Ein Schmalkalder Henker Die Welt des Johann Jeremias Glaser

Henker, Heiler, Geschäftsmann, liebender Familienvater. Aus diesem Stoff werden Filme gemacht. Das aufregende und faszinierende Leben des Johann Jeremias Glaser ist fast hollywood-reif. Ausgegraben hat es Schmalkaldens Museumsdirektor Dr. Kai Lehmann. Aufbereitet in einer Sonderausstellung, die am5. Mai in der Totenhofkirche eröffnet werden soll.

 
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„Luther und die Hexen“, „Fatale Lust“, der „Dreißigjährige Krieg“, der „Schmalkaldische Bund“ – Mit seinen ungewöhnlichen Sonder- und Dauerausstellungen hat sich Schmalkaldens Museumsdirektor Kai Lehmann in den letzten Jahren deutschlandweit einen Namen gemacht. Für den promovierten Historiker standen dabei immer die Schicksale der einfachen Menschen im Mittelpunkt. Regionalgeschichte, sorgfältig recherchiert und populärwissenschaftlich aufbereitet. Das machte seine Ausstellungen so besonders, einzigartig – und anrührend.

Nun wagt sich Lehmann, der seit sechs Jahren regelmäßig Lehrveranstaltungen vor Geschichtsstudenten der Friedrich-Schiller-Universität Jena hält, auf neues Terrain. Eher der Experte für die Hexenverfolgung im Thüringer Raum, widmet er sich diesmal einem mythenbeladenen und unehrenhaft geltenden Berufsstand: dem des Scharfrichters.

Mit Kapuze und Richtschwert, düster, ungebildet und brutal, so kennt man den breitschultrigen, blutrünstigen Fiesling aus Büchern und Filmen. In seiner neuen Sonderausstellung „Der Henker des Herzogs“ räumt der promovierte Historiker mit diesen gängigen Klischees und Vorurteilen auf. Stellt das vorherrschende Bild vom Kopf auf die Füße. Er macht das nicht fiktiv, sondern an einer konkreten Person fest: Johann Jeremias Glaser (1653 bis 1725), Scharfrichter in Meiningen und Wasungen. Ein Mann aus dem einfachen Volk, der ein einmaliges Zeitzeugnis hinterlassen hat: Ein so genanntes Anschreibebuch. Mit 28 Jahren hatte Glaser begonnen, jede Einnahme und Ausgabe akribisch zu notieren – und so für die Nachwelt zu konservieren. Der letzte Eintrag stammt vom ältesten Sohn, der das Buch mit den Ausgaben für Beerdigung und Leichenschmaus seines Vaters beendete.

Unter der Nummer 1327 schlummerte das 350 Seiten umfassende Büchlein in der Zinck-Mattenberg-Sammlung im Meininger Staatsarchiv, bevor Kai Lehmann es in die Hände bekam. Seite für Seite, Zahl für Zahl drang der Historiker tiefer ein in das Erwachsenen-Leben des Johann Jeremias Glaser, Schwiegersohn des Schmalkalder Scharfrichters Hieronymus Wahl (der wiederum das Amt von seinem Vater Otto Heinrich übernommen hatte). Lehmann erkannte schnell, was für einen kulturhistorischen Schatz er da ausgegraben hatte.

Das Buch, schwärmt Schmalkaldens Museumsdirektor, hat dokumentarischen Charakter – mit biografischen Bezügen. Es erlaubt zum ersten Mal überhaupt einen Blick auf den frühen neuzeitlichen Menschen hinter der Maske eines Scharfrichters, wagt Lehmann zu behaupten. Denn Glaser vermerkte nicht nur die Honorare für seine Tätigkeiten als Vollstrecker. Was er zum Beispiel für das Erhängen von Deserteuren erhielt, für das Auspeitschen von Ehebrechern oder Zigeunern.

