Seltenheit Eine schwarze Rose als Geschenk

Im Garten vor dem Fenster seines Arbeitszimmers ist Schwarz wohl kein Symbol für Traurigkeit: Landolf Scherzer erzählt noch Tage später gerührt von einem unverhofften Besuch und seinem besonderen Mitbringsel – eine von vielen Leser-Reaktionen auf den Vorabdruck seines Buchs in unserer Zeitung.

Landolf Scherzer fischt aus der Leserpost fünf Zuschriften heraus, deren Absender ein signiertes Buch von ihm erhalten. Foto: Michael Reichel

Schwarze Blätter wird sie einmal tragen – im Juni, wenn die Rosen ihre ganze Pracht entfalten. Noch sieht man nur drei dunkelgrüne, dornige Zweige, die sich mutig in der Nachmittagssonne aus dem Wurzelballen räkeln. Hermann Oehring hat die Rose vor ein paar Tagen eingegraben, und die kleinen Triebe mit Draht gegen das Wild geschützt, das ab und an durch den kleinen Garten vor Landolf Scherzers Schreib-Hütte schlendert. Wenn der Suhler Schriftsteller aus dem Fenster vor seinem großen, hölzernen Arbeitszimmer schaut, kann er der Rose hinter den bunten Krokussen und neben dem Nistkasten mit dem fleißigen Meisen-Pärchen als Bewohner beim Wachsen zuschauen – und später beim Blühen.

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Hermann Oehring ist einer der Suhler Rosenfreunde, und er hat im Vorabdruck von Scherzers neuem Buch in unserer Zeitung eine Erinnerung gefunden, die ihn elektrisiert hat. Dort erzählt Landolf Scherzer von Kindheit und Jugend. Die spülte ihn, den gebürtigen Dresdner, mit dem beruflichen Schicksal seines Vaters in der jungen DDR auch nach Forst an die Oder. Keine Stadt, die ihm gefiel, gesteht er in dem Buch. Aber: „Ach ja, in Forst gab es einen Rosengarten, dort sollte es eine sensationelle Züchtung geben, eine schwarze Rose. Das interessierte mich, aber ich entdeckte sie nirgends – sooft ich auch diesen großen Rosengarten betrat. Sie blieb mir als Fantasiebild. Noch heute suche ich nach ihr, wo immer ich hinfahre.“

Eine lebenslange Suche

Nun, viele Lebensjahrzehnte später, hat der Suhler Rosenfreund Oehring diese Suche beendet. Das Fantasiebild, von dem Scherzer schreibt, schickt sich an, im Rhythmus der Tage und genährt von den Sonnenstrahlen, Wirklichkeit zu werden – irgendwann wird sie blühen, die Rose. Hermann Oehring stand plötzlich vor seinem Fenster, erzählt er. „Sie kennen mich nicht, aber ich habe Ihre Erinnerungen gelesen“, sagte Oehring. Von der schwarzen Rose, die es so selten gibt, dass man sie nicht so leicht findet. Hermann Oehring aber hat sie gefunden. Er wusste, wo er suchen musste. Und kam am nächsten Tag wieder. Mit der Rose, einem Spaten, Draht gegen Wühlmäuse und Rehe. Er hat ein Loch gegraben vor Scherzers Fenster, und dann haben sie die Rose eingepflanzt. So schließt sich, nach so vielen Jahren, ein Kreis. „Ich hab fast geheult“, sagt Scherzer. Und vielleicht ist diese Rose sein schönstes Geburtstagsgeschenk zum Achtzigsten im April. Wenn er, Tage später, nun die Geschichte erzählt, ist er noch immer gerührt, sagt, dass ihm keine Lesung so viel bedeuten könne wie dieses Geschenk, bei dem er spürte, wie seine Texte Menschen bewegen. Was will und was kann ein Schriftsteller mehr erreichen?

Fast 80 Zuschriften von Leserinnen und Lesern haben wir in den letzten Tagen auf unsere Bitte erhalten, doch einmal in einem Satz aufzuschreiben, auf was sie neugierig sind. Neugierde auf die Welt ist der Grund für Scherzers Bücher, für seine Reisen nach Kuba, Afrika, Griechenland, China, Osteuropa oder entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Neugierde auf Menschen, ihr Denken, Fühlen und Tun haben den Suhler Schriftsteller zum Ersten geführt, zum Zweiten, Letzten und auch zum Roten. Sich erst ein Bild machen und dann eine Meinung bilden – mit dieser zutiefst journalistischen Haltung findet der gelernte Journalist Landolf Scherzer nicht nur seine Leser, sondern auch seinen Frieden.

Überwältigendes Echo

Fünfzehn kleine Episoden aus diesem besonderen Gesprächsband „Weltraum der Provinzen“ – ein gedanklicher Austausch zwischen ihm und Hans-Dieter Schütt anlässlich seines 80. Geburtstags – hatte Landolf Scherzer für einen exklusiven Vorabdruck in unserer Zeitung ausgewählt und bearbeitet. Das Leser-Echo ist überwältigend – auch, weil der Suhler Schriftsteller Erinnerungen und Parallelen im Leben seiner Leser weckt: „Halten Sie fest, dass ich immer noch neugierig bin“, schreibt Otto Stütz aus Vacha. Und notiert: „Ich werde nun fast 100 Jahre alt und kann noch lesen und schreiben. Ich habe noch Interesse an allen Ereignissen in der Welt.“ Und an Scherzers Geschichten. Manfred Deubach aus Suhl schickte gleich einen persönlichen Geburtstagsbrief für den Autoren in die Redaktion. Den haben wir natürlich auch persönlich überbracht. Durch den Vorabdruck aus dem Buch in unserer Zeitung erfuhr Deubach, dass er wie Scherzer mit jeweils 29 Jahren seine erste Seereise auf der ROS „Friedrich Wolf“ beim VEB Fischkombinat Rostock angetreten hat. Der gleiche Frachter, das gleiche Alter, nur zwei unterschiedliche Jahre: Manfred Deubach fuhr 1969 zur See, Landolf Scherzer später. Als Scherzers vielleicht bestes Buch, „Fänger und Gefangene“, bei Freies Wort als Fortsetzung abgedruckt wurde, hat Deubachs Frau ihrem Mann die Zeitungsausschnitte per Post auf den Ozean geschickt. Was für ein Zufall!

Beim Lesen der Post an uns fällt auf: Es gibt vor allem zwei Bücher aus Landolf Scherzers fast 30 Werke umfassender Werkliste literarischer Reportagen, die immer wieder erwähnt werden: „Fänger und Gefangene“ – sein viertes Buch (1983) – und natürlich „Der Erste“ (1988). Mit beiden hat er bleibenden Eindruck hinterlassen, und es will schon etwas heißen, wenn sich Menschen über 30 Jahre später noch an Bücher erinnern, weil deren Geschichten sich eingebrannt haben im Kopf.

Was also ist die besondere Kunst eines Landolf Scherzer? Auch darauf haben Leserinnen und Leser eine Antwort. Christa Geisthardt aus Suhl schreibt: „Landolf Scherzer ist darin Meister, Dinge auf den Punkt zu bringen, aber auch darin, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Er regt die Menschen zum Denken an. Über ihn selbst erfährt man nur wenig, aber die Art, wie er über Dinge berichtet, sagt viel über seine Person aus. Ich freue mich schon jetzt auf dieses Buch und habe mit Begeisterung die Vorabdruckseiten in der Zeitung gelesen.“

Hans-Dieter Schütt im Gespräch mit Landolf Scherzer: „Weltraum der Provinzen“ – Aufbau-Verlag Berlin 2021, 22 €.