Einmalig in Europa Zum Henker mit den Klischees

Die Totenhofkirche zeigt die bewegte Geschichte des Johann Jeremias Glaser. Am Donnerstagabend wurde die neue Sonderausstellung über den „Henker des Herzogs“ eröffnet.

 
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Züngelnde Flammen, die Assoziationen einer Hexenverbrennung hervorrufen, ein Richtschwert, mit dem einst Verurteilte enthauptet wurden, furchteinflößende Folterinstrumente, Epitaphien von Verstorbenen aus der Schmalkalder Oberschicht, Mobiliar, Musikinstrumente, ein berühmter Audioguide, Informationen auf den ersten – und zweiten Blick. Wow. Wohl jedem, der am Donnerstag in die Totenhofkirche eintrat, entschlüpfte unwillkürlich dieses Wörtchen der Bewunderung.

Mehr als 200 Besucher aus Schmalkalden und Umland wollten bereits am Eröffnungsabend die neue Sonderausstellung „Der Henker des Herzogs“ sehen. Sich mitnehmen lassen in die Welt des Johann Jeremias Glaser (1653-1725). Eintauchen in das Leben eines Menschen aus der frühen Neuzeit, seines Zeichen Scharfrichter, Abdecker, Heiler, Betriebs- und Finanzwirt, Arbeitgeber, liebender und freigiebiger Familienvater. Der Henker – ein vielseitiger Menschenkenner.

Mit Thomas Gäbel hatte sich sogar ein Nachfahre des Johann Jeremias Glaser unter das Publikum gemischt. Der 58-Jährige aus dem Werratal ist mütterlicherseits mit der Henkerdynastie verwandt. Sein Opa Karl Schäfer war Abdecker, der letzte, 1953 wurde sein Betrieb in Schwallungen enteignet. Seit etwa 20 Jahren widmet sich Gäbel seinen Henkersahnen, von denen er erst nach der Wende erfuhr, vom Cousin seiner Mutter. Selbst die war ahnungslos. Der Sohn geht auf Spurensuche, befragt Verwandte, stöbert in Archiven und Netzwerken. Bis ins Jahr 1540 reicht inzwischen der Stammbaum, den Gäbel erstellt hat. Namen von etwa 15 000 Scharfrichtern und Abdeckern hat er inzwischen zusammengetragen. Neben Glaser taucht die vor allem in Bayern bekannte Henkersfamilie Schleehuber auf. Auch der Name Johann Reichhardt (1893-1972) steht auf der Ahnentafel. Zuerst köpfte der deutsche Scharfrichter Mörder in der Weimarer Republik, dann Nazi-Gegner im Dritten Reich und nach dem Krieg zum Tode verurteilte Nationalsozialisten. Es gab halt solche und solche.

Gäbel weiß, dass er als Nachfahre nichts damit zu tun hat. Trotzdem hat er hin und wieder das Gefühl, ihm haftet noch etwas davon an. Er selbst findet diesen Teil seiner Familiengeschichte nicht gruselig – was auch die „hoch interessante Ausstellung“ von Kai Lehmann deutlich mache. Gäbel ist dem Historiker dankbar, das er an einem konkreten Beispiel „aufdeckt, wie es wirklich war“ und damit Männer wie Johann Jeremias Glase vom Ruch des ehrlosen Henkers befreit hat.

Wenn Museumsleiter Lehmann als Kurator zu Ausstellungen einlädt, ist der Wow-Effekt garantiert, da ist halb Schmalkalden auf den Beinen, wunderte sich Bürgermeister Thomas Kaminski nicht ob des großes Interesses. Immerhin waren mit Markus Böttcher (Steinbach-Hallenberg) und Kay Goßmann (Brotterode-Trusetal) auch zwei Bürgermeister aus der Nachbarschaft gekommen. Kaminski erinnerte an vorherige Projekte wie „Der Dreißigjährige Krieg“ oder „Fatale Lust“. Mit „Luther und Hexen“ hatte es der promovierte Historiker sogar in die beliebte ZDF-Sendung „Terra X“ geschafft. Der Stadtchef schwärmte von der Kunst, die Lehmann beherrsche, die Kunst, mit Geschichte alle Menschen anzusprechen. Mit einer reißerischen Überschrift, aber nicht „to much“.

Wow. Von der bundesweit einmaligen Ausstellung – wie der Kurator wagt zu behaupten – konnte sich auch Jörg Schmid, Referatsleiter Museen in der Thüringer Staatskanzlei überzeugen. Die Botschaft, die er mit nach Erfurt nahm: Die Fördermittel des Freistaates sind gut angelegt.

Bis zur letzten Sekunde hatten Lehman und sein Team aus Designern, Künstlern, Techniker, Handwerkern gebohrt, geschraubt, geputzt, Vitrinen gefüllt und Licht installiert. An diesem Abend fielen deshalb auch ihre Namen: Ines Ulbrich, Walter Nickel, Harald Rainer Gratz, Thomas Thieme, Ralf Kleinsteuber, Matthias Boennen, Frieder Just, Christian Dornheim und das Museumsteam, das seinem Chef den Rücken freigehalten hat. „Großes Kino“, bedankte sich Lehmann, wie auch bei den Geldgebern wie dem Landkreis Schmalkalden-Meiningen, dem Kulturzweckverband und der Stadt Schmalkalden.

Die Sonderausstellung „Der Henker des Herzogs“ ist mittwochs bis sonntags, von 11 bis 17 Uhr, geöffnet. Sonderführungen werden wieder angeboten, verspricht Museumsdirektor und Kurator Dr. Kai Lehmann. Der Eintritt kostet fünf Euro, drei Euro ermäßigt. Kinder bis 18 Jahre sind frei.

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