Corona-Hilfen für Mittelstand Brücken gebaut, die gar nicht tragen

Antje Kanzler
Manja Reichert (links) und Yvonne Nachreiner wissen aus ihrer Beratungstätigkeit, wie schlimm es bereits um den einheimischen Mittelstand steht. Sie wollen darauf aufmerksam machen und sehen dringenden Handlungsbedarf Foto: MT/privat

Als die Lockdowns begannen, beruhigte die Politik die Wirtschaft mit großzügigen Versprechen. Drei Überbrückungshilfen später zeigt sich: Diese Brücken haben nicht nur Schwachstellen. Sie tragen nicht. Jedenfalls nicht den Mittelstand. Ein besorgtes Meininger Steuerbüro schlägt deshalb Alarm.

 
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Meiningen - Was die weichen und harten Lockdowns tatsächlich mit den kleineren Unternehmen, den Händlern, Dienstleistern, Gastronomen, Künstlern und anderen Selbstständigen gemacht haben werden - man wird es erst wissen, wenn das Corona-Kapitel Geschichte ist. Als die Pandemie begann, war Wirtschaftshilfe von der Bundesregierung schnell zugesagt, selbst Staatsverschuldung sollte dabei keine Rolle spielen. Damit würden die Selbstständigen und Mittelständler – dieser allgemeine Eindruck entstand und hielt sich bis zum heutigen Tag - schon irgendwie durchkommen können durch diese herausfordernde Ausnahmesituation. Die zieht sich aber mittlerweile wie Kaugummi in die Länge und ein Ende lässt sich nicht absehen.

Seit Monaten schon ist der Mittelstand ernüchtert über den Wirkungsgrad der zugesicherten Bundesunterstützung. Die einen sind wütend, die nächsten haben bereits aufgegeben, andere arbeiten mit dem Mut der Verzweiflung gegen ihre Existenzängste an. Doch angesichts der täglichen Nachrichtenflut zu Impfchaos, Virus-Mutationen und Maßnahmeverschärfungen findet das prekäre, folgenreiche Thema bisher kaum Platz in der öffentlichen Wahrnehmung.

Spitzfindig statt hilfreich
Spitzfindig statt hilfreich

Spitzfindig statt hilfreich

Steuerberaterin Manja Reichert und Diplom-Wirtschaftsingenieurin Yvonne Nachreiner wollen das ändern und mit der Illusion aufräumen, dass alles schon irgendwie wieder gut wird. Die beiden Beraterinnen sind nach mehr als zehn Monaten Pandemie, die ihnen so viel Arbeit wie nie beschert haben, erschüttert über den bürokratischen und für Steuerberater immens haftungslastigen Aufwand, der die Corona-Hilfen begleitet. Drei Konjunkturpakete gibt es mittlerweile, außerdem noch die November-/Dezember-Hilfe. „Jedes Programm ist dermaßen komplex und mit neuen Spitzfindigkeiten gespickt, dass es selbst für die Steuerberater schwer zu durchdringen ist. Wir arbeiten seit Monaten am Limit“, sagt Manja Reichert, Inhaberin einer Meininger Steuerberatungsgesellschaft. „Die kleinen Unternehmen – die Einzelhändler, Friseure, Künstler, Veranstalter, Gastronomen, Pflegeeinrichtungen und andere kleine Arbeitgeber – tun uns unendlich leid. Sie geben alles, um ihre Betriebe noch am Laufen zu halten und ihre Mitarbeiter unter diesen schwierigen Bedingungen weiter zu beschäftigen. Und dann wird es ihnen so schwer gemacht.“

Dabei sei die Überbrückungshilfe I, die von März bis August 2020 in Aussicht stand, noch „relativ gut durchgelaufen“, wie Manja Reicherts Mitarbeiterin Yvonne Nachreiner einschätzt. „Danach aber wurde die Bundesregierung trickreich, wie man feststellt, wenn man sich kontinuierlich die FAQs anschaut. Noch dazu sind die Regelungen immer wieder verändert worden. Es ist schade, dass die Unternehmen bei der Beantragung überhaupt auf externe Hilfe angewiesen sind. Sie können diese Anträge nur von ihren Steuerberatern erstellen lassen, was ihnen neue Kosten verursacht. Dann erhalten sie Informationen, die am Ende der Woche schon nicht mehr aktuell sind, weil sich wieder etwas geändert hat. So wächst der Unmut bei den Arbeitgebern immer weiter.“

