Info: Der Erste Weltkrieg und die Brandherde des 20. und 21. Jahrhunderts
Folgen
Die Bedeutung des Ersten Weltkriegs für die Welt von heute zeigt auch eine Analyse seiner historischen Auswirkungen auf die Brandherde des 20. und 21. Jahrhunderts. Sie alle tragen das Erbe des ersten globalen Waffengangs in sich:
Deutschland
Für Deutschland war der Friedensvertrag von Versailles am 28. Juni 1919 eine gesellschaftspolitische und ökonomische Hypothek, an der die Weimarer Republik scheiterte. Reparationszahlungen, Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise sowie der Revanchismus der nationalen Rechten schufen neuen Hass, der sich im Aufstieg des Faschismus und im Zweiten Weltkrieg entlud.
Russland
In Russland erwuchs aus dem Untergang des Zarenreiches ein neuer Gigant auf der Weltbühne. Die bolschewikische Revolution war nur der Beginn eines millionenfachen Leidens des russischen Volkes. Allein der Bürgerkrieg 1918 bis 1920 kostete bis zu 13 Millionen Menschen das Leben. Es folgten die Stalin-Diktatur, der Kampf gegen Hitler-Deutschland und der Kalte Krieg.
Naher Osten
Auch der Nahost-Konflikt hat seine Wurzeln im Ersten Weltkrieg. Noch während der Kriegswirren hatten Frankreich und Großbritannien im Sykes-Picot-Abkommen vom 16. Mai 1916 ihre Einflussgebiete im heutigen Israel, Irak, Iran, Jordanien, Libanon und Syrien abgesteckt. Ohne die willkürlichen Grenzziehungen würde die politische und religiöse Landkarte des Nahen und Mittleren Ostens heute anders aussehen. Als die Briten 1920 das Mandat über Palästina übernahmen, zerschlugen sich sich jüdische und arabische Hoffnungen auf das Gelobte Land – und auf einen dauerhaften Frieden in Nahost. Die vier israelisch-arabischen Kriege von 1948, 1956, 1967 und 1973 sowie die Konflikte im Irak und in Syrien, in Gaza und im Westjordanland sind ohne die Vorgeschichte des Ersten Krieges nicht denkbar.
Osmanisches Reich
Aus den Trümmern des Osmanischen Reiches schuf General Mustafa Kemal die säkulare türkische Republik – wofür er den Ehrennamen Atatürk („Vater der Türken“) erhielt. Die von ihm eingeleitete laizistische Modernisierung barg indes die Gefahr innenpolitischer Spannungen und einer Reislamisierung.
Osteuropa und Balkan
Für Polen, Litauer, Esten, Letten, Tschechen und Slowaken sowie die Balkanvölker markiert der Krieg den Beginn ihrer nationalen Wiedergeburt. Doch das machtpolitische Vakuum, das der Zusammenbruch Österreich-Ungarns und des Zarenreiches hinterließ, führte zu neuen Konflikten. Die Kriege in Ex-Jugoslawien gegen Ende des 20. Jahrhunderts sind ohne dieses fragile politisch-ethnische Erbe nicht denkbar. „Der postimperiale Balkan macht den Europäern bis heute zu schaffen, und eine Änderung ist nicht abzusehen“, schreibt Münkler. „Dass im Umgang mit diesem Raum äußerste Vorsicht geboten ist, ist eine der politischen Lehren des Ersten Weltkrieges.“
USA
Der „Kreuzzug der Demokraten“, wie der „Spiegel“ den Kriegseintritt der USA einmal titulierte, war der Beginn der Geburt einer neuen Supermacht. Die anfängliche Zurückhaltung der US-Regierung von Woodrow Wilson (1913 bis 1921) vor allem einer starken isolationistischen Haltung in der amerikanischen Bevölkerung geschuldet. Erst nach langem Zögern schickten die USA im April 1917 ihre Truppen auf die europäischen Schlachtfelder. Ihre rund 2,1 Millionen Soldaten brachten die Wende. Und dennoch scheiterte Präsident Wilsons Traum vom gerechten Frieden und einer neuen Weltordnung. Ohne dieses Engagement hätte der Kriegsverlauf ein anderer sein können. Ganz zu schweigen von dem Sieg der US-Demokratie über das faschistische Deutschland und Italien sowie Japan.
Japan und China
Dem Aufstieg des japanischen Kaiserreiches zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgten Anfang und Ende seines fernöstllichen Imperiums. Japans Kapitulation am 2. September 1945 beendete den Zweiten Weltkrieges und schuf zugleich die Basis für den Aufstieg einer neuen fernöstlichen – Chinas. Die Erben Maos sind inzwischen zum einzigen gleichwertigen Konkurrenten der nach dem Ende des Kalten Krieges einzig verbliebenen Supermacht USA avanciert.