Elektromobilität Studie sieht Potenzial bei Nutzfahrzeugen

Noch werden die meisten leichten Transporter – wie hier bei Mercedes in Ludwigsfelde – mit einem Verbrennungsmotor gebaut. Doch auch dieser Markt steht vor einem Wandel. Foto: dpa//Patrick Pleul

Bei den Pkw hat sich der Elektroantrieb inzwischen durchgesetzt. Die Zulassungszahlen steigen und steigen. Doch bei Lieferwagen dominiert der Diesel. Hier könnten Thüringer Zulieferer sich einen Markt erobern.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Erfurt - Mitten in der Corona-Pandemie ist auf dem Automarkt etwas passiert: Die Trendwende zur Elektromobilität ist zumindest bei den Personenwagen nicht mehr zu übersehen. Zu diesem Urteil kommt der Branchenverband Automotive Thüringen. Eine Studie des Zusammenschlusses der Thüringer Automobilzulieferindustrie kommt nun zu dem Ergebnis, dass diese Trendwende nun in einem zweiten Fahrzeugsegment unmittelbar bevorsteht. Bei den leichten Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen.

Das Chemnitz Automotive Institute (Cati) kommt in seiner Untersuchung des Marktes zu dem Ergebnis, dass er vor einem grundlegenden Wandel steht. Noch dominiert in Europa bei den kleinen Lieferwagen der Diesel mit einem Marktanteil von 80 Prozent der Neuzulassungen. Doch viele jungen Start-ups würden in den Markt drängen und den wandel beschleunigen, schreibt das Institut in seiner am Freitag veröffentlichten Studie.

Der Automotive Thüringen sieht dadurch Herausforderungen und Chancen für die Unternehmen im Freistaat. „Wir sehen gute Chancen für Lieferanten mit Leichtbau-, Interieur- und Elektronik-Kompetenz, sich neue Geschäftsfelder zu erschließen. Auch für die Aufbauhersteller, die in der Wertschöpfungskette für leichte Nutzfahrzeuge eine wichtige Rolle spielen, entstehen neue Anforderungen. Und auch neue Anbieter mit entsprechenden Leistungsprofilen haben gute Aussichten. Wir werden uns als Automotive Thüringen darum kümmern, diese Potenziale für die Region weiter zu konkretisieren“, erklärte Rico Chmelik, Geschäftsführer des AT, am Freitag.

Leichte Nutzfahrzeuge kommen insbesondere in den Bereichen Lieferdienste, Handel, Dienstleistungen, Baugewerbe, Handwerk und kommunale Betriebe zum Einsatz. Sie sind aus dem Bild der Städte kaum noch wegzudenken, sorgen aber insbesondere in Großstädten für Verkehrsprobleme. Denn durch die Zunahme des Online-Handels kommt es dort zu einem regelrechten Stau der Lieferwagen.

In allen Segmenten sei die wichtigste Anforderung an die Fahrzeuge gleich: Die Wirtschaftlichkeit der Nutzung allerhöchste Priorität. Faktoren wie Anschaffungspreis, Betriebskosten, Nutzungsdauer, Nutzraum, Nutzlast, Reichweite sind bislang nach Einschätzung der Chemnitzer Wissenschaftler eine hohe Marktbarriere für den Einsatz elektrischer leichter Nutzfahrzeuge dar.

Zudem seien die Kleintransporter bei den Umweltauflagen durch die Politik bislang vergleichsweise glimpflich davon gekommen. So schreiben die Autoren der Studie, dass die bis 2020/21 äußerst moderaten CO2-Grenzwerte für leichte Nutzfahrzeuge bislang keine Impulse für eine Trendumkehr zu emissionsarmen Antrieben auslösen konnten. „Diese Schonfrist ist nun vorbei. Die jetzt durch die EU für 2025 und 2030 festgelegten Grenzwerte sind mit dem heutigen Antriebsmix nicht mehr zu erreichen“, erklärte AT-Geschäftsführer Chmelik.

Und die Hersteller würden darauf reagieren, heißt es in der Studie. So habe sich im vergangenen Jahr und in diesem Jahr das Angebot an elektrisch angetriebenen leichten Nutzfahrzeugen verdoppelt. Hinzu kämen neue, junge Unternehmen, die ein Geschäft mit den Lieferwagen wittern. Das sei neu für einen Markt, der bislang von einigen wenigen Herstellern dominiert worden sei. Doch insbesondere in den USA und in Großbritannien würden Start-ups auf den Markt drängen, die über erhebliches Kapital verfügen würden. Gleichzeitig stehe in Deutschland der Pionier der Elektrofahrzeuge, Street-Scooter, vor dem Aus. Das Unternehmen hatte vor allem die Deutsche Post mit Elektrofahrzeugen ausgerüstet. Droht Deutschland also bei den elektrischen Nutzfahrzeugen ein ähnlicher Fehlstart wie bei den Pkw? Hier war der US-Autobauer Tesla zunächst belächelt worden, nun hechelt die gesamte Autowelt dem Unternehmen von Milliardär Elon Musk hinterher.

Laut Studie würden sich auch bei den leichten Nutzfahrzeugen alle Hersteller auf Batterie-elektrische Antriebe. konzentrieren. Und das zeigt Wirkung: 2020 haben trotz der Branchenkrise die Neuzulassungen Batterie-elektrischer leichter Nutzfahrzeuge um 40 Prozent zugelegt. Allerdings ist das Ausgangsniveau noch sehr niedrig.

Die Studie des Cati erwartet bis 2030 bei elektrischen leichten Nutzfahrzeugen ein jährliches Wachstum von 25 Prozent. Zur Überwindung der Marktbarrieren sind nach Ansicht der Studien-Autorin Werner Olle und Daniel Plorin drei technologische Trends von hoher Bedeutung, die von Herstellern und Start-ups gegenwärtig vorangetrieben würden: Analog zum Pkw würden auch bei den Nutzfahrzeugen neue Plattform-Strukturen, die optimalen Nutzraum anbieten und durch Skalierbarkeit hohe Stückzahlen und damit Kostendegressionen zulassen, vorangetrieben.

Außerdem würden die Fahrzeuge in Module zerlegt. das gelte sowohl für die Fahrzeugarchitektur als auch die Aufbauten. Dies trage zur Senkung der Kosten bei, sie aber gleichzeitig auch Herausforderung für die Zulieferer, mit passenden Komponenten rechtzeitig in den Startlöchern zu stehen.

Ein weiterer Trend sei Leichtbau bei den Fahrzeugen und bei den Aufbauten. So solle das Mehrgewicht der neuen Antriebe kompensiert werden, um die altbekannte Nutzlast auch in Zukunft garantieren zu können. Schließlich würde kein Handwerker einen elektrisch angetrieben Transporter kaufen, wenn er damit nur noch die Hälfte des Materials transportieren könnte. All diese Trends müssten Thüringens Zulieferer bedienen, um von der Elektro-Welle der Kleintransporter profitieren zu können, so Chmelik.

Autor

Bilder