Eine wahre Weihnachtsgeschichte Weihnachten nach der Flut ohne eigenes Zuhause

Heiligabend werden die Erinnerungen wieder hochkriechen bei Brigitte und Bernd Freytag. Die beiden einstigen Suhler haben in ihrer Wahlheimat im Ahrtal so gut wie alles verloren. Trotzdem feiern sie Weihnachten mit der Familie.

 
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Familien und Freunde bei Aufräumarbeiten am Haus der Freytags, nachdem die Fluten sich zurückgezogen haben. Foto:  

Suhl - Dort, wo das Wohnhaus von Brigitte und Bernd Freytag steht, gibt es in diesem Jahr keinen Weihnachtsbau, keine leuchtende Dekoration und auch keine Bescherung. Denn an Wohnen ist hier noch lange nicht zu denken. Das Weihnachtsfest will die Familie trotz Allem feiern. Ein Stückchen Normalität muss ganz einfach sein.

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Direkt nach der Flut war die Hoffnung groß, dass das Ehepaar nach ein paar Monaten wieder zurück in ihr Heim kehren könnte. Aber: In dieser Woche ist es bis auf den Rohbau entkernt worden. Putz, Fliesen, Leitungen, Fenster – alles musste raus. Zu viele bleibende Schäden hat das Wasser angerichtet. „Es stehen nur noch die Wände. Wir hoffen, dass bis zum 31. Dezember der Rohbau fertig ist“, sagt der Familienvater.

Geblieben ist den Beiden nicht viel. All das, was die Familie retten konnte, das musste sie nach und nach doch noch wegwerfen, weil die Feuchtigkeit im Nachgang so viel kaputt gemacht hat. Dabei sind die Freytags noch recht gut weggekommen. Während talaufwärts viele Häuser ganz oder teilweise weggerissen wurden, hatte bei ihnen die braune Brühe den gesamten Keller geflutet und stand bis zu 40 Zentimeter hoch im Erdgeschoss. Zwar sind sie elementarversichert. Aber das, was Außenstehende als Glücksfall ansehen, hat sich als Klotz am Bein erwiesen. Die Versicherung braucht Wochen, um Angebote frei zu geben. Schnelles Bauen und eine schnelle Rückkehr – daran ist im Moment gar nicht zu denken.

2016 sind die Freytags von Suhl nach Bad Bodendorf im Ahrtal gezogen, haben viel Geld investiert und sich ein gemütliches Nest geschaffen. Und zwar, um Tochter Kathrin nahe zu sein, die sich in Bad Neuenahr eine Existenz mit eigener Praxis für Kindertherapien aufgebaut hatte. Das Gebäude, in dem die Praxis eingerichtet war, ist total zerstört. Erst drei Wochen vor der Flut hatte die junge Frau noch einen großen Sportraum eröffnet. Jetzt steht das Gebäude wahrscheinlich zum Abriss.

Sie selbst hat mit ihrem Mann Stefan und den drei Kindern in einem Energiesparhaus gewohnt. Bis zur Flut. Dorthin hatten sich die Eltern Bernd und Brigitte Freytag an diesen verhängnisvollen Tag geflüchtet. Was sie dabei erleben mussten, hört sich wie ein Albtraum an: „Ich hatte draußen zu tun, den Wohnwagen anzubinden, da er langsam wegschwamm. Da stand das Wasser bereits bis zur Hüfte. Es stieg aber sehr schnell weiter, füllte den Keller bis zur Decke und drang schon in die Wohnung ein. Auf der Straße schwammen die ersten Autos, Holz und Müllkübel vorbei und die Strömung nahm zu. Das Wasser stand bereits schulterhoch als wir uns entschlossen, zum Haus unserer Tochter zu flüchten. Das ging schon nicht mehr zu Fuß, sondern schwimmend oder mehr, indem wir uns an Gegenständen in der Flut festhielten, bis wir über den Hof an das hintere Fenster das Hauses gelangten. Als mein Schwiegersohn das Fenster gegen den hohen Wasserdruck aufbekam, schossen wir quasi mit der Flut in das untere Geschoss des Hauses und retteten uns in die obere Etage. Meiner Frau kommen immer die Tränen, wenn wir das erzählen. Mich hat es wieder die ganze Nacht beschäftigt“.

Bei allem Unglück hat die Familie das Glück gehabt, in der Nähe ihrer alten Wohnstätten unterzukommen. Wenn auch recht bescheiden. Tochter Kathrin hat mit Familie eine Zweiraumwohnung mieten können. Und die Freytags sind in einer möblierten Junggesellenwohnung eingezogen.

