Eine Meiningerin in Sri Lanka Nach elf Jahren: Zu Weihnachten daheim

Frank Lieneke und Julia Fischer mit einer kleinen Gruppe der Mädels in Weihnachtsstimmung. Foto: privat

Für die gebürtige Meiningerin Julia Fischer ist das diesjährige Weihnachtsfest etwas ganz Besonderes; das erste Mal seit 2010 wird sie wieder mit ihrer Familie und Freunden zusammen sein und nicht wie all die Jahre zuvor in Sri Lanka verweilen.

 
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Seit Tagen türmen sich auf dem Schreibtisch der 38-Jährigen Berge von Weihnachtspost, Rechnungen und To-Do-Listen. Es ist die stressigste Zeit des Jahres, wenn man wie Julia Fischer für ein Spendenprojekt tätig ist. Und in diesem Jahr muss sie mit allem noch früher fertig sein als sonst, denn schon in wenigen Tagen geht ihr Flug nach Deutschland. Hier warten nicht nur ihre Eltern, ihr Bruder mit Familie und ihre kleine Nichte auf ihre Rückkehr; auch viele Freunde freuen sich auf ein Wiedersehen. Dabei ist der letzte Aufenthalt diesmal noch gar nicht so lange her. Seit Juni bewohnt die studierte Kommunikationspsychologin eine kleine Dachgeschosswohnung in Meiningen und möchte in Zukunft wieder häufiger in ihrer Heimatstadt sein und deutschen Boden unter den Füßen spüren. Einerseits merkte sie in den vergangenen Jahren zunehmend, dass ihr die Vorzüge eines sozialen und kulturellen Lebens ebenso fehlen wie die Besinnung auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse. Auf der anderen Seite verspürte sie mehr und mehr den Wunsch, in den nächsten Jahren noch etwas mehr Zeit mit ihren Eltern zu verbringen, bevor dies aus altersbedingten oder gesundheitlichen Gründen in der aktuellen Unbeschwertheit nicht mehr möglich ist.

Seit Juli 2007 lebt Julia Fischer nun schon auf der Insel im Indischen Ozean und kümmert sich dort um vernachlässigte Mädchen aus ärmlichen Familienverhältnissen. In ihrem Kinderheim „Angels Home for Children“ an der Westküste Sri Lankas finden bis zu 60 Bewohnerinnen Platz, die hier wohl das erste Mal in ihrem Leben den Sinn eines richtigen Zuhauses erfassen. Fast alle von ihnen kommen aus familiären Strukturen, in denen häusliche Gewalt, finanzielle Nöte und teilweise auch sexueller Missbrauch an der Tagesordnung sind. Die Aufnahmegeschichten in der Einrichtung sind fast immer erschreckend und für deutsche Verhältnisse nur schwer nachvollziehbar.

Die junge Frau leitet das Kinderheim gemeinsam mit ihrem Partner Frank Lieneke, der aus Nordrhein-Westfalen stammt und das Projekt 2005 gegründet hat. Für die selbstgewählte Lebensaufgabe stellen die beiden viele persönlichen Bedürfnisse hinten an und sind stets darum bemüht, den in Lengerich ansässigen Verein Dry Lands Project e.V. weiter voranzutreiben und mehr Bekanntheit zu erlangen. Durch eine ständig aktuelle Webseite mit kontinuierlicher Offenlegung aller ein- und ausgehenden Spendengelder sowie tägliche Präsenz auf den sozialen Medien schaffen die Projektleiter eine beeindruckende Transparenz ihrer Arbeit, die bei anderen Spendenorganisationen ihresgleichen sucht. Ihre oberste Prämisse ist, die engagierten Sponsoren und Pateneltern des Projekts stets auf dem Laufenden zu halten und Einblick zu geben in ihre Arbeit mit den Kindern.

