Exportschlager Thüringen sucht den Supergimpel

Er war einmal ein Exportschlager aus dem Thüringer Wald: Bis nach St. Petersburg und London wurden die kleinen Tenöre nach ihrer Gesangsausbildung verkauft. Vor wenigen Jahren hielten ihn die Menschen am Rennsteig noch als Radioersatz im Haushalt - den Dompfaff, der auch Gimpel heißt. Nun feiern die Vögel ein Comeback.

 
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Hildburghausen - „Der Dompfaff, der hat uns getraut!“ zwitschert es beim „Zigeunerbaron“ im Opernhaus. Der Dompfaff heißt bei den Vogelkundlern Gimpel – das klingt nicht ganz so romantisch.

Für den Thüringer Wald hat er eine besondere Bedeutung. Und so dürfte es Vogelfreunde wie Volkskundler besonders freuen, dass der Dompfaff bei der diesjährigen Zählung der Wintergartenvögel unter Regie des Naturschutzbundes in Südthüringen ein nicht nur künstlerisches Comeback feiert. In Suhl wurde ein Viertel mehr von ihnen gesehen als 2021, in Schmalkalden-Meiningen sogar 89 Prozent mehr, im Kreis Hildburghausen ein Drittel mehr, im Ilm-Kreis und im Wartburgkreis fast 50 Prozent mehr. Nur im Kreis Sonneberg gab es ein leichtes Plus von einem Prozent, was aber immerhin noch für eine Platzierung in den dortigen Top Ten reicht – zwei Plätze besser als 2020.

Der Ostthüringer Zoologe Alfred Brehm hat in seinem weltberühmten Werk „Brehms Tierleben“ erstaunliches über die Gimpel im Thüringer Wald berichtet: „Im Gebirge nimmt man die jungen Gimpel, noch ehe sie flügge sind, aus dem Neste, um sie zu erziehen und zu lehren. Je früher man den Unterricht beginnen kann, um so günstiger ist das Ergebnis. Auf dem Thüringer Walde werden jährlich hunderte junger Gimpel erzogen und dann durch besondere Vogelhändler nach Berlin, Warschau, Petersburg, Amsterdam, London, Wien, ja selbst nach Amerika gebracht.“ Während es heute im Fernsehen heißt „Deutschland sucht den Superstar“, hieß es damals vermutlich „Thüringen sucht den Supergimpel“.

Mein Onkel Ernst in Gießübel, unterhalb des Rennsteigs, hat noch bis in die 1980er Jahre Gimpel in einem Käfig in der Küche gehalten. Ein Radio brauchte er nicht. In vielen Thüringer-Wald-Dörfern leisteten sich zahlreiche ältere Herren das gleiche Hobby. Dem Gimpel komme an Reinheit, Weichheit und Fülle des Tones kein deutscher Vogel gleich, schrieb ja auch schon Alfred Brehm 100 Jahre zuvor.

Der Unterricht beginnt vom ersten Tage ihrer Gefangenschaft an. Der menschliche Lehrer selbst muss das einzuübende Lied möglichst rein und immer gleichmäßig vortragen. Man hat versucht, mit Hilfe von Drehorgeln zu lehren, aber wenig Erfolg erzielt. Selbst die Flöte kann nicht leisten, was ein gut pfeifender Mund vorträgt. „Einzelne lernen ohne sonderliche Mühe zwei bis drei Stückchen, während andere immer Stümper bleiben; einzelne behalten das Gelehrte zeitlebens, andere vergessen es namentlich während der Mauser wieder“, meint der Forscher.

Alfred Brehm lebte in der Kaiserzeit und da hatte man es nicht so mit der politisch korrekten Sprache. Deshalb schreibt er unverblümt: „Auch die Weibchen lernen ihr Stücklein, obwohl selten annähernd so voll und rein wie die Männchen. Von diesen werden einzelne zu wirklichen Künstlern.“ Diese lernen oft die Weisen zweier Lieder und tragen sie so flötend vor, dass man sich nicht satt daran hören kann.

In früheren Zeiten sah man die Freiheitsberaubung des Singvogels nicht überdramatisch. „Abgesehen von der Gabe der Nachahmung, zeichnet sich der Gimpel vor allen übrigen Finken durch leichte Zähmbarkeit, unbegrenzte Anhänglichkeit und unvergleichliche Hingabe an seinen Pfleger aus, tritt mit diesem in ein inniges Freundschaftsverhältnis, jubelt in dessen Gegenwart, trauert in dessen Abwesenheit, stirbt sogar im Übermaße der Freude wie des Kummers, welchen ihm sein Herr bereitet“, berichtet Alfred Brehm. Schon zu seiner Zeit war das Fangen von Gimpeln aus der Natur verboten – die Zucht aber erlaubt.