Der offenbar hoch gebildete und vermögende Mann, sagt der Historiker, lässt sich bis ins Detail zerlegen. Beruflich und privat. Er begegnet uns eben nicht nur als Henker, sondern auch als sozial eingestellter Arbeitgeber, als Ratgeber, Geschäftsmann und Betriebswirt, als erfolgreicher Heiler, treuer Ehemann und liebevoller Familienvater, der sich die Schulbesuche und den Musikunterricht seiner Kinder einiges kosten ließ. Der jüngste Sohn Friedrich zum Beispiel verließ nach der Grundschule seine Südthüringer Heimat und besuchte das Lyzeum in Ohrdruf. Der Vater schickte dem Jungen regelmäßig Kerzen, „weil Friedrich früh aufstehen und lernen muss.“ Aber auch mit Leckereien aus der Heimat versorgte Glaser seinen jüngsten Spross. Mal waren es zwei Pfund Butter oder „Fleisch, weil wir eben eine Kuh geschlachtet haben“.

Die „Gläsernen Glasers“: Kai Lehmann kennt die Familie inzwischen in- und auswendig. Er weiß, was es im Hause des Henkers zu essen und zu trinken gab. Bis aufs Pfefferkorn genau hat Glaser aufgelistet, was im Alltag, zu Festlichkeiten wie Hochzeiten und Taufen auf den Tisch kam – und was das alles kostete. Er erstellte namentlich Gästelisten und bezifferte hinter jedem Namen den Geldwert der Geschenke (eine Sitte, die heute noch gepflegt wird). Vom Ofen über den Kinderstuhl bis hin zum Nachtstuhl und zur Schwitze-Bank in der Bade-Stube. Kai Lehmann weiß, aus welchen Stoffen die Hochzeitskleidung der Söhne und Töchter gefertigt waren. Jeder einzelne Knopf taucht in dem Anschreibebuch auf. Nachbauen ließe sich das Haus der Glasers, denn auch das Familienoberhaupt hat auch den Hausrat finanziell festgehalten. Vom Ofen bis zum „Kinderstuhl“ und zur Schwitz-Bank“. Selbst das Leben und Sterben seiner Eltern sowie den Lebenslauf seines Bruders – Scharfrichter in Weimar und Gotha – hielt Glaser fest wie die Sternbilder und Mondphasen bei der Geburt seiner Kinder oder die Ausgaben für seine Mägde und Knechte.

Es ist nicht nur die packende, mitreißende und überraschende Geschichte des Johann Jeremias Glaser, die Kurator Kai Lehmann in der Sonderausstellung „Der Henker des Herzogs“ erzählt. Beziehungsweise der Schauspieler Klaus Thieme, der als lebensgroßer visueller Audioguide durch die Schau führen wird. In der Totenhofkirche taucht der Besucher in die Welt der Scharfrichter im Allgemeinen und in die der Schmalkalder und Meininger im Besonderen ein. Leihgaben wie zwei Richtschwerter und Folterinstrumente werden zu sehen sein, aber auch Alltagsgegenstände wie Zinngeschirr, eine Kinderwiege und ein Kinderstall, heute sagt man Laufgitter dazu. Allgemeine Informationen zur Entwicklung des „Handwerks“ des Vollstreckers wird es geben, zu ihren Aufgaben und Nebentätigkeiten wie der Abdeckerei oder des Hundeschlags, dem Vorläufer der heute bekannten Hundesteuer. Der Kurator hat gar herausgefunden, wo die Henker von Schmalkalden einst lebten – vor dem äußeren Stiller Tor. Auch das konnten Kai Lehmann und sein Team anhand von im Stadt- und Kreisarchiv lagernden Zeichnungen orten und rekonstruieren. Stoff, aus dem Filme wahr werden. Die Ausstellung, die am 5. Mai, 18 Uhr, eröffnet wird, dürfte erst der Anfang sein.

Lesen Sie hier die Geschichte der überraschenden Entdeckung des Epitaphs.

Und hier den Beitrag über die Dreharbeiten mit Thomas Thieme, der dem Scharfrichter in der Ausstellung die Stimme leiht.

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