Deinfluencing Schimpftiraden auf Schickimicki-Schminke

Jörg Breithut

Der Trend geht zum Tadelvideo: Auf Social-Media-Plattformen wie Tiktok entscheiden sich immer mehr Meinungsmacher dazu, Produkte nicht zu bewerben – sondern sie zu zerreißen. Dahinter steckt auch Kalkül.

 
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Daumen runter – der Kauf dieses Produkts lohnt sich nicht, meint die Influencerin. Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Der dreiminütige Verriss ist ein Hit auf Tiktok: Mehr als 2,5 Millionen Mal ist das Video von Michelle Skidelsky bereits abgespielt worden. Die Videokünstlerin hat rund 400 000 Likes dafür bekommen, dass sie über einen 600-Euro-Föhn, einen Minikühlschrank für Make-up und Zichorienwurzelpulver in der Dose herzieht.

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Das Pulver soll die Darmflora verbessern. Doch davon hält Skidelsky offenbar nicht viel: „Es gibt da draußen so viele Influencer, die behaupten, dass man weniger Blähungen habe und seltener müde sei, wenn man ihnen folgt und ihren Scheiß kauft“, sagt die Tiktok-Nutzerin.

Stattdessen gibt sie ihren rund 120 000 Followern einen anderen Rat: „Wenn ihr Probleme mit eurem Darm habt, dann geht zum Arzt.“ Mit ihrem Video hat Michelle Skidelsky einen Nerv getroffen. Ihre anderen Beiträge sind zwar auch mehrere Zehntausend Mal abgespielt worden. Doch die Millionengrenze hat die Influencerin erst mit ihrer mehrteiligen Serie „Dinge, die ihr nicht braucht“ durchbrochen.

@michelleskidelsky Replying to @krishateresa 🫡🫡 my bank account hates me, save yours while you can #deinfluencing ♬ original sound - michelle

Deinfluencing nennt man diesen Trend, der seit ein paar Wochen durch soziale Medien wie Tiktok und Instagram schwappt. Die Idee: Anstatt wie üblich von Lippenstiften, Deos und Nagellack zu schwärmen, raten Videokünstlerinnen und -künstler ganz konkret von Produkten ab. Mehr als 420 Millionen Videos sind mit dem Hashtag #Deinfluencing bisher auf Tiktok markiert worden. Vor einem Monat waren es noch halb so viele.

Dabei lebt das Geschäft von Produktempfehlungen. Im vergangenen Jahr setzte die Influencer-Industrie mehr als 15 Milliarden Euro mit Kurzclips auf Plattformen wie Tiktok, Facebook und Youtube um. Im Jahr 2016 waren es noch etwas mehr als eine Milliarde Euro.

Abraten erhöht die Glaubwürdigkeit

Marketingexperte Christoph Zydorek zeigt sich kaum überrascht davon, dass Deinfluencing als Hype funktioniert. „Es erhöht die eigene Glaubwürdigkeit, wenn Produkte kritisch besprochen werden“, sagt der Professor für Medienwirtschaft an der Universität Furtwangen. Die kritische Bewertung von Produkten lasse Influencer besser aussehen im Vergleich mit der Konkurrenz. Wer von 25-teiligen Parfümsets, 25-Euro-Schminkschwämmen und 20-Euro-Gelstiften abrät, der bekommt dafür ziemlich sicher keine Werbebudgets.

Doch woher kommt dieser Antitrend: Haben Zuschauerinnen und Zuschauer etwa mittlerweile die Nase voll von Empfehlungen für Hautcremes, Energydrinks und Nussspendern? Ist ein Kipppunkt erreicht beim Influencer-Marketing? „Möglicherweise entwickelt sich eine gewisse Gegenkultur“, sagt Zydorek, der davon ausgeht, dass doch einige Follower stark auf Konsum getrimmt sind. Nach Meinung des Wissenschaftlers erreichen Deinfluencer eher die kritischen Zuschauerinnen und Zuschauer. „Meine jugendlichen Töchter laufen auch nicht jedem Trend hinterher“, sagt der Medienforscher. „Sie folgen eher Influencern, die authentisch und glaubwürdig wirken.“

Man müsse sich bewusst sein, dass das Internet „überwiegend durch Werbung finanziert wird und dass darunter die Qualität und Glaubwürdigkeit des Contents leiden“, sagt Zydorek. „Werbefinanziertes Fitness-, Mode- und Beauty-Influencing spielt dabei eine maßgebliche Rolle.“

Tiktoker bezeichnen Deinfluencing als scheinheilig

Doch der Trend kommt nicht überall gut an. Einige Tiktoker bezeichnen Deinfluencer als scheinheilig. Der Grund: Auf der einen Seite würden Produkte zerrissen – dann wiederum die eigene Kollektion beworben nach dem Motto: Kauf das, nicht das!

@nicole_perfumes either do it right or don't do it at all #deinfluencing #trending #deinfluencer ♬ Monkeys Spinning Monkeys - Kevin MacLeod & Kevin The Monkey

Auch Michelle Skidelsky setzt nicht allein auf Verriss. Auf ihren Millionenhitclip folgte unter anderem ein bezahltes Werbevideo. Die Influencerin leitet die Werbung mit den Worten ein, dass sie es zwar wichtig finde, von sinnlosem Konsum abzuraten. Aber es liege ihr auch am Herzen, die Produkte vorzustellen, die das Geld wirklich wert seien. Dann beginnt eine dreiminütige Lobeshymne auf Duftkerzen im Glas, die pro Stück knapp 20 Euro kosten. Auf die Frage unserer Redaktion, wie das zusammenpasse, hat die Influencerin nicht geantwortet.

Zydorek kann den Vorwurf der Doppelmoral nachvollziehen. „Ich kann gut verstehen, wenn Deinfluencing als heuchlerisch und als Versuch angesehen wird, im Wettbewerb herauszustechen.“ Wenn man nur einige wenige Produkte kritisiere, „dann ist das eine durchschaubare Taktik“.

Doch diesen Marketingkniff können sich längst nicht alle Tiktoker erlauben. Denn wer über Produkte lästert, der riskiert, dass potenzielle Werbepartner verprellt werden. Branchenstars wie Lisa und Lena, Dagi Bee und Pamela Reif können sich Deinfluencing laut Zydorek nicht erlauben. „Es ist für solche Influencer dann eher geschäftsschädigend, von Produkten abzuraten.“

Neuer Trend Deinfluencing

Ehrlichkeit
Social-Media-Marketingexpertin Ann-Katrin Schmitz sieht im Deinfluencing einen wichtigen Trend, der bleiben werde: „Gute Influencer haben schon immer ehrliche Empfehlungen abseits ihrer Werbekooperationen ausgesprochen. Da liegt es nur nahe, genauso auszusprechen, wenn Marken oder Produkte nicht halten, was sie versprechen. Viele haben verstanden, dass Authentizität und eine loyale Community langfristig mehr für ihr Business tun als möglichst viel Werbung.“

Risiko
Doch gerade für gewerbsmäßige Influencer seien Anti-Empfehlungen zugleich ein Risiko. „Kritik an Marken kann Werbepartner abschrecken“, so Schmitz.