Es gibt raffinierte Verführung zu bestaunen und ausgedehntes Vorspiel. Kopulationen von vorn und von hinten, von unten, von oben. Reiterspiele und Hängepartien, Oralsex und Onanie. Leidenschaftlich verschlungene Paare, die sich in kaum erdenklichen Stellungen und technisch vertrackten Verrenkungen ergehen. Es ist eine überaus plastische, keine Tabus kennende Zurschaustellung von Erotik, wie man sie schwerlich irgendwo öffentlich erwarten würde, geschweige denn an gottgeweihten Tempeln.
Doch was im prüden Indien von heute unvorstellbar wäre, war zur Bauzeit der Tempelstadt zwischen 950 und 1070 offensichtlich völlig normal. Damals stand die altindische Liebeslehre Kamasutra hoch im Kurs und war mitverantwortlich für ein Klima sexueller Unverkrampftheit, an dem auch Frauen maßgeblich Anteil hatten. Und zwar keinesfalls als Lustobjekte für Männer, sondern – und auch das zeigen die Friese ganz klar – als gleichberechtigte und selbstbestimmte Partner im Liebesspiel.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Das Skulpturenensemble besteht nur zu etwa zehn Prozent aus solch frivolen Akten, die außerdem oft gar nicht so leicht zu entdecken sind in der überbordenden Fülle der Szenen und Figuren. Denn insgesamt schmücken mehr als zweitausend Skulpturen auf bis zu drei Etagen die Steilwände der Tempel. Hier tummeln sich Götter und ihre diversen Inkarnationen, Fabelwesen und Elefanten, Könige und Höflinge, Musikanten und Tänzer, Krieger und Tiere.
Besonders reizend sind außerdem die Surasundaris, die "schönen Mädchen", bei denen Mann ein weiteres Mal seinen Augen kaum trauen mag. So sinnlich, so verführerisch, so kokett schauen sie aus den Wänden. Mit so tollen Körpern und so prallen Brüsten, dass manchem Künstler dereinst die Fantasie-Hormone wohl kräftig durchgegangen sind. Wobei die sinnesfreudigen Schöpfer mit Blick auf die Besonderheit der indischen Kunst durchaus zu entschuldigen sind. In der hat die Darstellung weiblicher Schönheit nämlich mehr als nur dekorative Funktion; ihr wird auch eine Unheil abwehrende Magie zugeschrieben. Wo sich Schönheit, Liebe und Erotik finden, bleibt kein Raum mehr für dämonische und zerstörerische Kräfte.
Für Leute vom Fach ist außerdem völlig klar, dass in der sexuellen Ekstase das Göttliche erfahren wird und damit das eigentliche Ziel eines jeden Lebewesens. Deshalb seien die Gesichter der Liebenden auch nicht von Lüsternheit und Erregung geprägt, sondern von einer fast schon weltentrückten Gelassenheit. Die Vereinigung ist hier also kein in erster Linie körperlicher Akt, sondern eine spirituelle Verbindung zweier Prinzipien und damit eine religiöse Form der Gotteserfahrung. Auch wenn es also auf den ersten Blick so scheinen mag – die Tempel von Khajuraho sind sehr viel mehr als ein in Stein gehauenes Kamasutra. Aber erkläre das mal einer der Busladungen verschämt kichernder Touristen.
Hinweise für Ihre Reise
An- und Einreise: Flug zum Beispiel mit Air India von Frankfurt am Main nach Delhi (ab 505
Euro, Flugzeit ca. 8 Stunden). Zur Einreise ist ein Visum zwingend erforderlich, das vorab besorgt werden muss (bei
Gruppenreisen über Veranstalter).
Übernachtungen: In Agra zum Beispiel im Hotel Mansingh Palace, Doppelzimmer mit Frühstück ab 80 Euro
www.mansinghhotels.com oder in Khajuraho Ramada, DZ/F ab 60 Euro
www.ramadakhajuraho.com.
Beste Reisezeit: Von Oktober bis April ist es im Norden Indiens regenfrei bei angenehmen Temperaturen.
Währung: Gezahlt wird mit der Rupie (1 Euro aktuell 70 Rupien). Geld kann in Banken und in vielen Hotels getauscht und in größeren Städten auch mit Kreditkarte an Bankautomaten abgehoben werden.
Sprache: Amtssprache ist Hindi. Daneben gelten auch Englisch (noch aus der Kolonialzeit) und 17 gleichberechtigte Regionalsprachen als Amtssprache.
Gesundheit: Unbedingt empfehlenswert sind Malariaprophylaxe und Tetanusschutzimpfung, ratsam sind Hepatitis- und Typhusschutz. Meiden Sie beim Essen und Trinken alles, was mit Leitungswasser in Berührung gekommen sein könnte. In die Reiseapotheke gehören Mittel gegen Durchfall und Erkältungen sowie eine Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor.
Reiseführer: Polyglott on tour "Indien" (12,95 Euro)
Pauschalreisen: Eine 10-Tage-Privatreise "Vom Taj Mahal zum Ganges" gibt es bei Gebeco ab 1.085 Euro (ohne Flug).
Internet: www.india-tourism.net,
www.icredibleindia.org,
www.gebeco.de