Der Antrag muss vom Steuerberater über ein Online-Portal der Bundesregierung gestellt werden. Der administrative Beratungs- und Bearbeitungsbedarf ist enorm. Das Problem dabei: „Die Gesetzgebung muss klarer werden. Alle rudern nur, weil alle paar Tage wieder Änderungen in den FAQs zu finden sind. Wir können deshalb unseren Mandanten mitunter gar nicht konkret sagen: Ihr habt soundso viel Anspruch“, bedauert Manja Reichert.

Existenzen auf der Kippe

Yvonne Nachreiner, die 20 Jahre weltweit „in der großen Industrie“ tätig war, ist es wichtig, ein paar Worte über den Mittelstand der Region zu sagen: „Die Gesamtsituation geht uns sehr nah. Ich habe seit März 2020, bei der Rückkehr in meine alte Heimat, festgestellt, was für tolle Unternehmen hier ansässig sind. Sie haben ihre Arbeitnehmer in den letzten Monaten nicht im Regen stehen lassen, sondern alles gezahlt, obwohl sie selbst noch keine Entschädigungen bekommen haben. Unsere Mandanten leben von ihren kleinen Geschäften. Mancher hat zum Teil mittlerweile kein Geld mehr auf dem Konto.“ Die Mittelständler in der Region – das seien durchaus keine Millionäre. „Die können wenig zurücklegen, stecken alles in ihr Geschäft. Investitionen muss man erst einmal wieder reinholen. Auf ihren Schultern liegt große Verantwortung für ihre Familien und ihre Arbeitnehmer. Und nun stehen viele Existenzen auf der Kippe.“

Berührt davon sei mittlerweile fast jede Branche, selbst die Handwerker. Auf die abgearbeiteten Aufträge folgen kaum neue nach.

„Viele haben aufgegeben“

Dass die Betroffenen nicht genug auf ihre Situation aufmerksam machen, können die Beraterinnen nachvollziehen: „Da herrscht nur noch pure Frustration. Viele haben aufgegeben und sagen: Ich kann nicht mehr.“ Selbst die Grundsicherung, das Hartz-IV-Geld, komme bei Geschäftsleuten nur ganz selten zum Tragen, weil sie vielleicht einen Ehepartner haben, der noch einer anderen Beschäftigung nachgeht.

Auf das erste Programm, die Überbrückungshilfe I, folgten zwei weitere. Die zweite Überbrückungshilfe galt ab September bis Mitte Dezember. Die erste Hürde hieß nun: Das Unternehmen muss Verlust machen, bevor es im Fördermonat 90 Prozent seiner Fixkosten ersetzt bekommen kann. Die Fixkosten sind solche Posten wie Miete, Betriebskosten, Versicherungen, Löhne und Gehälter (falls die Mitarbeiter nicht in Kurzarbeit sind). Doch auch, wenn die Gewinn- und Verlustrechnung ein Minus ergeben hat: „Das Portal, das es jetzt gibt, bildet diese Fixkostenregelung gar nicht ab. Wir rechnen im Moment mit Taschenrechner, Papier und Bleistift. Es ist eine Katastrophe. Die ganze Situation ist auch für uns sehr emotional“, beschreibt Yvonne Nachreiner die Schwierigkeiten. Die Gelder fließen daher nicht oder nur zäh.

Zwischendurch, zum Lockdown light ab 2. November, als die Gaststätten und Hotels schließen mussten, legte der Bund ein weiteres Hilfsprogramm auf – die sogenannten November-/Dezemberhilfen. Im Unterschied zu den Überbrückungshilfen, bei denen es um Fixkosten-Unterstützung geht, sollen die Gastronomen und Hoteliers über dieses Hilfsprogramm 75 Prozent ihres entgangenen Umsatzes – berechnet auf der Basis des Vorjahresmonats – als Ersatzleistung bekommen. Diese Gelder sind bei vielen ebenfalls bis heute nicht oder nur anteilig angekommen, wissen die Beraterinnen. Die Krux dabei sei, dass es für die Gastronomen und Hoteliers keine Umsatzausfallhilfe für Januar/Februar gebe. Für sämtliche Unternehmen, die ab 16. Dezember in den verschärften Lockdown gehen mussten, gelten nun die Regelungen der Überbrückungshilfe III.