„Gimpel sind nicht gefährdet“, beruhigt man beim Naturschutzbund. Sie bewohnen junge Nadel- und Mischwälder, Parks, Friedhöfe, Gärten oder Feldränder – Hauptsache es gibt viele Sträucher.

Einfaltspinsel mit großem Herz

So schön der Gimpel aussieht und singt – er ist auch etwas einfältig. Sein Name wird deshalb als Schmähung verwendet. Dabei zeigt er in der Trauerarbeit seine sympathisch-menschliche Seite.

„Gimpel – umgangssprachlich für einfältiger Mensch“, schreibt das Wörterbuch. Der Name Gimpel leitet sich vom bairischen Wort gumpen (hüpfen) ab. Er wird oft auf einen Leichtgläubigen angewandt, da sich der Vogel früher durch Nachahmung des weichen Stimmfühlungsrufs oder durch einen schon erbeuteten Lockvogel leicht fangen ließ. „ Es ist nicht zu leugnen, dass er ein argloser, den Nachstellungen der Menschen keineswegs gewachsener Gesell ist: er läßt sich leicht schießen und fangen. Doch ist seine Dummheit bei weitem nicht so groß als die der Kreuzschnäbel“, berichtet Alfred Brehm. Wäre der Gimpel wirklich so dumm, als man glaubt, wie könnte er Lieder so vollkommen nachpfeifen lernen?“, meinte der berühmte Zoologe.

Er hat aber auch die liebenswürdigen Seiten an dem Vogel entdeckt: „Ein hervorstechender Zug bei ihm ist die Liebe zu seinesgleichen. Wird einer von der Gesellschaft getötet, so klagen die anderen lange Zeit und können sich kaum entschließen, den Ort, wo ihr Gefährte geblieben ist, zu verlassen; sie wollen ihn durchaus mitnehmen. Dies ist am bemerkbarsten, wenn die Gesellschaft klein ist. Diese innige Anhänglichkeit war mir oft rührend. Einst schoß ich von zwei Gimpelmännchen, welche in einer Hecke saßen, das eine; das andere flog fort, entfernte sich so weit, dass ich es aus den Augen verlor, kehrte aber doch wieder zurück und setzte sich in denselben Busch, in welchem es seinen Gefährten verloren hatte. Ähnliche Beispiele könnte ich mehrere anführen.“

Der Gimpel ernährt seine Gattin nicht nur während sie brütet, „beide Eltern teilen sich in die Erziehung ihrer Kinder, welche sie äußerst zärtlich lieben und mit Lebensgefahr zu verteidigen suchen“, lobt der Forscher Brehm.

Angriffslustige Frauen

Mit seinem orange-roten Gewand und seiner schwarzen Kappe gleicht das Gimpel-Männchen einem Domherrn. Das Weibchen ist unauffälliger gefärbt, hat es dafür aber faustdick hinter den Ohren, schreibt Wolfgang Arnold vom Naturschutzbund:

Treffen sich nach der Jugendmauser zwei unbekannte Gimpel verschiedenen Geschlechts, ist ein interessantes Ritual zu beobachten: Zunächst fliegt das Weibchen mit drohend aufgeplustertem Bauchgefieder, aufgerissenem Schnabel und heiseren „Chuäh-Rufen“ auf das Männchen zu.

In der ersten Reaktion fliegt das Männchen oft weg (Männchen greifen instinktiv ein Weibchen nicht an). Bleibt es aber sitzen und zeigt seinerseits kein Imponiergehabe, wird es vom Weibchen unter „Chier-chier“-Rufen attackiert. Ergreift es nicht rechtzeitig die Flucht, kann es schwer verletzt oder gar getötet werden.

Weicht das Männchen dagegen nur etwas aus, plustert sich auf und zeigt so sein Interesse am Weibchen, stellt die Gimpel-Frau ihre Feindseligkeit ein. Die Vögel berühren sich mit ihrem Schnabel und schließlich kommt es zum „Zärtlichkeitsfüttern“. Dabei bettelt das Weibchen wie ein Jungvogel, indem es sich duckt und seine Flügel unter Zittern spreizt. Das Männchen füttert aus dem Kropf. So sichert es seine Dominanz. Die Paare bleiben das ganze Jahr zusammen.

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