Wann Europa durch die ersten Menschen besiedelt wurde
Besiedlung Europas in der SteinzeitWann Europa durch die ersten Menschen besiedelt wurde
Markus Brauer 08.09.2024 - 12:36 Uhr
Wann und wie wurde Europa besiedelt? Kölner Forscher haben ein Modell entwickelt, das die menschliche Ausbreitung auf dem Kontinent während der letzten Eiszeit in bislang unerreichter Detailgenauigkeit erfasst.
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Bis vor rund 43 000 gehörte Europa dem Neandertaler, der zwischen 450 000 und 40 000 die Steppen und Höhlen Süd-, Mittel- und Osteuropas bevölkerte. Der ausgestorbene Verwandte des heutigen Menschen entwickelte sich in Europa – parallel zum modernen Menschen in Afrika – aus gemeinsamen afrikanischen Vorfahren der Gattung „Homo“.
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Ab 43 000 wurde er mit einer verwandten Spezies konfrontiert, die bis dahin im fernen Afrika und im Nahen Osten gelebt hatte – dem anatomisch modernen Menschen. Wie die Begegnung ablief, wie oft sich ihre Wege kreuzten und inwieweit der Mensch am Aussterben des Neandertalers beteiligt war, wissen wir nicht.
Wie lief die Besiedlung Europas ab? Nach bisherigem Forschungsstand hat es mehrere große Einwanderungswellen gegeben. Forscher der Universität Tübingen und des Max-Planck-Instituts (MPI) für Menschheitsgeschichte in Jena hatten bereits vor einigen Jahren nachgewiesen, dass die erste Einwanderungswelle moderner Menschen gen Europa vor circa 43 000 Jahren erfolgte.
Zu ihnen gehörte auch ein Mann, der vor rund 40 000 Jahren lebte und dessen Knochen im Jahr 2002 in der Oase Höhle (Peștera cu Oas) in Südwest-Rumänien gefunden wurden. Es sind die ältesten Überreste des modernen Menschen, die jemals in Europa entdeckt wurden.
Die Menschen in der darauffolgenden Aurignacien-Kultur (40 000 bis 31 000) fertigten die ersten Musikinstrumente und Kunstwerke wie die berühmte Venus aus dem Hohle Fels. Sie wanderten wahrscheinlich aus dem Nahen Osten entlang der Donau nach Zentraleuropa ein.
Vom Jäger und Sammler zum Bauern und Viehzüchter
Ein Forscherteam am Institut für Geophysik und Meteorologie und am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität zu Köln hat nun ein neues, spezifiziertes Modell entwickelt – das „Our Way Model“.
Die Archäologen modellierten die Ausbreitung und die Bevölkerungsdichten des Menschen während des Aurignacien (43 000 bis 32 000 Jahren), um besser zu verstehen, wie die ersten anatomisch modernen Menschen Europa besiedelten.
Zur Info: Das Aurignacien ist die älteste archäologische Kultur des europäischen Jungpaläolithikums. Als Aurignac-Kulturstufe wurde der Begriff 1867 von dem französischem Vorgeschichtsforscher Gabriel de Mortillet eingeführt.
Das „Our Way Model“ zeigt vier Phasen dieses Besiedlungsprozesses auf:
In der ersten Phase kam es zu einer langsamen Ausbreitung des Menschen von der Levante bis zum Balkan.
Dieser ersten Welle folgte eine zweiten Phase der raschen Ausbreitung nach Westeuropa.
Die darauffolgende dritte Phase war durch einen Rückgang der menschlichen Bevölkerung gekennzeichnet.
Die vierte Phase schließlich brachte eine regionale Zunahme der Bevölkerungsdichte und ein weiteres Vordringen in zuvor unbesiedelte Gebiete Großbritanniens und der Iberischen Halbinsel.
Die frühen anatomisch modernen Menschen überlebten als Jäger und Sammler über extrem lange Zeiträume. Als sie begannen, sich in Europa auszubreiten, herrschten weltweit andere klimatische Bedingungen als heute. Das überwiegend kühlere und trockenere Klima der letzten Eiszeit wurde wiederholt von wärmeren Phasen unterbrochen, wobei einige Veränderungen abrupt, andere hingegen allmählich eintraten.
