichnetes Buch hätte nur eins verdient: Einen seriöseren Einband.

"Wow! Kleine Kunst mit großer Wirkung", Thomas R. Hoffmann, Belser-Verlag - 16, 95 Euro.