Entwarnung für Thüringen Wenn die Pilze strahlen

Der Hallimasch, den ein Pilzsammler hier entdeckt hat, gehört zu den weniger belasteten Pilzarten. Foto: dpa/Matthias Bein

Die Trockenheit in diesem Jahr dürfte auch den Pilzsammlern in Thüringen eine eher geringe Ausbeute bescheren. Immerhin müssen sie sich weniger Sorgen um die radioaktive Belastung machen.

 
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Auch mehr als 35 Jahre nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl ist das Thema der radioaktiven Belastung noch nicht abgehakt. Das zeigt der aktuelle Pilzbericht des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS). Demnach können Wildpilze in Süddeutschland weiterhin oberhalb des geltenden Grenzwertes mit radioaktivem Cäsium belastet sein.

Die gute Nachricht für Thüringer Pilzfreunde: Der Bericht geht hier von einer deutlich niedrigeren Strahlenbelastung aus. Der Grund liegt demnach immer noch in der radioaktiven Wolke, die nach dem Reaktorunglück 1986 über Europa gezogen war und sich an bestimmten Stellen niedergeschlagen hat – und hier war Thüringen offenbar nicht so stark betroffen wie zum Beispiel das Voralpenland. Allerdings kommt es auch in Thüringen immer noch vor, dass erlegte Wildschweine nicht in den Handel gebracht werden dürfen, weil sie zu sehr radioaktiv belastet sind. Die aktuellsten Zahlen stammen aus dem Jahr 2018, als dies auf 81 Wildschweine zutraf – bei knapp 29 500, die in dem Jahr von Jägern geschossen wurden.

Grenzwerte im Handel

Grund für die Vorsicht ist das Radionuklid Cäsium-137, das bei dem Reaktorunglück von Tschernobyl freigesetzt wurde. Ein geringerer Teil der Strahlenbelastung stamme aber auch aus oberirdischen Atomwaffentests der 1950er und 1960er Jahre, heißt es in dem Bericht. Er basiert auf jährlichen Untersuchungen von Wildpilzen im süddeutschen Raum. Dabei wurden in den vergangenen Jahren zum Beispiel Höchstwerte von bis zu 2100 Becquerel (Bq) pro Kilogramm bei Maronenröhrlingen gefunden. Das ist deutlich mehr als die 600 Bq, die als Grenzwert für Pilze gelten, die in den Handel kommen dürfen. Was also auch bedeutet, dass frische Pilze aus dem Handel auf diesen Wert getestet sind – während bei selbst gesammelter Ware die Belastung natürlich nicht geklärt ist.

Die Zahlenwerte bedeuten jedoch auch nicht, dass jemand, der selbst gesammelte Pilze ist, die den Grenzwert überschreiten, nun sofort tot umfällt. Die Strahlenschutzexperten erläutern im Zusammenhang mit dem Bericht: „Als Faustregel gilt, dass die Aufnahme von 80 000 Bq Cäsium-137 mit Lebensmitteln bei Erwachsenen zu einer Strahlenexposition von etwa 1 Millisievert (mSv) führt.“ Würde man also das ganze Jahr über eine Mahlzeit pro Woche (mit 200 Gramm) der am höchsten belasteten Maronenröhrlinge essen, kommen insgesamt 0,27 Millisievert zusammen. Und das entspreche etwas mehr als einem Zehntel der Strahlung, der wir ohnehin aus natürlichen Quellen in Deutschland während eines Jahres ausgesetzt sind (2,1 mSv). Oder einer Strahlendosis wie bei 20 Flügen in dem Jahr von Frankfurt nach Gran Canaria.

Damit gilt die Warnung der Präsidentin des Strahlenschutzamtes, Inge Paulini, vor allem für die besonderen Risikogebiete: „In diesen Gebieten – etwa dem Bayerischen Wald, dem Alpenrand und dem Donaumoos südwestlich von Ingolstadt – sollte man selbst gesammelte Pilze nur in Maßen verzehren, um eine unnötige Strahlenbelastung zu vermeiden“, sagt Paulini. Eine Orientierung könne der Pilzbericht des BfS geben, in dem aufgezeigt wird, welche Speisepilzarten hohe Cäsium-Werte aufweisen.

Pilzart spielt eine Rolle

Besonders hohe Werte bis über 4000 Becquerel seien in den letzten drei Jahren etwa bei Semmelstoppelpilzen und Rotbraunen Semmelstoppelpilzen gefunden worden. Über 1000 Bq pro Kilogramm lagen die Messwerte von verschiedenen Schnecklingsarten, Gelbstieligen Trompetenpfifferlingen, Gemeinen Rotfußröhrlingen, Maronenröhrlingen, Mohrenkopfmilchlingen, Ockertäublingen, Rotbraunen Scheidenstreiflingen, Seidigen Ritterlingen, Violetten Lacktrichterlingen und Ziegenlippen.

Mit weniger als zehn Becquerel pro Kilogramm sehr gering belastet waren den Angaben zufolge Beutelstäubling, Birnenstäubling, Blutender Waldchampignon, Blutroter Filzröhrling, Brauner Riesenscheidenstreifling, Braunroter Ledertäubling, Braunschuppiger Riesenchampignon, Faltentintling, Hasenröhrling, Honiggelber Hallimasch, Judasohr, Kurzstieliger Weichritterling, Mönchskopf, Riesenporling, Safran-Riesenschirmling, Schiefknolliger Anischampignon, Schopftintling, Schwarzblauender Röhrling, Sternschuppiger Riesenschirmling, Weißer Büschelrasling, Würziger Tellerling, Zitterzahn, Zweifarbiger Lacktrichterling und Zweifarbiger Scheidenstreifling.

Zuchtpilze wie Champignons und Austernseitlinge waren für den Bericht nicht untersucht worden. Ihr Cäsium-137-Gehalt sei äußerst gering und mit dem anderer landwirtschaftlicher Produkte vergleichbar.

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