Schnüffler. Das ist das Wort, das Petra Riemann ein wenig Sorge bereitet hat. Die Presse, die Medien könnten aus ihrem Vater, dem durch Defa-Produktionen und den "Polizeiruf 110" bekannten Schauspieler Lutz Riemann, einen gemeinen Schnüffler machen. Einen, der seine Nase tief in das Leben anderer steckt, zu deren Nachteil, im Dienste des Staates. Das war 1999, als er ihr sagte, dass er ein IM war.

Später ist diese Sorge der Angst gewichen, dass ihr Vater tatsächlich ein Schnüffler gewesen ist. Kein "Kundschafter des Friedens", für sein Land, die DDR, und über dessen Grenzen hinaus. Sondern einer, dem es Vergnügen bereitet hat, sich Vertrauen zu erschleichen und privates, gar intimes Wissen über seine Freunde und Bekannten "nach oben" zu melden. Bürger, die diesem Staat harmlos waren, Künstler und Kreative wie er. Die Stadt, in der Lutz Riemann geschnüffelt hat, war Meiningen.

Hierher, in ihre eigene Kindheitsstadt, an die alte Arbeitsstätte ihres Vaters, das Meininger Theater, ist Petra Riemann am Mittwoch mit ihrem Mann, dem Journalisten Torsten Sasse, zu einer Lesung gekommen. Das Foyer der Kammerspiele ist bis auf den letzten Quadratmeter mit Stühlen gefüllt. Viele ehemalige Kollegen, Freunde und Bekannte von Lutz Riemann sind da, um vom Horchen und Gucken des "Richard König" zu hören. Ein Deckname, der an König Richard denken lässt, ein Stück, in dem Lutz Riemann auch in Meiningen spielte, eine Nebenrolle.

Warum dieser Name - die Tochter kann es nicht sagen. Warum überhaupt diese Schnüffelei - sie weiß es nicht. Der Vater, einst beinahe vergöttert, redet nicht mehr mit ihr, die Mutter ebenso wenig. Das Schreiben ihres Buches ist das Bemühen, diese Sprachlosigkeit zu durchbrechen, den anderen Vater, den IM, zu verstehen. Sie erinnert sich an ihre Kindheit, zitiert aus Stasi-Akten, lässt sich von ihrem Mann befragen.

"Jeder Scheißdreck"

Es fallen Namen, die bekannt sind in Meiningen. Der Maler und Grafiker Manfred Hausmann etwa, von dem "jeder Scheißdreck nach oben" gemeldet wurde, wie er es sagt. Er sitzt im Publikum. Oder der frühere Meininger GMD Wolfgang Hocke. Als er mit dem Orchester Konzertreisen in die Bundesrepublik machen darf, ist Lutz Riemann dabei und aufmerksam. Ob sich damals jemand gewundert hat über die Mitreise eines Schauspielers, unklar.

Petra Riemann erzählt auch von "Onkel Peer". Peer Steinbrück ist der Cousin ihrer Mutter, er hat die Familie mehrfach besucht in den Siebzigerjahren in Meiningen. Als der sich 2013 um die Kanzlerschaft bewirbt, wird die Verbindung zu Lutz Riemann und dessen Stasi-Tätigkeit von der Welt publik gemacht. Er streitet ab, Peer Steinbrück bespitzelt zu habend. Dennoch wurden über die Besuche in Meiningen Informationen gesammelt. Vielleicht war das Haus in der Berliner Straße verwanzt.

Am Ende der Lesung bleibt wieder Sprachlosigkeit. Torsten Sasse, der in der Bundesrepublik aufgewachsen ist, ringt um Worte. Über die DDR, so sagt er, sei er nicht überrascht gewesen, der habe er alles zugetraut. Von seinem Schwiegervater aber, dem Schauspieler Lutz Riemann, habe er sich blenden lassen.

Petra Riemann: "Die Stasi, der König und der Zimmermann. Eine Geschichte von Verrat", Metropol Verlag 2019, 283 Seiten, 22 Euro