Eigener Inhalt Geheimtipp Nordzypern

Joachim Hauck

Seit 43 Jahren ist Nordzypern politisch isoliert und deshalb noch nicht vom Massentourismus überschwemmt. Davon hat vor allem die Natur profitiert: Auf dem türkischen Inselteil erleben die Urlauber unberührte Landschaften.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Alagadi-Beach ist einer der bestbewachten Strände des Mittelmeers. Rund um die Uhr geht in der idyllischen Bucht vor der nordzyprischen Hafenstadt Girne eine internationale Schutztruppe auf Patrouille. Argwöhnisch registriert sie jede Bewegung im feinen Sand, verscheucht tagsüber aufdringliche Fischer und Badegäste und leuchtet nachts jeden Quadratzentimeter zwischen Dünen und Meer ab.

Die Wachsamkeit gilt nicht potenziellen Terroristen, sondern den Nestern der Grünen Meeresschildkröten, die zu den stark bedrohten Tierarten der Erde zählen. Die Truppe rekrutiert sich aus einem guten Dutzend Studenten aus aller Welt, die ihre Semesterferien dafür verwenden, möglichst vielen Schildkröten-Winzlingen eine Überlebenschance zu geben. Knapp 1000 "Grüne" gibt es noch im Mittelmeer – und jede Dritte verbuddelt ihre Eier, rund 100 pro Nest, an den stillen Stränden Nordzyperns.

"Normalerweise", so weiß Projektleiter Robin Snape von der Universität Exeter in England, "kommt nicht einmal eine von tausend kleinen frisch geschlüpften Schildkröten durch" Vor den Gefahren im Meer können die freiwilligen Helfer ihre Schützlinge zwar nicht bewahren, doch ihren Weg dorthin können sie sichern. Sorgsam kennzeichnen sie jedes Nest, bauen Drahtgitter drumherum, damit die Kleinen nicht von Hunden aufgestöbert oder von unvorsichtigen Menschen zerdrückt werden. Penibel räumen sie jede Plastiktüte aus dem Weg, die für die Schildkröten zur tödlichen Falle werden könnte – und natürlich halten sie Wache, wenn die Tiere auf ihrem Weg ins Wasser buchstäblich um ihr Leben rennen.

Die Schildkröten-Schützer um Robin Snape lassen sich – nach vorheriger Anmeldung und einer kleinen Spende – gern bei ihrer Arbeit zusehen. Wer bei ihnen Station macht, lernt Nordzypern von seiner schönsten Seite kennen: Als den Teil der Insel, der noch von und mit der Natur lebt, in dem der Massentourismus noch keine tiefen Wunden hinterlassen hat. Denn auf Zypern sind die Touristenströme höchst ungleich verteilt: Die Urlauber im griechischen Süden zählen nach Millionen, in den türkischen Norden kommen nur ein paar hunderttausend Ausländer.

Grund dafür ist die verfahrene politische Situation. Seit 1974, nach einem Putsch griechischer Obristen gegen die zyprische Einheitsregierung und der darauf folgenden Intervention der türkischen Armee, ist die Insel geteilt. Nur die griechische Republik Zypern im Süden wird international anerkannt, die Türkische Republik Nordzypern dagegen politisch isoliert.

EMPFEHLUNGENFÜR IHRE REISE
AUSKÜNFTE: Nützliche Informationen über Land, Leute, Reiseanbieter
sowie viele Broschüren gibt es beim Nordzypern Tourismus Zentrum in Berlin, www.nordzypern-touristik.de.
EIN- UND ANREISE: Für die Einreise reicht EU-Bürgern der Reisepass.
Direktflüge auf den nordzyprischen Flughafen Ercan sind wegen der politischen Isolation des Inselnordens ab Deutschland nicht buchbar. Möglich sind Direktflüge nur in den griechischen Süden, von dort muss die Weiterreise in den Norden organisiert werden. Bequemer ist die Anreise über die Türkei, beispielsweise mit Turkish Airlines (hin und zurück ab 250 Euro). Die Gesellschaft bedient die Strecke von Nürnberg nach Ercan bis zu dreimal täglich mit einem kurzen Umsteigestopp in Istanbul.
INNERZYPRISCHER GRENZVERKEHR: Seit 2003 gibt es keine Einschränkungen mehr für EU-Bürger beim Überschreiten der Grenze zwischen dem Süd- und Nordteil der Insel. Mit Personalausweis oder Reisepass können EU-Bürger jederzeit die Schlagbäume passieren.
WÄHRUNG: Während im griechischen Süden mit Euro bezahlt wird, ist die Landeswährung im Norden die Türkische Lira (TRY). Aktueller Wechselkurs:
1 EUR = 5,06 TRY.
BESONDERHEITEN: Auf ganz Zypern wird, eine Hinterlassenschaft der britischen Kolonialzeit, auf den Straßen links gefahren. Auch die Steckdosen sind in der Regel, wie in England, dreipolig; in den Hotels sind Adapter vorhanden.

