Brand in Westenfeld: Spendenaktion „Mein Mann dachte, es sei ein Flieger“

Marvin Kalwa

50 Jahre lang war Christel Blaufuß Inhaberin der Gaststätte und Pension „Zur frischen Quelle“ in Westenfeld. Ihr ganzes Leben lang wohnte sie hier. Dann kam das Feuer.

 
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Nebenan im Haus des Bruders hat Christel Blaufuß jetzt eine Asservatenkammer. Als die 69-Jährige die Tür zu dem kleinen Zimmer öffnet, umweht einen immer noch der Geruch von kaltem Rauch. Das alte Geschirr aus der Gaststätte zum Beispiel: „Selbst nach dem Spülen hat das alles nach Rauch gerochen“, sagt sie. Auf den ersten Blick hat viel Krimskrams den Brand am 13. Dezember überlebt. Aber da sind eben auch: Handtücher und Bettbezüge aus der Pension, nun sauber gefaltet auf einem Tisch und drei Stühlen liegend. Die alten Familienalben, die jemand in einen Wäschekorb gepackt und daneben auf den Boden gestellt hat. Oder, wiederum daneben, in einem Eckregal, und nun ganz wichtig: die Versicherungsunterlagen.

Zwei Tage nach dem Brand durfte Christel Blaufuß zusammen mit ihrem Sohn und ihrer Tochter wieder rein in das Gebäude, nur 50 Meter weiter links. Der Einsturzgefahr wegen nur kurz und bitte verteilt im Raum. Blaufuß ging die Treppen hoch ins Schlafzimmer und riss die Türen ihrer Kleiderschränke auf. Das Feuer hatte vor allem in den Gästeräumen der Pension gewütet, auf der anderen Seite des Hauses. Zudem waren die Anziehsachen, Handtücher und Bettbezüge im Schrank vor dem Löschwasser geschützt. Also Sack auf und Sachen rein. Alles im Haus knarzte und knackte. „Ich dachte, das Dach stürzt ein“, sagt Blaufuß. Das andere Kleinzeug, was sie noch halbwegs unbeschadet in den Trümmern fanden, packten sie schnell in eine Schubkarre. Sortiert wurde dann erst später drüben beim Bruder, in der Asservatenkammer.

Im Oktober noch feierte Christel Blaufuß ihr 50-jähriges Jubiläum als Inhaberin des Gasthauses und der Pension „Zur frischen Quelle“ in Westenfeld. Ihr Urgroßvater habe das Haus kurz vor 1900 herum gekauft, das genaue Datum weiß sie gar nicht mehr. Es diente schon immer als Multifunktionsgebäude: Ganz früher, zu Zeiten ihrer Großväter, war die „Frische Quelle“ nicht nur eine Kneipe, sondern auch ein Kolonialwarengeschäft, eine Poststelle und ein landwirtschaftlicher Betrieb. Oben in der ersten Etage gab es einen Tanzsaal mit Kino, wo das Dorf alle seine Feiern abhielt, egal ob Kirmes oder Fasching. Manchmal machten sie dort auch Schulsport, wenn die Turnhalle im Ort repariert werden musste. „Dachsport“ nannten sie das dann damals, erzählt Blaufuß.

Nach der Wende, 1993, wurde der Tanzsaal in eine Pension mit Fremdenzimmern umgebaut. Für die Touristen, die sich die ehemalige deutsche Grenze anschauen wollten. Christel Blaufuß und ihr Mann schliefen immer nebenan. Ihr ganz Leben lang wohnte sie in dem Haus. Seit jenem 13. Dezember ist das Multifunktionsgebäude nur noch eine Brandruine.

Es passierte am helllichten Tag an einem Dienstag, gegen 13 Uhr. Christel Blaufuß saß mit ihrem Mann und ihrer Tochter gerade zum Mittagessen unten in der Gaststätte. Dann auf einmal ein Knall, der sich wie ein Schlag anfühlte. „Mein Mann dachte, da ist ein Flieger übers Haus geflogen.“ Als er hinausging, stiegen die gelben Rauchwolken schon hinten aus dem Haus heraus. Genau dort, wo die Pensionszimmer sind. Als noch einmal wenig später die ersten drei Einsatzkräfte von der Freiwilligen Feuerwehr aus Westenfeld zur Hilfe eilten, loderten schon die Flammen aus dem Fenster.

