Nur zögerlich räumte der Bundespräsident Fehler ein: Seine Einschätzung sei gewesen, dass Putin nicht den wirtschaftlichen, politischen und moralischen Ruin seines Landes für seinen imperialen Wahn in Kauf nehmen würde. "Da habe ich mich, wie andere auch, geirrt." Auch sein Festhalten an Nord Stream 2 sei "eindeutig ein Fehler" gewesen.
Eklat mit Kiew
Zu einer Beruhigung im Verhältnis mit Kiew führte dies nicht. Im Gegenteil. Als Steinmeier Mitte April 2022 zusammen mit den Staatschefs Polens und der drei baltischen Staaten nach Kiew fahren wollte, wurde er kurzfristig ausgeladen - aus Berliner Sicht ein beispielloser politischer Affront. Es dauerte bis zum Oktober, bis Steinmeier dann doch in die Ukraine reiste.
Suche nach neuen Partnern
Diversifizierung - so lautet als Folge des Ukraine-Krieges eine Maxime deutscher Politik. Man könnte auch sagen: Alte Freundschaften aufwärmen, neue knüpfen, einseitige Abhängigkeiten abbauen. Oft wirkte es so, als arbeiteten Bundeskanzler und Bundespräsident dabei Hand in Hand. Deutlich wird das beim Blick auf ihre Reisen. So war Steinmeier etwa zu Neujahr in Brásilia bei der Amtseinführung des neuen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva - Olaf Scholz traf sich mit ihm Ende Januar. Oder: Scholz reiste im April vergangenen Jahres nach Japan, Steinmeier wenige Monate später im November. Im November war Scholz in Singapur, das Steinmeier bereits im Juni besucht hatte.
Innenpolitische Agenda
Der Ukraine-Krieg wurde bald auch bestimmendes Thema für Steinmeiers Arbeit in Deutschland. Er löste die auslaufende Corona-Pandemie ab. Fast schien es, als würden die "tiefen Wunden", von denen Steinmeier gesprochen hatte, mit dem Wegfall von Lockdowns und Maskenpflicht von allein heilen. Wenn er in seiner neuen Veranstaltungsreihe "Ortszeit Deutschland" seinen Amtssitz jeweils für drei Tage weg aus der Hauptstadt irgendwo ins Land verlegte, um den Menschen zuzuhören, ging es mehr um Kriegsangst und hohe Inflation als um Folgen des Krieges.
Die Dinge nicht schön reden, aber den Menschen zugleich Mut machen - so sieht Steinmeier seine Rolle in dieser schwierigen Zeit. "Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu", sagte er beispielsweise im Oktober in einer Art Rede an die Nation. Aber auch: "Unser Land hat die Kraft, Krisen zu überwinden." Der Satz hätte so auch in der ersten Amtszeit zur Pandemie fallen können.