Die Gründe für die Ausbreitung der Menschen nach Europa waren vielfältig: menschlicher Entdeckergeist, eine veränderte Sozialstruktur sowie technischer Fortschritt.
Wie sich der Klimawandel auf die menschliche Ausbreitung auswirkte
Die Forscher konnte mit dem Modell auch zeigen, wie sich der Klimawandel auf die Ausbreitung der Menschen auswirkte. Die Ausbreitungsprozesse verliefen nicht linear. Manchmal rückten die Menschen schnell vor und manchmal zogen sie sich in klimatische Refugien zurück.
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die frühe Besiedlung Europas hochkomplexe Prozesse der Ausbreitung, des Rückzugs, Auflassens und der Wiederbesiedlung umfasste. Diese waren durch klimatische Veränderungen und die Anpassungsfähigkeit der Menschen bedingt.
Methodische Komponenten des „Our Way Model“
Das „Our Way Model“ simuliert die menschliche Ausbreitung in zwei Hauptschritten:
Erstens durch die Kombination von Klima- und archäologischen Daten zur Modellierung des sogenannten menschlichen Existenzpotenzials (Human Existence Potential – HEP).
Zweitens durch die Modellierung der menschlichen Bevölkerungsdynamik, die durch das HEP eingeschränkt wird. Das Human Existence Potential definiert die Wahrscheinlichkeit der menschlichen Existenz unter Klima- und Umweltbedingungen für eine bestimmte Kultur.
Diese wichtige Größe wird mithilfe eines HEP-Modells geschätzt, das – basierend auf paläoklimatischen Daten – durch Machine Learning (ML, zu deutsch: Maschinelles Lernen) die menschliche Existenzwahrscheinlichkeit für bekannte archäologische Stätten berechnet.
Zur Info:Maschinelles Lernen entwickelt, untersucht und verwendet statistische Algorithmen (auch Lernalgorithmen genannt). Lernalgorithmen können Lösungen für Probleme lernen, die zu kompliziert sind, um sie mit Regeln zu beschreiben, zu denen es aber viele Daten gibt.
Klima im Aurignacien
Der ML-Ansatz konstruiert die klimatischen Bedingungen für das Aurignacien und bildet die klimatischen Präferenzen der Menschen dieser Kultur ab. Das Modell wird angewandt, um die räumlichen und zeitlichen Muster des menschlichen Existenzpotenzial unter Verwendung von simulierten Daten eines globalen Klimamodells zu schätzen. Die Ergebnisse zeigen:
Die erste Phase war geprägt von einer relativ langsamen Ausbreitung nach Westen von der Levante bis zum Balkan (45 000 bis 43 250 Jahren).
Darauf folgte folgte eine zweite Phase der schnellen Ausbreitung nach Westeuropa (43 250 bis 41 000 Jahren). Obwohl von kurzen Rückschlägen unterbrochen, erreichten die Homo sapiens-Populationen rund 60 000 Menschen in ganz Europa, die sich über alle bekannten archäologischen Fundstellen dieser Periode verteilten.
Die anschließende dritte Phase war durch einen Rückgang der menschlichen Bevölkerung gekennzeichnet, sowohl in Bezug auf ihre Größe und Dichte als auch auf das von ihr bewohnte Gebiet (41 000 bis 39 000 Jahren). Diese Entwicklung war die Folge einer lang anhaltenden Kältephase, die fast 3000 Jahre dauerte und als GS9/HE4-Phase bekannt ist. Dem Modell zufolge überlebten die Menschen jedoch in topografisch geschützten Gunsträumen (zum Beispiel in den Alpen), die sie in der vorangegangenen Phase gerade besiedelt hatten.
In der vierten Phase, beginnend vor etwa 38 000 Jahren, als sich die Bedingungen wieder verbesserten, erholte sich die Population schnell und wuchs weiter. Die Bevölkerungsdichte nahm regional zu genauso wie das weitere Vordringen in zuvor unbesiedelte Gebiete Großbritanniens und der Iberischen Halbinsel.
Die Daten zeigen, dass am Ende dieses Besiedlungsprozesses manche Gruppen besser an kalte Klimabedingungen angepasst waren als andere. Dies ermöglichte es ihnen, die Grenzen der zuvor besiedelten Gebiete zu überschreiten.