Mit Lesungen verhält es sich ähnlich wie mit Verfilmungen: Die gesprochene oder visuell inszenierte Verwertung des geschriebenen Wortes entraubt dem Zuhörer beziehungsweise Zuschauer ein Stück weit der eigenen Fantasie. Das kann zum einen ein Vergnügen sein, auf der anderen Seite kann es aber auch zerstören.

Wie ein Autor mittels seiner Stimme und durch seine individuelle Lesart der Charaktere sein Werk dem Publikum schmackhaft machen kann, zeigte sich am Samstag bei der 2. Südthüringer Kriminacht im Druckwerk von Freies Wort auf dem Friedberg in Suhl. Vier Autoren hatten die Veranstalter vom Verein Provinzkultur in Zusammenarbeit mit dieser Zeitung und der Rhön-Rennsteig-Sparkasse zu Lesungen eingeladen und hielten damit sehr unterschiedliche Eindrücke für die etwa 200 Krimifreunde und Leseratten bereit.

Das Konzept der Lese-"Häppchen" beruht zwar bereits auf einer Vielfalt möglichst konträrer Erzählweisen, wurde aber zusätzlich mit Auftritten der Meininger Band "Steve Potter & The General Amp" zu einem interessanten Arrangement verschiedener künstlerischer Gattungen. Zwischen Mord und Totschlag, Leichenfunden und der Lust an Boshaftigkeiten ertönte ein herzhaftes "I Feel Good" von James Brown und ähnlich gut gelaunte Cover bekannter Funk-, Rock-'n'-Roll- und Surfrock-Beats. Dieser Kontrast, der ein wenig an den Charme der Filme von Kultregisseur Quentin Tarantino erinnert, verlieh auch der Kriminacht eine gehörige Portion Schwung.

Bei Mr. Ripley im Boot

Eröffnet wurde der Abend durch die charmante Schauspielerin und Sängerin Annett Renneberg, die vor allem durch ihre Rolle der Signorina Elettra Zorzi in den Verfilmungen der Donna-Leon-Romane bekannt ist. Mit Auszügen aus ihrem Lieblingskrimi - "Der talentierte Mr. Ripley" von Patricia Highsmith - stimmte sie das Publikum auf das folgende Programm ein. Ihre unverschnörkelte Lesart ließ der Vorstellungskraft ausreichend Raum, um sich im Geiste neben Tom Ripley auf einem Boot wiederzufinden, während dieser seinen vermeintlichen Freund Dickie ermordet.

In einem kurzen Interview stellte Annett Renneberg anschließend den diesjährigen Gewinner des Thüringer Krimipreises, Klaus Paffrath, vor, der - im Hauptberuf Jurist - seinen ersten Roman noch unter Pseudonym veröffentlichte. Seine Protagonisten stellen in Arnstadt, Erfurt und rund um die Wachsenburg Nachforschungen zum Tod eines großen Solarunternehmers an. Die Jury hatten sein Sprachwitz und seine Ironie, das Insiderwissen aus der Politik, das treffend eingefangene Lokalkolorit und der dramatische Spannungsbogen überzeugt.

Auch bei seiner Lesung in Suhl kamen die Zuhörer in den Genuss seiner bildhaften Sprache mit einem feinen, hintersinnigen Humor. Charaktere und Szenen beschreibt Klaus Paffrath so detailliert, dass sie sich vor dem geistigen Auge erfreulich glaubhaft gestalten. Die kleine Kostprobe aus seinem preisgekrönten Kriminalroman "Sonne, Wind und Tod" machte durch diese Erzählweise zwar durchaus neugierig auf mehr, für die eigentliche mörderische Story vermochte sie jedoch weniger zu begeistern.

