Mehr als 200 Jahre nach ihrer Ankunft ist das Rätsel um die geheimnisvolle Dunkelgräfin noch immer nicht gänzlich gelüftet - und das wird vermutlich auch so bleiben. Es sei denn, der MDR hat mit seinem Ansinnen Erfolg und darf für eine Dokumentation das Grab öffnen und mit einem DNA-Vergleich die letzten Zweifel beseitigen. Noch liegt ein Beschluss des Hildburghäuser Stadtrates aus dem Jahr 2004 gegen eine Exhumierung vor. Ob dieser aufgehoben und somit endgültig Gewissheit geschaffen wird, entscheidet sich bei einer Stadtratssitzung kommende Woche Mittwoch.

Eine Exhumierung würde einen Schlussstrich ziehen unter 175 Jahre Gerüchte, Vermutungen und Indizien. Zahlreiche Autoren haben sich - seit auch der Dunkelgraf 1845 gestorben war und das Geheimnis nicht mehr selbst hüten konnte - dem Rätsel mitten aus dem europäischen Hochadel angenommen. Zum Teil ernsthaft, zum Teil haben sie sich in Romanen mehr oder weniger an den Fakten orientiert und die Geschichte ausgeschmückt. Nun ist im Münchener Piper-Verlag ein neues Buch von Carolin Philipps zum Thema erschienen.

Die Autorin stieß im Jahr 2008 eher zufällig bei Recherchen für ihre Veröffentlichung über Königin Luise von Preußen, die sie auch nach Hildburghausen führten, auf das Mysterium um die Dunkelgräfin. Sofort war sie von der tragischen und zugleich spannenden Geschichte gefesselt. "Ich liebe ungelöste Rätsel, dies hier hat mich in einer ganz besonderen Weise berührt. Ein neues Projekt, das mich fasziniert", erklärt die Autorin, auf deren Internetseite auch die umfangreiche, aufwendige und spannende, manchmal aber auch komplizierte Recherche zum Thema nachzuvollziehen ist.

Menschliche Tragödie

In mehr als drei Jahren hat sie an Originalschauplätzen und in Dokumenten aus rund 200 Jahren geforscht und gelesen. Einen großen Raum nimmt die menschliche Tragödie ein, die sich zwischen 1789 und 1795 um Marie Therese abgespielt hat: Revolution und blutige Kämpfe in den Straßen von Paris, Verhaftung, die ständige Angst um das eigene Leben und der Verlust der gesamten Familie, monatelange Einzelhaft. Ständig war sie der Willkür der Wärter und deren Vorgesetzter ausgeliefert, die sich je nach politischer Lage immer wieder änderte.

Auch vor diesem Hintergrund scheint der von Carolin Philipps wie von den meisten Autoren vermutete und im Buch nachgezeichnete Personentausch bei der Übergabe der Prinzessin an die Österreicher folgerichtig. Denn nach den Torturen im Gefängnis war die gerade 17-Jährige zweifellos psychisch angeschlagen und konnte folglich nicht plötzlich die starke und eher kalt erscheinende Person sein, die als Madame Royale in Wien ankam.

Herausgekommen ist letztlich ein Buch, das gut lesbar und nachvollziehbar die Geschichte der Tochter von Ludwig XVI. und Marie Antoinette beleuchtet. Familiäre Beziehungen zu den Herrscherhäusern Europas, die vor allem nach der Entlassung und der vermutlichen Vertauschung eine wichtige Rolle spielten, werden ausführlich dargestellt. Ebenso die wechselvollen Jahre zwischen 1789 und 1815 in Frankreich, die verantwortlich dafür waren, was mit Marie Therese geschah.

Liegt sie wirklich als Herzogin von Angoulême, die wenige Minuten gar Königin von Frankreich war, in Frohsdorf bei Wien begraben? Oder haben all die Historiker Recht, die fest daran glauben, dass die letzte französische Königstochter und jene geheimnisvolle Frau, die als Dunkelgräfin in Hildburghausen durch ihr betont zurückgezogenes Leben Aufsehen erregte und auf dem Stadtberg ihre letzte Ruhe fand, ein und dieselbe Person sind? Aber wer ist dann an ihre Stelle getreten?

Bedauernswertes Mädchen

Carolin Philipps kommt - wie die meisten Autoren vor ihr - zu einem auf Deutungen der Ereignisse und Aufzeichnungen liegenden Schluss. Nämlich dass es sich bei der Hildburghäuser Dunkelgräfin nur um die echte Madame Royale handeln kann. Dass sie eher zufällig auf das Thema gestoßen ist und daher nicht in dem Ruf steht, den Befürwortern dieser These näher zu stehen als den Kritikern, kommt ihrem Buch zugute. Den allerletzten, stichhaltigen Beweis kann zwar auch sie damit nicht liefern. Die Aufzeichnung der Lebensgeschichte eines letztlich bedauernswerten Mädchens ist ihr dennoch gut gelungen.

Carolin Philipp: "Die Dunkelgräfin - Das Geheimnis um die Tochter Marie Antoinettes", Piper-Verlag 2012 - 10,99 Euro.