Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben", hat der französische Schriftsteller André Gide einmal gesagt. In der Wissenschaft ist der "methodische Zweifel"ein wichtiges Instrument, um forschend den Dingen immer weiter auf den Grund zu gehen. Dem Zweifel Raum zu geben und Fehler einzugestehen ist unabdingbar für jeden, der wirklich neue Erkenntnisse gewinnen will. Populisten wie Donald Trump, Jair Bolsonaro oder Recep Tayyip Erdogan sind wissenschaftsfeindlich und haben auch in der Coronakrise mehr auf ihr Bauchgefühl gehört als auf die Warnungen und Ratschläge der Fachleute. Aber das Virus lässt sich mit fake news ("Nur eine kleine Grippe") nicht besiegen. Hätte Trump den Experten früh genug Vertrauen geschenkt, hätte er die Katastrophe für sein Land vielleicht nicht abwenden, aber zumindest mildern können. Das Corona-Virus hat die intellektuelle Unredlichkeit der Rechtspopulisten gnadenlos bloßgestellt. Echte Trump-Fans kann aber auch das nicht erschüttern.

Wann können wir zurück in die Normalität? Wie lange dauert der Stillstand noch an? Die Wirtschaft und wir alle möchten eine verlässliche Perspektive für ein Ende des Lockdown. Aber wer in Zeiten allgemeiner Verunsicherung der Politik mangelnde Klarheit und Stringenz vorwirft, tut ihr Unrecht. Orientierung und Planungssicherheit für Bürger und Unternehmen kann es derzeit nur eingeschränkt geben. Niemand weiß, ob wir die Pandemie schon im Griff haben oder ob sie noch einmal aufflammt. Keiner kann sagen, wie sich die Öffnung von Kindergärten, Schulen, Geschäften oder Friseurbetrieben auf die Fallzahlen auswirken wird. Normalerweise wollen Politiker nicht den Eindruck erwecken, unsicher um Antworten zu ringen oder schlicht keine zu haben. Aber in der derzeitigen Krise ist es richtig, dass die Verantwortlichen ihre eigene Unsicherheit nicht verhehlen und die geltenden Beschränkungen und Kontaktverbote nur zögerlich und mit Vorbehalt lockern. "Auf Sicht fahren", nennt das die Kanzlerin in ihrer unprätentiösen Art.

Populisten wie Trump suchen nach Schuldigen, verantwortliche Politiker ringen um Lösungen. Deutschland steht in der Coronakrise bisher relativ gut da. Wohl auch deshalb, weil die Regierung die Wissenschaft früh einbezogen hat. Doch die kann nur Ratschläge geben, zu entscheiden haben am Ende die gewählten Politiker - und die sind darum nicht zu beneiden. Aus medizinischer Sicht ist es zweifellos wünschenswert, den Stillstand des öffentlichen Lebens noch lange aufrecht zu erhalten. Aber die Politik darf nicht blind sein für die Konsequenzen, die das hat. Ein noch Monate währender Lockdown hätte verheerende Folgen nicht nur auf ökonomischer, sondern auch auf sozialer Ebene. Längst gibt es Meldungen über eine Zunahme häuslicher Gewalt, über Einsamkeit, psychischen Stress und Suizide.

Jedes politische Handeln gerät deshalb in einen Zielkonflikt, der stringentes Handeln schwierig macht, weil, wie immer man sich entscheidet, negative Auswirkungen unvermeidbar sind. Keine Option ist völlig unanfechtbar. Umso wichtiger ist es, dass die Abwägungsprozesse transparent bleiben. Nur so kann es zu Lösungen zu kommen, die eine möglichst breite Akzeptanz finden und die "sowohl medizinisch als auch ökonomisch und lebensweltlich funktionieren können", wie der Soziologe Armin Nassehi formuliert. Klar ist aber auch: Wenn das Wichtigste aller Grundrechte, das Recht auf Leben, gefährdet ist, dann ist eine zumindest vorübergehende Einschränkung der Freiheit nicht nur legitim, sondern geboten. Das Leben jedes Einzelnen zählt.

Irgendwann wird die Coronakrise vorüber sein. Dann drängen neue Probleme auf die Agenda, die, wie die Klimakrise, langfristig noch viel bedrohlicher sind, aber nicht so unmittelbar erfahrbar wie eine Seuche. Das macht es Rechtspopulisten wieder leichter, die Gefahren zu leugnen und wissenschaftliches Know-how, das nicht in ihr Weltbild passt, zu missachten. Die derzeitigen Einschränkungen von Grundrechten sind ein Belastungstest für die Demokratie. Am ehesten wird die Herausforderung zu meistern sein, wenn Politiker mit Vorsicht agieren und bereit sind, getroffene Entscheidungen, die sich als falsch erweisen, rasch zu korrigieren. Entschlossenheit muss sich mit Augenmaß paaren, Mut zum Handeln mit dem Eingeständnis der eigenen Fehlbarkeit. Nur Dummköpfe, Fanatiker und Diktatoren haben niemals Zweifel. Vielleicht gelingt dann auch die Entzauberung großsprecherischer Populisten, die gern einfache Lösungen versprechen, in der Krise bisher aber vor allem durch Hilflosigkeit auffielen oder, wie Victor Orban in Ungarn, die Gelegenheit nutzten, um schamlos ihre Machtbefugnisse zu erweitern.