Erstmals in Ausstellung Das Epitaph des Scharfrichters

In der Totenhofkirche erinnert ein Grabdenkmal an Jh. Hieronymus Wahl. Das Epitaph ist Teil einer geplanten Ausstellung über das Leben von vier Generationen Henker, Heiler, Menschen.

 
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Schmalkalden - Es ist kalt an diesem Dienstagmorgen in der Totenhofkirche. So kalt, dass der Atem dampft wie eine Lokomotive. Museumsdirektor Kai Lehmann scheinen diese einstelligen Temperaturen nichts auszumachen. Aufgeregt tritt er von einem Fuß auf den anderen. In wenigen Minuten wird er mit eigenen Augen sehen, was bisher nur aus Überlieferungen bekannt ist: Die Rückseite des Grabdenkmals für Jh. Hieronymus Wahl (1657-1681). Sohn des Otto Heinrich Wahl aus Dreißigacker. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts galt dieser vor allem bei Hexenprozessen als der Scharfrichter schlechthin. Auch Sohn Jh. Hieronymus, dessen Epitaph an diesem Vormittag „gehoben“ wird, war Scharfrichter. Lehmann beobachtet, wie der mächtige Stein vorsichtig von der Wand gelöst und auf ein Gerüst gehievt wird.

Angefangen habe alles mit einem Rechnungsbuch, auf das er im Staatsarchiv Meiningen gestoßen war, erzählt der Historiker – den Stein immer fest im Blick – vom Beginn (s)eines außergewöhnlichen Ausstellungsprojekts. Das Buch gehörte Johann Jeremias Glaser (1653-1724), Henker aus Meiningen und Wasungen – und Schwiegersohn des Jh. Hieronymus Wahl aus Schmalkalden. In diesem Rechnungsbuch hat Glaser auf 350 Seiten sein gesamtes Erwachsenen-Leben in Zahlen festgehalten. Jede Einnahme und jede Ausgabe, die er tätigte, schrieb er akribisch auf und konserviert das so für die Nachwelt. Und die kann sich glücklich schätzen, weil das Buch einen Blick auf den Menschen hinter der Maske des Scharfrichters wirft, sagt Lehmann. Auf die Lebenswelt des einfachen Volkes in der frühen Neuzeit. Erste Forschungsergebnisse hatte der mit seiner Hexenforschung bundesweit bekannte Historiker bereits vor Corona in einem Vortrag zusammengefasst. Nun stellt der für spannende und außergewöhnliche Projekte bekannte Kurator das facettenreiche Leben und Wirken von Johann Jeremias Glaser in den Mittelpunkt einer Ausstellung: „Der Henker des Herzogs“.

Mit der Totenhofkirche und dem Epitaph von Schwiegervater Jh. Hieronymus Wahl konnte ein authentischer Ort gefunden werden. Seit nunmehr 331 Jahren befindet sich dieser Stein vor beziehungsweise in der Totenhofkirche. Wann er an der Wand verschraubt worden ist? Keiner weiß es. Ein Foto von 1925 zeigt das Grabdenkmal noch draußen an der Kirchhofmauer. 1541 war der städtische Friedhof von der Stadtkirche hierher in die Sandgasse verlegt worden. Die kleine Kreuz-Kapelle wurde 1760 durch einen schlichten Bau aus Sandsteinquadern ersetzt. Erhalten geblieben sind die steinerne Kanzel von 1680 – und zahlreiche Epitaphien von Verstorbenen aus der Schmalkalder Oberschicht. Wozu offenbar der Scharfrichter Jh. Hieronymus Wahl gehörte. Denn solch ein Erinnerungsstein kostete die Hinterbliebenen eine Stange Geld, bezeugte den Wohlstand und das Ansehen des Toten. Wie das mit seinem Beruf übereingeht? Auch das – und vieles andere mehr wird Lehmann in der Ausstellung erklären. Kein geringerer als der Schauspieler Thomas Thieme schlüpft in die Rolle des Erzählers und jüngsten Sohnes des Scharfrichters, Johann Jeremias Glaser. Die Dreharbeiten unter Regie von Harald Rainer Gratz, nach dem Drehbuch von Kai Lehmann, sind abgeschlossen. Die graphische Gestaltung übernimmt wieder Ines Ulbrich. Sie ist einfach gut.

Die Spannung wächst. Das Epitaph ist freigestellt. Endlich hat der Museumsdirektor ein Gesicht vor Augen. Vorsichtig fährt er die erstaunlich gut erhaltenen Konturen des in Stein ausgehauenen Bildnisses nach. Dargestellt ist der Scharfrichter mit einer Allongeperücke, um den Hals trägt er ein gefaltetes Halstuch, der Vorgänger der Krawatte. Zu seinen Füßen Ehefrau Juditha und die 13 Kinder. Zwei verstarben früh. Auf dem Epitaph werden sie in Decken eingehüllt dargestellt. Kai Lehmann zeigt auf die Person ganz links. Das ist Heinrich Wahl, der später das Scharfrichteramt seines Vaters übernehmen wird. Erst in vierter Generation wird die Tradition unterbrochen. Der Urenkel von Otto Heinrich Wahl sollte nach seinem Studium der Medizin und Philosophie Stadtarzt in Suhl werden.

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