Schlimm für die Menschen, aber eben auch gut für die Natur. Während die Küsten im Süden fast zugebaut sind, ist der Norden deutlich ursprünglicher geblieben. Auch da gibt es natürlich komfortable, internationale Hotels wie das "Cratos", das "Merit Royal" oder das "Vuni Palace". Große Häuser in Lefkosa, Girne oder Lapta bieten zudem alles, was der fromme Türken-Präsident Erdogan seinen Landsleuten auf dem Festland gerne vorenthält: Spiel-Kasinos, Alkohol und Nachtclubs. Die sind, wie auch die Hotels, Restaurants und Shops, übrigens deutlich billiger als im griechischen Süden.

Typisch ist das vor allem bei Türken beliebte Entertainment nicht. Bettenburgen kennt dieser Inselteil so wenig wie überfüllte Strände. Absolut ruhig, ja einsam und ein bisschen wie in der heilen Welt geht es auf der fast 80 Kilometer langen Halbinsel Karpas zu, wo die Hotels ganz klein, die Dünen am Meer dafür riesengroß und von mehr wilden Eseln als von Touristen bevölkert sind. Die Langohren gehörten einst den Griechen, nach deren Vertreibung ließ man sie einfach frei – und seit sich die Naturschützer vehement für die Grautiere einsetzen, gedeihen sie prächtig. Gern futtern sie Besuchern aus der Hand, und ganz Vorwitzige stecken auch schon mal den Kopf durch heruntergefahrene Autoscheiben und holen sich die Brötchen aus der Lunchbox.

Mit Natur pur punktet Nordzypern, mit gemütlichen Küstenstädtchen, einer ursprünglichen Bergwelt – und fantastischen Sehenswürdigkeiten aus einer jahrtausendealten Geschichte, die von Sarazenen und Osmanen, Griechen und Römern, Kreuzrittern und Piraten, Venezianern und Genuesen geschrieben worden ist.

Ein Muss sind die Ruinen des antiken Salamis, das 120 000 Menschen Heimat bot, ehe der größte Teil davon buchstäblich in der Versenkung, im Meer und unter Millionen Tonnen von Sand verschwand. Das wieder ausgegrabene Gymnasium, die Mosaiken und das Theater von Salamis sollte man gesehen haben – natürlich auch die zur Moschee verwandelte Kathedrale im nahen Famagusta mit dem berühmten Othello-Turm, in dem Shakespeares Moro einst seine Desdemona gemeuchelt haben soll.

Pflicht für Nicht-Nur-Strand-Touristen sind Soli und Vuni, zwei uralte, feindliche Bergstädte im Inselwesten mit atemberaubenden Aus- und Fernblicken; auch der pittoreske Hafen und die Festung von Girne mit dem sorgsam restaurierten 2300 Jahre alten Schiffswrack im Innern. Nicht zu vergessen die trutzigen Burgen hoch droben in den Bergen: Buffavento, Kantara und das spektakuläre Hilarion, dessen höchster Punkt auf 732 Metern über 450 Treppenstufen durchaus mühsam erobert sein will.

Garantiert gemütlich geht es dagegen in der altehrwürdigen Prämonstratenser-Abtei von Bellapais zu. Die prächtigen Kreuzgänge und Hallen der Klosterruine laden zum Spaziergang, zu abendlichen Konzerten und romantischen Diners in den Restaurants rundherum ein. Da werden nichtschmelzender Hellim-Käse vom Grill, in Öl gebackenes Weißbrot mit Johannisbrotsirup, Kleftiko (ein Lammeintopf mit Kartoffeln) und zum Nachtisch grüne Walnüsse in Honig serviert – Spezialitäten, die es so nur auf Zypern gibt und allein schon die Reise wert sind.

Wunderbar ausruhen und relaxen lässt es sich in Bellapais hoch über dem Meer, und es ist wohl kein Zufall, dass genau hier der "Baum des Müßiggangs" steht, vor dem der Brite Lawrence Durrel in seinem Roman "Bittere Limonen" eindringlich gewarnt hat: "Falls Sie zu arbeiten gedenken, setzen Sie sich nicht hierhin. Der Schatten dieses Baumes macht den Menschen unfähig zu ernster Arbeit."

Wer in Nordzypern Urlaub macht, wird Mr. Durell Recht geben – und den Müßiggang hemmungslos genießen.

Bilder