Trotz all der Liebe zum Projekt und der vielen schweren Schicksale, mit denen Julia Fischer im Laufe der Jahre konfrontiert wurde, hat sie ihre Liebe zur Heimat nie verloren. Gerade durch das Leben in einem korrupten Land und mit Menschen einer völlig anderen Mentalität weiß sie viele Dinge in Deutschland mehr denn je zu schätzen. Es gibt Gegebenheiten, an die sie sich auch nach all den Jahren nicht gewöhnt hat und die sie bis heute nicht verstehen kann. Vor allem die Leichtfertigkeit, mit der viele Srilankaner ihre Kinder (oftmals unter Angabe falscher Gründe) in Heimen abgeben und die diesbezügliche Toleranz der Behörden bereiten ihr Kopfzerbrechen. Viele Lebensumstände sind schwer anzunehmen und trotzdem bzw. gerade deshalb sind die Mädchen im Angels Home for Children auf Hilfe angewiesen.

Auch in Sri Lanka waren die vergangenen 1,5 Jahre sehr stark von der Corona-Pandemie und ihren Auswirkungen geprägt. So konnten die Mädchen fast die gesamte Zeit über nicht zur Schule gehen und durch landesweit verhängte Ausgangssperren auch das Kinderheim nicht verlassen. Außerdem gab es vom staatlichen Jugendamt die Auflage, dass keine externen Besucher mehr in die Einrichtung kommen durften. Somit waren für die Kinder nicht nur zusätzlicher Nachhilfeunterricht und psychologische Beratungen gestrichen, sie durften auch für lange Zeit keinen Besuch von ihren Angehörigen bekommen, wie es sonst einmal pro Monat üblich ist. Stattdessen wurden mit dem einheimischen Personal Lerngruppen organisiert und der Unterrichtsstoff der Schule so gut wie möglich darüber vermittelt.

Trotz aller Bemühungen war die Zeit für alle Mädchen und Angestellten im Angels Home for Children sehr schwierig. Da über Monate hinweg niemand rein oder raus durfte und man permanent mit denselben Personen zusammen war, machten sich irgendwann natürlich Frustration und schlechte Stimmung breit. Mehr denn je freute sich der Verein während dieser Zeit über den positiven Zuspruch zahlreicher Interessenten und Freunde, die sich nach der aktuellen Situation im Land und dem Befinden der großen und kleinen Bewohner im Kinderheim erkundigten.

Mittlerweile hat sich die Lage in Sri Lanka wieder ein wenig entspannt. Die Impfbereitschaft der Bevölkerung ist gewachsen und ermöglicht Lockerungen bei der Einreise und beim Import internationaler Waren. Seit Anfang November konnten endlich auch die Schulen schrittweise wieder öffnen und so nehmen auch die Mädchen aus dem Angels Home for Children wieder täglich am Präsenzunterricht teil.

Trotz all dieser Entwicklungen verlässt Julia Fischer die Insel mit gemischten Gefühlen. Immense Preissteigerungen und große Tourismuseinbußen während der letzten Monate führen zu allgemeiner Aufbruchstimmung unter den Einheimischen. Viele versuchen in diesen Zeiten, einen Job im arabischen Ausland zu ergattern und ihr Heimatland zu verlassen. Seit Wochen sucht das Angels Home for Children erfolglos neues Personal für die Betreuung und Versorgung der 6- bis 20-jährigen Mädchen. Es scheint fast unmöglich, neue engagierte Leute zu finden. Auf lange Sicht würden sich die Meiningerin und ihr Partner auch über eine zusätzliche Verstärkung aus Deutschland freuen, die sich vorstellen könnte, dauerhaft in das Projekt mit einzusteigen und regelmäßig mehrere Monate auf der Insel zu verbringen. Wer Interesse daran hat oder sich tiefgehender über das Kinderheim informieren möchte, ist eingeladen, auf der Webseite www.dry-lands.org oder den sozialen Netzwerken vorbeizuschauen und mit den beiden Projektleitern Kontakt aufzunehmen. Außerdem möchte Julia Fischer in einer für den 9. Februar geplanten Lesung in der Kulturbühne Meiningen durch Auszüge aus ihrem Tagebuch allen interessierten Zuhörern einen Eindruck von ihrem Leben und Wirken in den Tropen vermitteln. Sie freut sich auf rege Teilnahme und freiwillige Spenden.

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