Kai Hesbacher ist als Nachtmanager im Gabelbach-Hotel seit 18 Jahren schlaflose Nächte gewohnt. Doch nun raubt ihm ein viel schlimmerer Gedanke den Schlaf.
Bislang besuchte Sohn Michael mehrfach jährlich sowohl die Mutter in Russland als auch den Vater in Ilmenau. Die glanzvolle und vitale Ostsee-Weltstadt Petersburg wurde zu seiner Wahlheimat. Immer dann, wenn Hesbacher Sohn und dessen Mutter besuchte, bewunderte er das Flair, die seit Zerfall der UdSSR 1991 wieder in Petersburg umbenannten alten Zarensitz-Metropole. Mit ihren 5,4 Millionen Einwohnern ist sie die viertgrößte Stadt Europas, erfüllt von jungem Leben. Hesbacher verstand den Wunsch des zweisprachig aufgewachsenen Sohnes, seinen Lebensmittelpunkt in der Unesco-Weltkulturerbe-Stadt zu finden.
Wie so viele der in den vergangenen Jahrzehnten nach Gorbatschows Glasnost- und Perestroikapolitik auf vielfältigste Art und Weise gewachsenen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Ost-West-Verbindungen werden durch die russische Aggression gegen die Ukraine auch ganz persönliche Beziehungen ein Opfer des Krieges.
„In meinen 18 Jahren als Dauer-Nachtschichtler auf dem Gabelbach habe ich bis heute genau 3553 schlaflose Nächte gehabt. Berufsbedingt. Aber was mir jetzt den Schlaf auch nach der Arbeit beim Nachtruhe-Nachholen raubt, das ist die Tatsache: Unser Sohn Michael hat die deutsche und russische Doppelstaatsbürgerschaft…“
Hesbacher, den man aus vielerlei Anlässen bis hin zu seinen erfolgreichen Teilnahmen an internationalen Bodypainting-Meisterschaften kennt, muss tief und sehr nachdenklich durchatmen: „Es könnte also passieren, dass er ausgerechnet jetzt mit seiner Volljährigkeit in die Armee des Aggressors Putin eingezogen wird.“
Und so, wie gerade und wohl noch lange Zeit Abertausende ukrainische wie auch ukrainisch-russische Familien vor ihren Kriegstoten und den Trümmern ihres Hab und Gut stehen, geht es Hesbacher und Michaels Mutter jetzt: „Wie kann ich verhindern, dass Micha nicht in das sinnlose Unheil dieses Bruderkrieges gezogen wird?“ Die Eltern hoffen inständig, er möge nicht in diesen irrwitzigen Krieg gezogen werden.
Hesbacher blättert in den Gedanken an seinen Sohn in alten Fotos und Zeitungsausschnitten seiner aktiven Zeiten in der Air-Brush-Kunst. Er erinnert sich, als wäre es schon Ewigkeiten her, all seiner Teilnahmen an weltweiten Wettbewerbs-Events dieser Kunst mit ihrem unverhüllten (Farb-) Hauch von Erotik. Dann schweifen seine Gedanken wieder von den Sorglos-Fotos ins Heute.
Es gelingt dem inzwischen Fünfzigjährigen nur schlecht einen Weg zu finden, seinen Sohn vor einem Krieg zu bewahren, den er so grausam und sinnlos sieht, wie jeden anderen. Aber jetzt und rasch müsse etwas unternommen werden.