Schockstarre auf der Straße

Christel Blaufuß streifte sich eine Jacke über, zog sich Turnschuhe an und rannte mit ihrem Mann nach draußen. Gäste waren an diesem Tag nicht im Haus. Die Tochter rettete noch Lotte, den kleinen Bullterrier, aus dem Hinterhof. Dann standen sie zusammen bei eisigen Temperaturen auf der Straße. Drei Stunden, vier Stunden, das hat Christel Blaufuß gar nicht mitbekommen. Sie weiß noch, dass viele Leute aus dem Dorf sich schnell zu ihnen stellten. Und dass immer mehr Feuerwehrleute versuchten, den Brand irgendwie unter Kontrolle zu bekommen. 85 seien es gewesen, habe sie im Nachhinein in der Zeitung gelesen. „Ich sah den Rauch und die Flammen und hatte Angst“, sagt sie.

Es ist ein schwieriger Einsatz für die Feuerwehr an diesem Tag. Die Preolitschindeln aus DDR-Zeiten macht es den Einsatzkräften schwer, das Dach zu öffnen und den Brand von oben zu löschen. Dazu verwandelt sich die Straße bei den Minustemperaturen durch das Löschwasser schnell zu einem Eiskanal. Der Großbrand ist erst um 16.30 Uhr unter Kontrolle. Der Mann von Christel Blaufuß muss sich, halb zur Beruhigung, halb aus Erschöpfung zwischendurch in das warme Auto des Sohnes setzen.

Nach Einbruch der Dunkelheit zieht sich die Familie zurück. Sie kommen in der Nacht beim Bruder unter. Dort kann Christel Blaufuß vom Küchenfenster sehen, wie sich später neue Glutnester bilden. Geschlafen hat sie in der Nacht nicht: „Ich habe nur im Bett gelegen und gezittert.“ Von dort hört sie, wie immer wieder Feuerwehrwagen wegfahren oder auch wiederkommen, als das Dach mitten in der Nacht wieder Feuer fing.

Bis heute ist nicht geklärt, was die Ursache für den Brand war. Die Kriminalpolizei geht zwei Tage später von einem „technischen Defekt“ aus, genaueres kann sie nicht sagen. Auch Christel Blaufuß weiß beim besten Willen niht, was an jenem Dienstagmittag passiert sein könnte. Ist ein Kabel durchgeschmort, müsste in solchen Fällen nicht die Sicherung rausspringen? Waren womöglich Mäuse am Werk? Mäuse hat die Inhaberin allerdings nie im Haus gesehen.

Es gibt auch Leute, die sie fragen, ob es etwas mit der Sauna zu tun haben könnte. Die sei doch früher dort eingebaut gewesen, wo bis zum 13. Dezember die Gästezimmer waren. Aber auch hier liegt die Betonung auf „gewesen“. Blaufuß schmunzelt, als sie davon erzählt: „Die Leute reden immer noch von der Sauna, obwohl da gar keine Sauna mehr war.“

Ähnliches wäre bald vermutlich mit der Kneipe unten und der Pension oben passiert – auch ohne Brand. Gäste konnte Christel Blaufuß nämlich kaum noch in Westenfeld begrüßen. Sie veranschaulicht den Niedergang anhand von Bierfässern: In der Hochzeit verzapfte sie in ihrer Kneipe täglich einen Hektoliter Fassbier, also 100 Liter. Irgendwann langte dafür ein 50-Liter-Fass, noch später reichten 15 Liter. Zuletzt hatte Christel Blaufuß nur Flaschenbier vorrätig. Das verkaufte sie zum Beispiel noch zum Dämmerschoppen jeden Sonntagabend. Mindestens fünf bis 15 Leute kamen dann doch, einfach „um sich zu treffen und sich was zu erzählen“. Vermutlich war der Dämmerschoppen zwei Tage bevor die Flammen kamen der letzte.

