CDU-Bundestagskandidat Maaßen und der Antisemitismus

Katja Bauer
Hans-Georg Maaßen, hier im Wahlkampf im Kreis Hildbhurghausen. Foto: frankphoto.de/Bastian Frank

Spielt Hans-Georg Maaßen bewusst mit antisemitischen Vorurteilen? Sein Ex-Verfassungsschutz-Kollege Stephan Kramer (SPD) aus Thüringen sagt: Ja. Der CDU-Mann dreht den Spieß um und sieht bei Rot-Grün selber Antisemiten am Werke. Und unter Migranten sowieso.

 
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Worum geht es in dem Streit um Hans-Georg Maaßen und den Vorwurf des Antisemitismus?

Als Erste hatte die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer vor einem Monat in der Talkshow „Anne Will“ den Vorwurf erhoben, der ehemalige Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, verbreite „antisemitische und rassistische Inhalte“. Neubauers Aussage richtete sich an den Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet für sein Schweigen in der Sache. Maaßen tritt für die CDU im Südthüringer Wahlkreis 196 als Direktkandidat an. Laschet verteidigte Maaßen. Er kündigte jedoch zugleich an: Wenn es so wäre, wie Neubauer sagt, würfe man ihn raus. „Er ist nicht Antisemit und er verbreitet auch keine antisemitischen Texte, wenn er es täte, wäre es ein Grund zum Parteiausschluss. Es gibt nichts, wo ich so rigoros werde wie bei Antisemitismus“, so Laschet.

Worauf bezieht sich der Vorwurf an Maaßen?

Im Mittelpunkt steht ein Aufsatz aus der Feder Maaßens und eines Co-Autors, der vor einiger Zeit im Magazin „Cato“ erschien. In dem Text wird die These vertreten, dass sich weitgehend „im Verborgenen“ ein gesteuerter Wandel vollziehe, der die bürgerlichen Freiheiten und die westlichen Sozialsysteme bedrohe. Die Autoren äußern die Befürchtung, dass „sozialistische und globalistische Kräfte“ sich verbündet hätten, um ein totalitäres, supranationales System zu schaffen. Als ein Mittel hierzu machen die Autoren eine planvolle Umwandlung des Volkes in eine „anonyme, atomisierte Masse“ aus, weil diese leichter zu kontrollieren sei. Die Autoren schreiben von der Idee, „im Namen von Gerechtigkeit, Gleichheit oder neuerdings Ökologie eine neue Weltordnung radikal zu verwirklichen“. Eine Ideologie, die Minderheitenrechte, Identitätspolitik, eine Säuberung der Sprache fordere sowie eine „aggressive Propaganda“ betreibe, die zu noch mehr Migration und Klimaschutz aufrufe, werde „finanziell von interessierter Seite“ gefördert. Kritik daran werde als Extremismus, Faschismus oder Verschwörungstheorie verleumdet.

Was wirft nun der Verfassungsschutzchef des Landes Thüringen, Stephan Kramer (SPD), seinem ehemaligen Kollegen aus dem Bundesamt vor?

Kramer nimmt als erster Chef einer Verfassungsschutzbehörde zu den Vorwürfen Stellung. Kramer ist zusätzlich Experte für Antisemitismus, er war von 2004 bis 2014 Generalsekretär des Zentralrats der Juden. Seine Einschätzung im ARD-Magazin Kontraste: Maaßen nutze antisemitische Stereotype und rechtsextreme Codes. Kramer stützt sich dafür auf eine eigene Analyse verschiedener Reden und Beiträge. „Da gibt’s eigentlich nichts Entlastendes mehr zu bemerken. Er nutzt antisemitische Stereotype, um auf Stimmenfang zu gehen.“ Maaßen verwende auch den verschwörungsideologischen Begriff der „neuen Weltordnung“. Kramer wirft Maaßen nicht vor, Antisemit zu sein. Aber er macht in seiner Einschätzung deutlich, dass Maaßen aus seiner Sicht Signalwörter verwendet, die im extrem rechten Milieu verstanden werden.

Was ist eigentlich ein antisemitischer Code?

Es gibt Antisemitismus, den jeder sofort erkennt: Die Leugnung des Holocaust zum Beispiel, sie steht in Deutschland sogar unter Strafe. Antisemitismus aber ist viel älter als der Holocaust. Der Hass auf Juden transportiert sich seit Jahrhunderten. Ein immer wiederkehrendes Thema sind falsche, stereotype Anschuldigungen gegen „die Juden“ als Kollektiv. Dazu gehören in früheren Jahrhunderten die Behauptung, die Pest verbreitet zu haben.

 Die Kernbehauptung ist der Mythos einer „jüdischen Weltverschwörung“. Im 19. Jahrhundert drückte sich das in der Publikation „Protokolle der Weisen von Zion“ aus, die beweisen sollte, dass Juden hinter aufkommendem Liberalismus steckten. Im 20. Jahrhundert ging es um eine „jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung“. Das Motiv ist immer dasselbe: Eine geheime jüdische Elite ziehe im Verborgenen die Fäden, mit dem Ziel, die Kontrolle über die Regierung, die Medien, die Wirtschaft zu übernehmen und sich am Ende zu bereichern.

Was ist der Sinn von Codes, wenn die Mehrheit sie gar nicht versteht?

Codes werden gewählt, weil Antisemitismus gesellschaftlich stark geächtet ist. Sie sind wie ein Raunen. In der extremen Rechten wird die Strategie „Dog Whistling“ – Hundepfeife – genannt. Damit ist gemeint, dass Wörter oder Namen ganz ohne Kontext verwendet werden, sodass einem nichts nachgewiesen werden kann, aber Eingeweihte den Hinweis verstehen. Der Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke zum Beispiel muss Angela Merkel nur als „Soros-Kundin“ bezeichnen, und seine Gefolgschaft kennt den Namen des jüdischen Milliardärs, der in den Verschwörungserzählungen als Feindbild fungiert. Ähnliche Begriffe sind: „Ostküstenelite“, „Finanzelite“, „Neue Weltordnung“, „Restart“.

Ein weiteres strategisches Ziel: Menschen, die die Codes nicht verstehen, nutzen sie einfach so, weil sie sie in der Debatte aufgeschnappt haben, und verbreiten sie so. So werden die Formulierungen Schritt für Schritt normalisiert.

Und was sagt Hans-Georg Maaßen zu der Kritik?

Er dreht den Spieß um und spricht in diesem Zusammenhang von der „Will-Neubauer-Affäre“. Die Vorwürfe gegen ihn seien ein „Angriff“ aus dem linksgrünen Lager, um von dessen eigener Israelfeindlichkeit abzulenken. Die Grünen und „Fridays for Future“ seien selbst antisemitisch unterwandert. Der „wirkliche Antisemitismus in Deutschland“ sei importiert worden. Er selbst bekenne sich zum Existenzrecht Israels und habe jüdische Freunde. „Linke Politiker und Medien relativieren das Problem des migrantisch geprägten Judenhasses“, schrieb Maaßen auf Twitter und vermutet dahinter Absicht: „Diese Gesellschaft will Antisemitismus womöglich schlicht nicht für immer beseitigen.“

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