Selbst das Portal fehlt

Zwar gibt es nun ein drittes Überbrückungsprogramm (das sich wieder an den Fixkosten orientiert), aber bisher nur in der Theorie. Denn dafür existiert bisher nicht mal das nötige Online-Portal beim Bundesfinanzministerium, geschweige denn ein Formular, das sich bearbeiten lässt. „Dabei schreiben wir Ende Januar! Die Mitarbeiter-Gehälter und -löhne für Dezember sind schon bezahlt worden, die Miete, der Strom, die Lohnsteuer, die Umsatzsteuer und so weiter. Alles vorgestreckt durch unsere Unternehmer. Doch die Unterstützung vom Staat bleibt aus. Es können keine Mittel ausgezahlt werden, weil ja noch nicht mal die Beantragung funktioniert“, kritisiert Manja Reichert.

Aber wo bleibt das ersehnte Geld auf der Strecke? „Das liegt alles in der Verantwortung des Bundesfinanzministeriums. Die Landesportale hängen sich dann daran. Der Mittelfluss erfolgt letztlich über die Thüringer Aufbaubank. So war es zumindest beim ersten Programm“, sagt Manja Reichert. Nur die November-/Dezember-Hilfen laufen direkt über die Bundeskasse Trier.

Allerdings: Auch beim Landesverwaltungsamt Thüringen „hängt es gewaltig“, betont Manja Reichert. „Und das betrifft fast jeden. Dabei geht es um Anträge auf Entschädigungen für die vom Arbeitgeber vorgestreckten Löhne und Gehälter aufgrund von angeordneter Quarantäne und Freistellung für Beschulung von unseren Kindern bis zu 12 Jahren.“ Etwas schneller gehe es mit der Auszahlung von Kurzarbeitergeld über die Agentur für Arbeit.

Böses Erwachen am Ende?

Das Jahr 2021 begann für die Mittelständler wie die Steuerberater mit neuerlichen Tiefschlägen. „Klammheimlich gibt es mit dem neuen Jahr schon wieder neue Regelungen“, beklagt Yvonne Nachreiner. Ohne Vorwarnung trat eine Beihilfeverordnung für Fixkosten 2020 in Kraft, die rückwirkend ab März 2020 greifen soll. Genehmigt am 20. November 2020 von der Europäischen Kommission, zugestellt an die Kanzleien über die Steuerberaterkammer am 5. Januar 2021.

Die Kammer gab bereits den Hinweis, dass die Mandanten demzufolge mit Rückzahlungen rechnen müssen. Das kann also für Mittelständler, die Unterstützung bekommen haben, bedeuten, dass zu guter Letzt noch Rückforderungen auf sie zukommen. Und das, in einer ohnehin schier ausweglosen Lage. „Wir sind verpflichtet zu einer Schlussprüfung – dann kommt der Bumerang mit den Rückzahlungen“, befürchtet Manja Reichert. Der Zeitpunkt dieser Schlussrechnung ist, wie so vieles, unklar. Voraussichtlich erst zum Ende der Pandemie.

„Die schlimmste Prognose für mich für die Zeit nach der Pandemie ist: Ein Drittel der Geschäftsleute geht in die Insolvenz, ein Drittel hat keine Lust mehr und ein Drittel ist noch da und hat irgendwie durchgehalten. Aber viele Arbeitsplätze werden der Region verloren gegangen sein“, ahnt sie aufgrund ihrer täglichen Erfahrungen. „Man muss sich doch fragen: Wohin soll die Reise gehen? Wir rollen auf ganz düstere Zeiten zu. Es geht hier um die Existenz von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Hier muss jetzt ganz schnell was passieren“, appelliert Manja Reichert.

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