Eisenbahntheater Grenzöffnungsgeschichten im Zug

Zwischen Hoffen und Bangen: Die Zugreisenden damals. Foto: Jens-Erwin Siemssen

Der Theaterzug „Das letzte Kleinod“ zeigt sein neues Stück „Über den Zaun“. Dafür machen sie für sechs Aufführungen in Stützerbach Station.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Das Eisenbahntheater „Das Letzte Kleinod“ widmet sich in diesem Sommer einem besonderen Kapitel der deutsch-deutschen Geschichte: Im September 1989 kletterten Tausende von DDR-Bürgern über den Zaun der Prager Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, um damit ihre Ausreise in den Westen zu erwirken.

Im April dieses probt das Theater am originalen Schauplatz im Garten der Botschaft. Im Stück wirken drei junge Schauspieler aus Russland mit, die kürzlich vor der Mobilisierung nach Deutschland geflüchtet sind. Das Letzte Kleinod erzählt diese Geschichte in „Über den Zaun“ in einer reisenden Aufführung an zehn Bahnhöfen in Ost und West. Hierfür berichteten Zeitzeugen über ihre Erlebnisse, die in und um einem Reisezugwagen in Szene gesetzt werden. Bereits zum dritten Male macht der ozeanblaue Zug des Theaters auch Station in Stützerbach. Das Letzte Kleinod war schon im Jahre 2019 mit „Spitzkehre“ und 2022 mit der Vorstellung „Amerikalinie“ und dem Ozeanblauen Zug zu Gast im Ilmenauer Ortsteil.

Auch für die diesjährigen Aufführungen hofft man auf ebenso große Resonanz wie in der Vergangenheit. Zur Geschichte von „Über den Zaun“: Zuerst waren es nur ein paar Dutzend DDR-Bürger, die ihre Ausreise in die Bundesrepublik erzwingen wollten. Nach und nach kletterten immer mehr über den Zaun der Deutschen Botschaft in Prag. Die Botschaft verwandelte sich innerhalb weniger Tage in ein Flüchtlingslager. Frauen und Kinder wurden in den Räumen der Botschaft untergebracht, für die Männer stellte das Rote Kreuz Klappbetten unter freiem Himmel auf. Aus der Nachbarschaft wurden Lebensmittel durch den Zaun gereicht. Die Lage spitzte sich zu, am Ende kampierten 4000 Personen auf dem Anwesen der Botschaft.

Schließlich gab die DDR-Regierung nach und gestattete die Ausreise nach Westen. Am Bahnhof Prag-Liben stellte die Deutsche Reichsbahn mehrere Reisezüge bereit. Die Strecke wurde durch Polizeieinheiten streng abgeschirmt. Noch im Zug wurden den Geflüchteten die Pässe abgenommen und die Ausbürgerung vollzogen. Zahlreiche Menschen säumten die Gleise. Immer wieder wurde der Zug an Bahnhöfen und Übergängen gestoppt, Einzelnen gelang es sogar, in den Zug zu steigen. Unter Tränen und Jubel fuhren die Züge schließlich im Bahnhof der damaligen Grenzstadt Hof ein.

Die DDR-Regierung stellte für die Genehmigung der Ausreise eine Bedingung: Die Übersiedlung sollte mit Reisezügen durch das Staatsgebiet der DDR erfolgen, um die souveräne Entscheidung der Regierung zu unterstreichen.

Das Theaterprojekt setzt sich mit einer Geschichte auseinander, welche maßgeblich zur Öffnung der Grenzen und zum Fall der Mauer beigetragen hat. Die Ereignisse von 1989 haben viele Lebensbahnen in ganz unterschiedliche Richtungen gelenkt.

Die dokumentarische Theatervorstellung wird nach den Erzählungen von Zeitzeug:innen entwickelt. Geflüchtete, Botschaftsangehörige, Rote-Kreuz-Helferinnen, Nachbarn des Botschaftsviertels und Eisenbahner erinnern sich an die Geschehnisse dieses Spätsommers.

Das Stück „Über den Zaun“ wird in fünf Bildern inszeniert. Die ersten vier Bilder werden simultan für jeweils 30 Besuchende gespielt, die Zuschauenden werden von Spielort zu Spielort geführt. Im letzten Bild kommen alle Akteure und Besuchende vor dem Ozeanblauen Zug zusammen. Die Bühnenbilder auf und an den Waggons werden mit authentischen Objekten gestaltet, die unmittelbar mit den Berichten der Zeitzeug:innen zusammenhängen. So werden auf ungewöhnliche Weise unter anderem Zeltgestänge, Zaunelemente und ein Trabi in die Inszenierung mit einbezogen.

Autor

Bilder