Nirgends ist das ferne Barock heute noch so präsent wie in seiner Musik. Bach, Schütz, Fasch oder Telemann sind dabei nur prominente Vertreter. Alte Musik aus deren Federn wird gespielt - nicht nur bei den Thüringer Bachwochen oder dem Festival "Güldener Herbst". Neben den Stars des Zeitalters gab es gerade in Thüringen aber sehr viele heute kaum noch bekannte Komponisten, Musiker, Kantoren, Notensammler - und Laien, auch als Adjuvanten bezeichnet.
Etwa Johann Melchior Molter (1696-1765) aus Tiefenort, der seiner Nachwelt die schier unglaubliche Zahl von über 600 Kompositionen hinterließ. Oder Johann Theodor Roemhildt (1684-1756) aus Bad Salzungen, dessen Werke in großer Zahl schon in Barock-Zeiten im fernen Danzig auftauchten, wo sie heute noch gespielt werden. Oder die landgräfliche Familie eines Adolf und einer Wilhelmine Luise von Hessen-Philippsthal-Barchfeld (1743-1803), die sich nicht nur selbst musizierend betätigte, sondern seit Mitte des 18. Jahrhunderts Noten sammelte, um sich kulturbeflissen und modern zu zeigen. Oder die Adjuvanten-Kultur in Steinbach, die sich in der 1733 erbauten Barockkirche entwickelte und bis heute unter anderem in einer historischen Notensammlung - das Liebermann-Archiv - manifestiert.
Der musikalische und kulturelle Austausch zwischen diesen Gemeinden ist in barocker Zeit wahrscheinlich, die gemeinsame Tradition offensichtlich. Dass die drei Gemeinden mit dem großen "B" am Anfang samt ihrer Ortsteile nun nach einem im letzten Jahr gescheiterten Versuch im zweiten Anlauf zusammenfinden, ist gleich mehreren glücklichen Umständen zu verdanken.
Zum einen managt in Bad Liebenstein mit Christian Storch ein Musikwissenschaftler die Kultur. Die Steinbacher Adjuvanten- oder Barchfelder Barockmusikkultur zu beschreiben, ist ja erst einmal eine Voraussetzung für ein solches Festival. Notenschätze müssen aufgespürt, die Archive erforscht, Biografien beschrieben werden. Oft gibt es nur Autografen oder Abschriften von Hand. Mit all dem beschäftigt sich nicht nur, aber auch, Christian Storch.
Glücksfall Finanzierung
Zum anderen muss dieses musikalische Erbe auch spielbar gemacht werden - das ist die gar nicht so leichte Aufgabe der Ensembles, die Hess und Storch für dieses Festival animiert und eingeladen haben. Neben der Hamburger Ratsmusik, die Werke von Johann Melchior Molter spielen wird, präsentieren Dorothea Jakob und Christian Drengk Musik aus der Notensammlung des Barchfelder Adelsgeschlechts und sogar Stücke aus der Feder der Landgräfin Wilhelmine Luise. Steinbacher Adjuvantenmusik in Form von Trauermotetten kommt zur Aufführung. Und sozusagen als Krönung spielt das Baroque Ensemble Danzig Musik von Johann Theodor Roemhildt.
Es gibt noch einen weiteren, wenn man so will, Glücksfall. Und der heißt Thüringer Themenjahr Musik. Das Projekt erschien der Staatskanzlei 2020 als besonders förderwürdig. Mit dieser großzügigen finanziellen Unterstützung können nun die neun Veranstaltungen stattfinden. Das verleiht der "Straße der Barockmusik" zwar zunächst singulären Charakter, Hess und Storch arbeiten aber bereits daran, das Festival zu etablieren. "Ich denke, es kann der Grundstein für eine stärkere kulturelle Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden sein", sagt Hess. Die beteiligten Kommunen ergänzen sich zu einem "hochinteressanten Spektrum musikalischer Barockkultur im ländlichen Raum", schreiben die Ausstellungsmacher in der begleitenden Wanderausstellung. Ein Spektrum, das aus dem Zusammenspiel von in der Region geborenen Barockkomponisten, einer fürstlichen Musikkultur und einer Laienmusikbewegung besteht. Gewiss ist das nicht einmalig im Süden Thüringens, aber so klar greifbar und so ambitioniert in die Zeit getragen wie im Land der drei großen "Bs", ist es wohl nirgends. "Ziel ist, die Musik jener Zeit wieder zum Klingen zu bringen und das Bewusstsein der Menschen in unserer Region für ihr historisches Erbe zu schärfen." Und alleine aus diesem Grund ist dem Festival Publikum zu wünschen, das sich begeistern lässt von der ungeahnten barocken Kultur der eigenen Vorfahren.