Messerattacke in ICE "Rennt nach hinten zum Zugende!"

Ein Mann greift in einem Zug Fahrgäste mit einem Messer an. Die Polizei rückt mit einem Großaufgebot aus. Der mutmaßliche Täter wird festgenommen - viele Fragen sind aber noch offen.

 
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Seubersdorf in der Oberpfalz - Als am Samstagvormittag der ICE 928 im Bahnhof der Gemeinde Seubersdorf in der Oberpfalz steht, ahnen die Anwohner schon, dass etwas nicht stimmt. "Als ich den gesehen habe, habe ich eigentlich schon gewusst, dass etwas passiert ist", sagt ein 21-Jähriger, der in der Nähe wohnt. In dem 5000-Einwohner-Ort zwischen Regensburg und Nürnberg halten normalerweise keine Schnellzüge. Der Zug war hierher ausgewichen, Minuten vorher waren darin drei Menschen bei einer Messerattacke schwer verletzt worden. Der mutmaßliche Täter: ein 27-jähriger Mann aus Syrien.

Der Mann wurde festgenommen, viele Details waren aber noch unbekannt. "Die Hintergründe der Tat sind derzeit noch vollkommen unklar", sagte ein Polizeisprecher. Es handle sich offenbar um einen Einzeltäter.

Der Täter hat nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur früher in Syrien gelebt, soll sich seit 2014 in Deutschland aufhalten und zuletzt in Passau gewohnt haben. Die Opfer sind drei Männer im Alter von 26, 39 und 60 Jahren, wie es aus Sicherheitskreisen hieß.

Plötzlich sei die Tür des Abteils aufgerissen worden, es habe eine fast panikartige Flucht in den hinteren Bereich des Zuges gegeben, berichtete ein 77 Jahre alter Fahrgast, der zum Zeitpunkt des Angriffs in einem anderen Waggon saß. "Ein Messerstecher! Rennt nach hinten zum Zugende!", sei gerufen worden. Dann habe er abgewartet, es sei Gott sei Dank aber nichts passiert. Angst habe er nicht gehabt.

Um kurz vor neun Uhr ging unter anderem beim Polizeipräsidium Oberpfalz ein Notruf ein: "Messerangriff auf Fahrgäste", wie Polizeisprecher Florian Beck sagte. Der ICE mit 200 bis 300 Fahrgästen an Bord hielt an dem kleinen Bahnhof Seubersdorf. Ob der 27-Jährige von anderen Fahrgästen oder von Polizeibeamten überwältigt wurde, konnte der Sprecher zunächst nicht sagen.

Das Bayerische Rote Kreuz versorgte die drei Schwerverletzten vor Ort und transportierte sie in Kliniken. Zuvor hatten Ärzte, die unter den Fahrgästen waren, im Zug Erste Hilfe geleistet, wie Passagiere berichteten. Die anderen Fahrgäste wurden in ein altes Gasthaus neben dem Bahnhof gebracht. Feuerwehrleute versorgten sie mit Essen und Trinken, ein Kriseninterventionsteam kümmerte sich um sie. "Jeder war irgendwo geschockt. Der eine mehr, der andere weniger", sagte ein 68 Jahre alter Fahrgast. Nur die wenigsten hätten die Attacke direkt mitbekommen.

Auch der 21-jährige Anwohner hatte ein mulmiges Gefühl: "Es ist schon irgendwie beängstigend, wenn man weiß, dass es so nah passiert ist. Und man fährt ja selber auch mal mit dem Zug in den Urlaub oder zum Flughafen."

Weil die Lage zunächst völlig unklar war, rückte die Polizei mit einem Großaufgebot an und räumte den Zug. Wenig später konnte sie Entwarnung geben: Es gebe keine Hinweise auf weitere Täter, es bestehe keine Gefahr für die Bevölkerung: "Wir suchen niemanden mehr."

Die Kripo Regensburg ermittle jetzt in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, sagte Polizeisprecher Beck. Zeugen würden vernommen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer drückte sein Entsetzen aus und rief zur Besonnenheit auf. "Die grausame Messerattacke im ICE ist furchtbar", zitierte ihn Ministeriumssprecher Steve Alter im Kurznachrichtendienst Twitter. Er danke den Einsatzkräften der Polizei und dem Zugpersonal "für ihren mutigen Einsatz". Die Hintergründe der grausamen Tat seien noch unklar und müssten aufgeklärt werden. "Erst dann ist eine Bewertung möglich."

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte: "Die Polizei arbeitet mit Hochdruck daran, die Hintergründe der schrecklichen Tat und die Motivlage des Täters schnellstmöglich aufzuklären." Dabei müsse auch geprüft werden, inwieweit psychische Probleme vorlägen.

Bei mehreren Terroranschlägen der vergangenen Jahre hatten die Ermittler hinterher beim jeweiligen Täter sowohl eine extremistische Gesinnung als auch psychische Probleme festgestellt. Beispiele dafür sind der rassistische Attentäter von Hanau und ein Iraker, der im August 2020 auf der Berliner Stadtautobahn mit einem Auto regelrecht Jagd auf andere Verkehrsteilnehmer gemacht hatte.

Die Bahnstrecke Regenburg-Nürnberg war seit dem Vormittag gesperrt. Andere Züge auf der Strecke seien zunächst an geeigneten Bahnhöfen zurückgehalten worden, sagte ein Sprecher der Deutschen Bahn am Mittag. Dann wurde der Fernverkehr über Ingolstadt umgeleitet. Wann die Strecke wieder freigegeben werde, war vorerst offen.

© dpa-infocom, dpa:211106-99-889999/9

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