Dort hat Mutter Brigitte ein kleines Wunder geschaffen. Alles ist weihnachtlich herausgeputzt. Der Baum ist schon längst aufgebaut und geschmückt. Tochter Kathrin hat den Eltern einen Adventskranz geschenkt. Die Schwester von Brigitte Freytag hat Räuchermännchen spendiert.

„Heiligabend wollen wir zur Tochter und den Enkeln zur Bescherung. Das ist ja nicht weit entfernt“, freuen sich die Freytags. Tags darauf kommt die Familie dann bei ihnen zum Essen zusammen. Dann wird es zwar etwas eng, aber keiner muss alleine sein. Dieses Jahr ist eben alles anders. Auch wenn sich ringsum das Dorf und viele Helfer so viel Mühe geben. Ein Weihnachten, wie es immer war, wird es diesmal nicht. So wurde beispielsweise ein Lampion-Umzug mit Kapelle im Ort organisiert. Vor ein paar Tagen sind 1500 Traktoren, die mit Lichterketten geschmückt waren, durch das Ahrtal gefahren. Selbst ein Weihnachtsmarkt sollte her. Der musste aber wegen Corona abgesagt werden.

Eine Initiative in Bad Brückenau hat Flutopfer für ein paar Tage zu sich geholt. „Da war ich auch eine Woche mit meiner Frau. Die Leute, die uns empfangen hatten, die waren wieder bei uns und haben sogar Geschenke gebracht“, zeigt sich Bernd Freytag bewegt.

Die Gefühlswelt, die die Familie noch immer durchlebt, ist kaum zu beschreiben. So lange sie selbst am Haus mit gearbeitet haben, da wurde sogar manchmal wieder gelacht. Aber seit die Arbeit ruht, kommen solche Fragen auf, ob die Schäden überhaupt bezahlbar sind und wie es weiter gehen soll. Wenn sie dann mit anderen Betroffenen zusammen sitzen, dann sind die Bilder aus dem Juli wieder präsent. Dann denken sie an das, was sie geschaffen und an nur einem Tag verloren haben. Bernd Freytag zählt auf, woran er sich erinnert: „An das neue Bad und das Büro mit Lesezimmer. An den über Jahre eingerichteten Sportraum im Keller. An den Sommergarten mit Beamer für die langen lauen Abende. An den Swimmingpool, der erst zwei Wochen zuvor fertig wurde und worauf sich besonders unsere Enkelkinder riesig freuten. An unseren Blumen- und Obstgarten mit neuen Weinreben an einer Pergola, der dieses Jahr eine gute Ernte versprach. Aber auch an die Erfüllung meines Lebens-Wunsches, wieder ein eigenes Motorrad zu besitzen, der zwei Wochen vor der Flutkatastrophe in Erfüllung ging... Viele dieser Verluste zerreißen einem das Herz und sind nicht mit Geld auszugleichen. “

Aber die Freytags erinnern sich auch an die vielen Helfer, die Spenden, die Mutmacher. Selbst aus Suhl kamen Anfragen, ob man nicht helfen könne. Die Gelder von „Freies Wort hilft“ waren die ersten Spenden, die an Betroffene in Bad Bodendorf direkt ausgezahlt wurden. „Wir haben von Bekannten und Freunden aus Suhl direkt Spenden erhalten, wofür wir uns noch einmal ganz herzlich bedanken wollen. Nicht zuletzt möchte ich Jörg Fischer persönlich Dankeschön sagen. Er stammt aus Zella-Mehlis und ist ein Helfer der ersten Stunde im Ahrtal. Er stand und steht mir stets mit Rat und Tat zur Seite, beschaffte Baugeräte und Material und berät bei vielfältigen Problemen und Hilfen beim Wiederaufbau“, zählt Bernd Freytag auf. Vielleicht im Januar, Februar oder März, so hofft die Familie, könnten die Arbeiten dann endlich an ihrem Wohnhaus beginnen. Selbst wenn sich dort gerade nicht viel tut, so läuft der Besitzer doch regelmäßig zu seinem Grundstück. Er hat einen schönen Grund dafür. Hier steht ein Vogelhäuschen, dass täglich gefüllt werden will. Mit der Enkeltochter hat Opa Bernd zudem ein Igelhaus gebaut, nach dessen Bewohnern die Beiden gelegentlich schauen. Ansonsten ist in der Straße alles still und dunkel. „Die Meisten wohnen bei ihren Kindern oder Eltern“, berichten die Ex-Suhler. Nicht jeder hat es so gut getroffen. Manch einer, so weiß er zu berichten, muss sogar noch in Garagen oder Gartenhäusern ausharren. Die Flut ist noch immer präsent – egal ob zu Weihnachten oder an jedem anderen Tag.