Suhl – „Was nütze es“, liest der Autor mit leicht näselnder Stimme und globalem Denkansatz aus einem bislang unveröffentlichtem Manuskript, „wenn wir mit dem Rauchen aufhören würden, aber Milliarden von Chinesen qualmen wie der Ruhrpott in historischen Aufnahmen des WDR?“ Tja, gute Frage. Auf einen solchen Gedanken muss man erst einmal kommen. Und dann muss einem auch noch der schöne Vergleich rauchender Chinesen mit dem Ruhrpott einfallen, um letztendlich ein Satzkunstwerk zusammenzuzimmern, das den Zuhörer oder Leser angesichts hintersinniger Ironie zu spontaner Heiterkeit veranlasst.

Max Goldt kann das – ohne jeden Zweifel. Das wissen nicht nur seine Fans, die am Donnerstagabend zum Auftakt des diesjährigen „Provinzschrei“ im CCS den Saal „Kaluga“ derart füllten, dass selbst eilig herbeigeschaffte zusätzliche Stühle nicht ausreichten. Viele von ihnen waren sogar von weiter her angereist. Das wissen auch Schriftsteller-Kollegen, die dem Titanic-Autoren vor ein paar Monaten per Jury-Entscheid den renommierten Kleist-Preis zuerkannten, weil Goldt ihrer Meinung nach den deutschen Alltag mit seinen Texten „zur Kenntlichkeit entstelle“. Witz, Scharfsinn und ästhetisches Urteilsvermögen sei sogar mit dem berühmten Sprachkritiker Karl Kraus vergleichbar.

Das mochte man nach der Suhler Lesung gerne glauben, denn Goldt kam in seinem Text über das Rauchen, den er „Staat, misch Dich nur ein!“ nannte, nicht nur auf das Rauchen an sich zu sprechen, sondern auch auf das verwandte Thema Rauchverbot, was ihn zu einem kleinen Exkurs zu Gesetzesbüchern als Kulturleistungen der Menschheit veranlasste. Der sich sodann unweigerlich aufdrängende Gedanke, Rauchen mache abhängig, führte ihn zu Drogen an sich. Weil man darüber aber nicht öffentlich reden darf – jedenfalls nicht, wenn man selbst an härteren Drogen nichts auszusetzen hat, wendet der Sprachkünstler Goldt einen ebenso verblüffenden wie kunstfertigen Trick an: „Ich flüstere es in eine Brötchentüte und zerknalle sie anschließend. Dann ist es so, als hätte ich gar nichts gesagt. Aber jeder hat es gehört.

Schon diese wenigen Beispiele zeigen: Max Goldt ist nicht nur ein Sprachjongleur, dem die Fähigkeit zur Ironie schon auf die Nasenspitze geschrieben steht. Sondern er ist auch ein Künstler, der Alltagsrituale und Umgangsformen seiner Mitmenschen sehr genau beobachten, zerpflücken und dabei auch entlarven kann. Heraus kommt stets eine gewisse Situationskomik, die nach zwei, drei Texten beim Zuhörer oder Leser unweigerlich den Eindruck erweckt, das menschliche Leben in seiner täglichen Erscheinungsform könnte in Wirklichkeit ein einziger Witz sein.

Sprachkunst in Vollendung

Freilich, Max Goldt spitzt zu, und dichtet dazu. Dennoch sind seine Beobachtungen messerscharf: In einem Text mit dem Titel „Die Schöneberger Kneiperin“ macht er sich über die Sitten mancher Friedhöfe lustig, bei denen es Usus ist, den Toten auf dem Grabstein mittels kleiner Bildchen zu gedenken. Weil Goldt bei einem Friedhofsbesuch festgestellt hat, dass dort offenbar die bucklige Verwandtschaft zur Schau gestellt wird, fragt er sich nun in seinem Text, wieso der oder die Verstorbene nicht rechtzeitig zum Fotografen gegangen ist, anstatt die Angehörigen nach dem Ableben in der Schublade wühlen zu lassen. „Man muss ja nicht gleich einen internationalen Starfotografen engagieren“, so Goldt.

Zugegeben, mit dem Gag hätte auch ein Comedian wie Michael Mittermeier einen Brüller abgeräumt. Der Unterschied besteht darin, dass Max Goldt dabei nicht auf der Bühne herumhampelt und Grimassen zieht, sondern einen sorgfältig gebauten Text vorträgt und dabei peinlich genau darauf achtet, auch ja alle Silben und Endungen exakt auszusprechen. Der Witz steckt im gesprochenen Wort – und nicht im Vortragsvermögen des Showtalents. Sprachkunst in Vollendung ist das – da waren sich rund 150 Besucher in Suhl schnell einig. Ein gelungener Auftakt für den Provinzschrei.