Tratsch aus dem Gasthaus

Eher ungewöhnliche Töne zu seinem Genre schlug in der Vergangenheit ein anderer Autor an, der am Samstag im Druckwerk las: "Eigentlich finde ich Krimis furchtbar. Jeder Trottel schreibt Krimis. Ich les' auch keine." Sie stammen von Thomas J. Hauck und wahrscheinlich verabscheut er es, dass er mit dieser verjährten und vermutlich unwillkürlichen Aussage schon wieder zitiert wird. Aber sie sagt eben viel über sein verschmitztes Auftreten aus. Dass er dann doch zum Krimi kam, ergab sich, wie er im Gespräch mit Annett Renneberg erzählte, im Gasthaus eines Bergdorfes. Dort belauschte er den örtlichen Tratsch und vergaß vor lauter Staunen seinen Appetit.

Und so ist auch sein Alpenkrimi "Schaumrollen und Blutwurst" in einem Bergdorf angesiedelt, in dem die Bewohner vor lauter Eigentümlichkeiten strotzen. Seine Vortragsweise ist dabei von besonderem Unterhaltungswert. Mit kraftvoller Stimme und einem zünftigen Akzent lässt er Stammtisch-Szenen und Dialoge entstehen, dass einen im Nachgang die Frage beschleicht, ob die eigene Lektüre ähnlich vergnüglich zu sein vermag. Die jedoch ist notwendig, denn sein Krimi-Auszug endete an einem überraschend grotesken Wendepunkt der Handlung.

Höhepunkt des Abends war der Auftritt der renommierten Krimiautorin Andrea Maria Schenkel, die aus ihrem Werk "Täuscher" las. Die Tat spielt in Landshut, im Umkreis von rechtswidrigen Volksgerichtshöfen Anfang der Zwanzigerjahre. Hochspannend und psychologisch meisterhaft erzählt die Verfasserin von einem Verbrechen, von Opfern und Tätern sowie Mechanismen des Verrats. Für ein besseres Verständnis sortierte sie ihre normalerweise multiperspektivisch dargebotene Handlung in einen linearen Ablauf. Bei ihrem Vortrag fiel es nun besonders schwer, den Bezug zum Text herzustellen. Und für jene, für die Andrea Maria Schenkels Krimis Neuland sind, bleibt die Frage, ob die Lektüre und die Kraft der eigenen Fantasie es nicht besser vermögen, in die Geschichte einzutauchen.

Mit mehr als einer Stunde Verzögerung, die sich über den Abend zusammenläpperte, beschloss Berni Mayer auf besonders erfrischende Weise den gesprochenen Teil des Programms. Der Autor, Blogger und Musiker stellte den letzten Teil seiner "Mandel-Trilogie" vor, worin er erneut eine spannende und skurrile Geschichte des Detektivbüros Max Mandel und Sigi Singer erzählt.

Welche Vorfälle das Buch zu einem Krimi machen, erfuhr der Zuhörer bei dieser Gelegenheit nicht, denn wie Bernie Mayer selbst schon ankündigte: "Alles, was ich lese, hat nichts mit Kriminalfällen zu tun." Also nahm er die Krimifreunde mit in eine alkoholgetränkte, zwischenmenschlich verstolperte Kneipenszene mit Spontankonzert und in einem zweiten Auszug in die witzig-skurrilen Abgründe einer prägenden Kindheit im katholischen Niederbayern. Das Ganze sympathisch aufgelockert mit Bemerkungen, da einzelne Passagen wohl in autobiografischen Erlebnissen Anregung fanden.

Besondere Atmosphäre

Akustisch illustriert wurden die Episoden von ihm mit seinen deutschsprachigen Folksongs an der Gitarre. Das war zwar ungewöhnlich für eine Lesung - nach gut drei Stunden anspruchsvollem Vortrag jedoch eine dankenswerte Abwechslung. Bevor es dann noch einmal mörderisch wurde mit der Filmvorführung von "Tannöd" nach dem gleichnamigen Bestseller-Roman von Andrea Maria Schenkel. Ein außergewöhnliches Schau-Erlebnis bis weit nach Mitternacht in der besonderen Atmosphäre des Druckwerks.