Comödienhaus Vom Hinfallen und Aufstehen

Susann Eberlein
In „Schöner scheitern mit Ringelnatz“ nahmen Andreas Nickl und Heike Feist die Besucher im Comödienhaus Bad Liebenstein mit auf eine Reise durch das bewegte Leben von Hans Bötticher, der unter dem Künstlernamen Joachim Ringelnatz berühmt wurde. Foto: Susann Eberlein

Oh, wie schön kann Scheitern sein! Im Stück „Schöner scheitern mit Ringelnatz“ haben die Schauspieler Heike Feist und Andreas Nickl die bewegte Lebensgeschichte von Hans Bötticher alias Joachim Ringelnatz nachgezeichnet.

 
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Bad Liebenstein - So richtig en vogue ist Scheitern nicht. Zumindest nicht in unserer heutigen Gesellschaft, die auf Erfolg und Status(symbole) gepolt ist und in der Straucheln höchstens als cleveres Marketinginstrument für ein dann doch millionenschweres Start-up gebraucht wird. Dabei ist Scheitern gar nicht tragisch, wie das Stück „Schöner scheitern mit Ringelnatz“ im Comödienhaus Bad Liebenstein unter Beweis zu stellen wusste.

Am Samstagabend stand Heike Feist, aus deren Feder das Werk ist, gemeinsam mit Andreas Nickl auf der Bühne. Die beiden Schauspieler vom „Hamburger Sprechwerk“ haben stilvoll versagt, und zwar mit Ansage. Das ist, im Gegensatz zu üblichen Theaterrezensionen, keine Kritik an ihrer darstellerischen Arbeit, sondern als ein Kompliment zu verstehen. Schließlich haben sie es geschafft, die Gäste durch das bewegte Leben von Hans Bötticher alias Joachim Ringelnatz zu führen – und das Scheitern salonfähig zu machen.

Hans Bötticher hat das Scheitern und Wiederaufstehen ideal beherrscht. 1883 im sächsischen Wurzen geboren, scheitert er zunächst an den hohen Ansprüchen seiner Eltern, den strengen Lehrern und seinem miserablen Zeugnis und schließlich auch an seinem Kindheitstraum, der Seefahrt. Er scheitert als Schlangen-Dompteur und mit einer Anfrage beim Pfarrer, bevor er unter der geschäftstüchtigen, Ananasbowle verkaufenden Wirtin Kathi zum Hausdichter im Münchner Künstlerlokal „Simplicissimus“ aufsteigt. Weil die Stelle aber schlecht bezahlt ist, betreibt er nebenbei einen Tabakladen – und geht nach wenigen Monaten pleite.

Viele Umwege später – eine Anstellung beim Grafen Heinrich Yorck von Wartenburg und als Fremdenführer auf der Burg Lauenstein, eine Ausbildung zum Schaufensterdekorateur, eine verweigerte Verlobung und ein Einsatz im ersten Weltkrieg – verfasst Hans Bötticher im Dezember 1919 die ersten Gedichte unter seinem Künstlernamen Joachim Ringelnatz. Nur ein Jahr später heiratete er Leonharda Pieper, die er Muschelkalk nennt, und schafft in der Zeit der Weimarer Republik den Durchbruch als Dichter, Kabarettist und Maler. Ringelnatz tritt im Berliner Kabarett „Schall und Rauch“ auf, wird auch international bekannt, veröffentlicht Bücher, schreibt eine Seemannsballade und wird später von den Nationalsozialisten der Bühne verwiesen. Am 17. November 1934, mit 51 Jahren, stirbt er an Tuberkulose.

Welch bewegtes, welch interessantes Leben! Das dachte sich wohl auch Heike Feist, die dem Künstler eine hinreißende Hommage widmet, seine Biografie mit seinen Werken verknüpft und sowohl lustige, unbeschwerte Episoden als auch traurige Momente auf die Bühne bringt, in denen Ringelnatz weder Arbeit noch Wohnung hat und kaum Kleider am Leib trägt. Es ist die perfekte Balance zwischen Scheitern und Wiederaufstehen, zwischen feinem Humor und tiefem Hadern.

Und: So einzigartig, wie Ringelnatz‘ Leben war, so originell skizzierten es die Schauspieler nach. In hohem Tempo schlüpften sie in gar unterschiedliche Rollen, waren erst der junge Hans, dann der gefeierte Dichter, erst Mutter und Vater, dann Kellnerin, Ehefrau und vieles mehr. Um die Charaktere darzustellen, griffen Heike Feist und Andreas Nickl zu Kostümen und Requisiten aus Papier, die an einer Magnetwand auf ihren Einsatz warteten. Dieser Einfall ist so simpel wie genial – und unglaublich wohltuend in einer Zeit, in der Filme und oft auch die Theaterbühne überfrachtet sind mit Reizen für die Augen.

Auch beim – bedauerlicherweise sehr überschaubaren – Publikum im Comödienhaus kam die Aufführung gut an. „Es war ganz toll. Wir sind Ringelnatz-Fans und haben schon einmal eine Lesung über sein Leben besucht. Es freut uns, dass wir es jetzt noch einmal so geschauspielert sehen. Die Schauspieler haben einen unglaublichen Charme, machen witzige Gags und beziehen das Publikum mit ein“, sagten Antje und Bernd Wolter. Das Ehepaar aus Hannover hatte eine Urlaubswoche in Bad Liebenstein verbracht und sich für den letzten Abend in der Kurstadt Theatertickets besorgt.

Kurgast Petra Stoll gefiel vor allem die Verknüpfung der Lebensgeschichte mit den Werken von Ringelnatz. „Es ist ein kurzweiliger Abend. Die Schauspieler beziehen das Publikum toll mit ein, haben viele situative Ansätze. Wir haben unseren Spaß und sind die, die immer lachen. Ich bin begeistert“, sagte die Frau aus Hockenheim schon in der Pause. Nach dem Ende des Stückes zeigte sich auch Manfred Lindner begeistert. „Es war ein gelungener Abend. Es ist ein sehr interessanter Kreis vom Anfang bis zum Ende gezogen worden. Man möchte sich das Stück jetzt eigentlich noch ein zweites Mal anschauen“, sagte er.

Mit Ringelnatz selbst würde der Bad Liebensteiner aber nicht tauschen wollen. „Die Zeiten waren schon schwierig. Ich bin froh, in der heutigen Zeit zu leben“, sagte er. Ob Ringelnatz gerne im 21. Jahrhundert gelebt hätte? Sein Wirken hat noch heute Einfluss auf das Kabarett, wahrscheinlich wäre er heute ein gefeierter Star. Alternativ könnte er als, wie es heute doch so schön heißt, Life-Coach, Motivator oder Speaker verpflichtet werden und Key-Notes zum Scheitern geben. Denn „hinfallen, aufstehen, Krone richten“, dieser oft gesehene Postkarten-Spruch, passt auf kaum jemanden so gut wie ihn.

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