CDU im Dilemma
Möglich ist auch die umgekehrte Version: Kommen andere Parteien gemeinsam auf mehr Sitze als die AfD und tun sich zusammen, könnten auch sie ohne eine absolute Mehrheit wie oben beschrieben eine Minderheitsregierung bilden. Aber es wird zunehmend schwieriger. "Da die CDU die Linke als Koalitionspartner ausschließt, kann eine Koalition nur aus den vier Parteien CDU, SPD, Grüne und FDP gebildet werden. Scheitern Parteien aus dieser Konstellation an der Fünf-Prozent-Hürde, wird eine Regierung jenseits der AfD unwahrscheinlicher. Außer man holt die Linke dann ins Boot", beschrieb Wagschal das Dilemma.
Der Darmstädter Politikwissenschaftler Christian Stecker geht davon aus, dass es in der Ost-CDU mit Blick auf die Landtagswahlen Diskussionen über Abstimmungsmehrheiten im Rahmen von Minderheitsregierungen mit der AfD geben wird. "Je stärker die AfD und je größer rechte Wählermehrheiten, desto schwieriger wird es für die CDU, eine hermetische Brandmauer zur AfD auch innerparteilich durchzusetzen", sagte er.
"Rote Linie" Tolerierung
Dass es solche Diskussionen schon gibt, zeigt das Beispiel von Andreas Rödder, Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission. Er hatte sich zuletzt offen für CDU-Minderheitsregierungen im Osten gezeigt, selbst wenn sie hin und wieder von der AfD unterstützt würden. Käme es zu einem solchen Modell, würde die AfD zumindest indirekt auch mitregieren. CDU-Spitzenpolitiker wiesen die Idee umgehend zurück. Der Historiker Rödder sagte dagegen dem "Stern": "Problematisch wäre es erst, wenn sich die CDU offiziell von der AfD tolerieren ließe und dafür Absprachen eingehen würde. Das wäre eine rote Linie".
Eine sogenannte Tolerierung ist ein Spezialmodell einer Minderheitsregierung: Die Minderheit vereinbart dabei mit anderen Parteien zum Beginn der Regierungszeit, regelmäßig bei bestimmten wichtigen Themen, etwa dem Haushalt, gemeinsam zu stimmen. Das schafft eine relativ große gegenseitige Abhängigkeit.
Parlamente am Rande der Handlungsunfähigkeit
Politikwissenschaftler Stecker rief die anderen Parteien dazu auf, "das verbleibende Jahr dazu nutzen, die AfD, die im Osten besonders radikal ist, inhaltlich zu stellen". Dazu müsse insbesondere die Ost-CDU mehr Beinfreiheit bekommen, um konservative Wähler glaubwürdig ansprechen zu können. Sondiert werden müsse auch, wie in Parlamenten konstruktiv zusammengearbeitet werden könne. In Thüringen habe man erlebt, wie hohe AfD-Sitzanteile diese an den Rand der Handlungsunfähigkeit führen könnten.
Wagenknecht-Effekt könnte AfD ausbremsen
Viel durcheinanderwirbeln könnte noch Sahra Wagenknecht. Sollte sich die prominente Linke-Politikerin entschließen, eine neue Partei zu gründen - die Entscheidung soll bis Jahresende fallen - könnte das die AfD womöglich Stimmen kosten. Gerade in Ostdeutschland gäbe es einer Analyse der Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek (Universität Potsdam), Constantin Wurthmann (Mannheim) und Sarah Wagner (Belfast) zufolge ein starkes Wählerpotential.
Ein neuer politischer Wettbewerb durch eine Wagenknecht-Partei könne "erhebliche Folgen für die AfD an der Wahlurne" haben, sagte Wagner der dpa. Zum ersten Mal würde es damit eine "ernstzunehmende Konkurrenz für die AfD auf einer gesellschaftspolitischen Ebene" geben. Die "Anti-Eliten- und Anti-Mainstream-Parteien-Position" läge nicht mehr ausschließlich in der Hand der AfD. Wagenknecht könnte zudem "durch Jahre an Kampagnen gegen die Flüchtlingsaufnahme auch für AfD-Wähler eine überzeugende Alternative" darstellen.