Berufsorientierung Digitale Entdeckungsreise sucht Mitstreiter

Stephan Dietzel (17) aus Floh-Seligenthal ist derzeit FSJler im Steinbach-Hallenberger Altenhilfezentrum, hat sich für die Ausbildung zum Altenpflegehelfer hier entschieden. Ein Beispiel erfolgreichen Werbens um Lehrlinge aus der Region, sagte seine Chefin, Petra Unkart. Foto: Sascha Willms

Berufsorientierung kam in Corona-Zeiten nahezu zum Stillstand. Die Folgen für die Jugendlichen könnten verhängnisvoll sein, sagen die Initiatoren der „Erlebnisreise Berufswelten“, die deshalb am 26. Juni erstmals digital stattfinden wird. Ein Experiment.

 
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Steinbach-Hallenberg - Abi, Studium Karriere – ein Lebensbild, das nach der Wende modern wurde, sorgte dafür, dass immer weniger Jugendliche Bock auf Jobs im regionalen Handwerks- und Industrie- und Dienstleistungssektor hatten. Mit den „Entdeckungsreisen in Berufswelten“ begann die Steinbach-Hallenberger Wirtschaftsförderung bereits 2013, dem Trend entgegenzusteuern. Dicke Bretter mussten gebohrt werden, um auch viele der regional typischen, kleineren Betriebe von der Sinnhaftigkeit derart aufwendiger Öffentlichkeitsarbeit zu überzeugen. Hunderte Jugendliche wurden an dem Aktionstag vor den Sommerferien durch Dutzende Betriebe geführt, umsorgt, verköstigt und umworben.

Der Erfolg kam, als die ersten Bewerbungen in die Briefkästen der vielen kleinen und größeren Unternehmen der Region flatterten. Auch die Liste der teilnehmenden Unternehmen wurde langsam, aber stetig länger. Dann kam Corona und das Virus brachte die Berufsorientierung in den Betrieben, aber auch in den Schulen und zuständigen Ämtern, nahezu zum Erliegen.

Dass die Entdeckungsreise diesmal, vom 21. Juni bis zum 3. Juli, digital stattfindet, sorgt nicht nur für Begeisterung, gibt Mitorganisatorin Jana Endter unumwunden zu. V or allem die Resonanz aus den Kleinunternehmen und Handwerksbetrieben könnte größer sein. Deren verständliche Devise sei, man müsse das Stück Holz auch anfassen können, mit dem man später arbeite. Gegen die Großen der Industrieregion sehen sie sich zudem digital im Hintertreffen.

Zu Unrecht, meint Daniel Marr von der gleichnamigen Familienbäckerei der Hallenburgstadt. Gemeinsam mit Bruder Thomas lässt er in Sachen Öffentlichkeitsarbeit seit Langem nichts anbrennen – und das zahle sich aus. Zum ersten Mal seit zehn Jahren hat die Bäckerei wieder einen Azubi für den alles andere, als hippen Bäckerberuf. „Er war schon mehrmals zum Praktikum bei uns und zeigt echtes Interesse. Im September beginnt er seine Lehre“, sagt Marr. Und mit 18 Angestellten gehören auch die Marrs noch zu den kleineren Teilnehmern der Aktion.

Gerade die werden bei der digitalen Präsentation von den Handwerkskammern und der Industrie- und Handelskammer (IHK) aber unterstützt, beispielsweise mit kostenfreien Imagefilmen, die sie auf ihrer Seite verwenden dürfen. Jana Endter sieht sogar eher einen Vorteil: „ Auf der Internetseite hat jeder Teilnehmer einen Messestand und der ist für einen Handwerksbetrieb genauso groß, wie für ein Industrieunternehmen.“

Daneben gebe es als zweiten Baustein Videokonferenzen mit Berufsberatern, die Liste wachse derzeit immer noch an (siehe Info-Kasten). Die teilnehmenden Schulen haben die Angebote dankend angenommen. Einige Lehrer bauen die Vorträge in den Unterricht ein, ganze Klassen werden teilnehmen.

„Es ist ein Experiment, das es so in der Region noch nicht gab. Wir sind die Versuchskaninchen“, sagt Jana Endter. Abgesehen von der ähnlich gelagerten Berufsmesse in Meiningen, von der man sich einiges abgeschaut habe. Um das Projekt technisch überhaupt stemmen zu können, sei es außerdem gelungen, das zur Verlagsgruppe der Heimatzeitung gehörende HCS Medienwerk ins Boot zu holen. Die Marketing-Profis bauen auf ein umfangreiches Netzwerk und hätten in Meiningen gezeigt, wie so etwas auf dem Lande funktionieren kann. Auch für die Internetseite, die bereits erreichbar ist und derzeit mit den Inhalten gefüllt werde, gebe es im Übrigen mit der Altersbacher Agentur „March – Web & Motion Design“ kompetente Partner gleich um die Ecke. Selbst der finanzielle Aufwand für die Teilnahme sei nicht höher, als in der Vergangenheit und im Übrigen kein Geheimnis. 299 Euro kostet ein digitaler Messestand.

Argumente, die auch Petra Unkart vom Evangelischen Altenhilfezentrum in Steinbach-Hallenberg überzeugt haben. „Tatsächlich ist die digitale Form der Unternehmensdarstellung erst einmal ein nicht unerheblicher Aufwand. Aber wenn wir während der Pandemie eines gelernt haben, dann ist es die Tatsache, dass Zoom-Konferenzen, Fachtagungen und selbst Weiterbildungen in digitaler Form inzwischen zum Berufsalltag gehören“, so die Einrichtungsleiterin. Mit 86 Bewohnern und rund 90 Angestellten ist auch das Pflegeheim ständig auf der Suche nach Azubis und Arbeitskräften und beteiligte sich bereits in den Vorjahren am Aktionstag. Unkart sieht es auch als Plattform, um mit Missverständnissen zum Pflegeberuf aufzuräumen.