Lange wollte die 69-Jährige ihre Gaststätte und Pension nicht mehr betreiben, die „Frische Quelle“ wäre eines natürlichen Kneipentodes gestorben. Sie hatte schon Pläne für danach. Das Schlafzimmer zum Beispiel sollte runter in die Gaststätte. Für Blaufuß wäre das folgerichtig gewesen. Ihr Wohnzimmer sei die Kneipe immer schon gewesen. Aber dann kommen ihr im Gespräch Tränen in die Augen. Was bringt es noch, über die Zukunft des Hauses zu sprechen, wenn mir nichts, dir nichts die Gegenwart ausgelöscht wurde? Und mit ihr fast komplett die über 120-jährige Vergangenheit.

Immerhin kann Christel Blaufuß mittlerweile wieder die Brandruine betreten, nervlich hält sie das durch. Vorher zieht sie sich aber noch eine Plastiktüte über die Schuhe bis hoch zu den Knien. Das, was innen vom Haus übrig ist, bedeckt mittlerweile nämlich eine dicke Schicht aus Lehm, der aus der Decke gespült wurde. „Was das Löschwasser nicht geschafft hat, hat jetzt der Regen geschafft“, sagt sie.

Langsam watet sie mit den Plastiktüten die Treppe hoch in die erste Etage. Dort angekommen, schaut sie nach links. Früher waren dort die Gästezimmer. Nun sind da nur noch Trümmer und ein Loch, das Dach ist an dieser Stelle des Hauses bis zum Gerippe abgebrannt und eingestürzt. Christel Blaufuß ist froh, dass am Unglückstag keine Gäste im Haus waren. Auch nicht auszudenken gewesen wäre, wenn es nachts angefangen hätte zu brennen, während sie und ihr Mann im Bett schliefen. „Dann wären wir wahrscheinlich verbrannt.“

Zukunft ungeklärt

Aus dem Schlamm fischt sie jetzt drei kleine Kästchen. Ihre Tochter vermisse noch Schmuck. Vielleicht ist er darin, das kann Christel Blaufuß aber noch nicht sagen. Erst einmal abwaschen später, in die Asservatenkammer legen und dann mal schauen.

Fürs Erste wohnen Christel Blaufuß und ihr Mann jetzt weiter im Haus des Bruders. Dort haben sie eine Zweizimmerwohnung, direkt neben der Asservatenkammer. Der Versicherung haben sie eine Auflistung an Dingen geschickt, die bei dem Brand kaputtgegangen sind. Was daraus wird, ist noch nicht klar. Eindeutig aber ist das alte Haus als Totalschaden dem Abriss geweiht. Christel Blaufuß möchte sich bei den Leuten bedanken, die ihnen gleich am ersten Tag nach dem Brand ein Spendenkonto eingerichtet haben und bei denen, die bis heute fragen, ob sie etwas brauchen, Anziehsachen zum Beispiel. Nachmittags dreht sie jetzt immer große Runden mit Lotte. In der Natur zu laufen, tue ihr gut.

Eigentlich ist es nicht vorstellbar, dass sie noch einmal wegzieht aus Westenfeld. Ihr ganzes Leben hat sie hier gewohnt. Allerdings in einem Haus, in dem sie so nun nie wieder wohnen kann. Weihnachten verbrachten sie und ihr Mann beim Sohn in Jüchsen. Zum Essen habe es Ente gegeben, alles sei schön gewesen. „Auch wenn“, sagt Christel Blaufuß, „ich die Ente eigentlich bei uns in der Gaststätte zubereiten wollte“.

Spenden für die Familie Blaufuß sind möglich an:

Freies Wort hilft
IBAN: DE39 8405 0000 1705 0170 17 
BIC: HELADEF1RRS (Rhön-Rennsteig-Sparkasse)

Stichwort: Westenfeld

 

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