Schon die Auszubildenden erhalten in der in Hessen ansässigen Gesundbrunnen GmbH Tariflohn. Praxisanleiter für die Anfänger, pädagogische Qualifizierungsangebote und nicht zuletzt ein in die Stadt eingebettetes Pflegeheim im Thüringer Wald schaffen laut Unkart lukrative Bedingungen. Auf der digitalen Entdeckungsreise werden sie präsentiert. Die Erfahrungen aus diesem Projekt werden zeigen, wie man künftig professionell mit so etwas umgehen könne, ist sie sicher. „Ich persönlich finde den Weg richtig, die jungen Menschen aktiv zu unterstützen, sich der Herausforderung zu stellen und bin gespannt auf das Feedback“, sagt Petra Unkart.

„Die digitale Version wird die Präsenzveranstaltung niemals ersetzen können, das wissen wir auch. Aber nichts zu machen, war für uns keine Option“, betont Jana Endter. Und wenn von den Vorteilen ortsungebundener Videokonferenzen und digitaler Vorträge für die Zukunft etwas hängenbleibe, dann könne auch das nur gut sein. Beispielgebend dafür könnten die digitalen Elternabende sein, die im Rahmen der Aktion vorgesehen sind.

Hauptzielgruppe seien nach wie vor Schüler auf Lehrstellensuche. Teilnehmende Einrichtungen sind derzeit die Regelschulen in Steinbach-Hallenberg, Schwarza und Floh-Seligenthal, das Schmalkalder BBZ sowie die Gymnasien in Schmalkalden und Zella-Mehlis. Nicht zuletzt richten sich die Angebote, wie schon in der Vergangenheit, nicht nur an Schüler, auch Fachkräfte habe man im Visier.

Koordiniert wird die Entdeckungsreise erneut von der Wirtschaftsförderung Steinbach-Hallenberg, den Gewerbevereinen und dem Schulförderverein im Haseltal. Im Südthüringer Netzwerk zur Fachkräftegewinnung (NeFa) werden derzeit die Kräfte gebündelt. Anmeldungen seien weiterhin möglich und ausdrücklich erwünscht. Die Kontaktaufnahme klappe beispielsweise über Facebook oder E-Mail. Das Messeportal mit allen Angeboten wird am 21. Juni auf der Internetseite freigeschaltet.

Programm der ersten Woche (wird fortgeschrieben)
21. Juni, 8.35 Uhr: Allgemeine Einführung zur Berufsorientierung, Agentur für Arbeit (Live), 7. Klasse (RS), 10.45 Uhr: Allgemeine Einführung zur Berufsorientierung, Agentur für Arbeit (Live), 8. Klasse (RS), 19 Uhr: Elternabend der Agentur für Arbeit (Live), 9. Klasse (RS) 22. Juni, 8.35 Uhr, Allgemeine Einführung zur Berufsorientierung (Live), 7. Klasse (RS), 10.45 Uhr: Allgemeine Einführung zur Berufsorientierung (Live), 8. Klasse, 19 Uhr: Elternabend (Live), 11. Klasse (Gym) 23. Juni, 8.35 Uhr Einführung Eignungstest, Agentur für Arbeit (Live), 7. Klasse (RS), 10 Uhr: Einführung Eignungstest, Agentur für Arbeit (Live), 8. Klasse (RS), 10.45 Uhr: Vorstellung IHK (Live), Industrie und Dienstleistung, Berufsbilder Region. Was ist duale Ausbildung? Chancen und Weiterbildung 7., 8. und 9. Klassen (RS) sowie 9., 10. und 11. Klassen (Gym), 11.45 Uhr: Vorstellung HWK (Live), Handwerksberufe der Region, Chancen Weiterbildung, 7., 8. und 9. Klassen (RS) sowie 9., 10. und 11. Klassen (Gym), 12.45 Uhr: Live-Vorstellung Firma Hehnke GmbH, 7., 8. und 9. Klassen (RS), 9., 10., 11. (Gym) 24. Juni, 8.35 Uhr: Einführung Eignungstest, Agentur für Arbeit (Live), 7. Klasse (RS), 10 Uhr: Einführung Eignungstest, Agentur für Arbeit (Live), 8. Klasse (RS), 10.45 Uhr Vorstellung IHK (Live), Industrie und Dienstleistung Berufsbilder Region, Was ist duale Ausbildung?, Chancen und Weiterbildung, 7., 8. und 9. Klassen (RS), 9., 10. und 11. Klassen (Gym), 11.45 Uhr: Vorstellung HWK (Live), Handwerksberufe der Region, Chancen und Weiterbildung 7., 8. und 9. Klassen (RS) sowie 9., 10. und 11. (Gym), 12.45 Uhr: Live-Vorstellung Unternehmen, 7., 8. und 9. Klassen (RS) sowie 9., 10. und 11. Klassen (Gym), 18 Uhr: Vorstellung HWK (Live), Elterninformation, allgemeine Infos zu den Berufen des Handwerkes der Region, duale Ausbildung, Berufsbilder und Aufstiegschancen 25. Juni, 18 Uhr: Vorstellung IHK Live-Elterninformation, Infos zu Berufen Industrie und Dienstleistung der Region, Ausbildung und Berufsbilder.

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