Ballettwoche Facetten des Thüringer Tanztheaters

Nichts ist künstlerisch vielfältiger als das Instrumentarium des Tanztheaters. Die drei großen Thüringer Ensembles weckten beim Publikum der Eisenacher Ballettgala am Freitagabend die Neugier auf ihre Kunst.

 
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Szene aus der Choreografie „Corpus – Ritus und Rhythmus“ der Geraer Foto: /Ronny Ristok

Das Tanztheater“, sagt Nordhausens Ballettdirektor Ivan Alboresi, „hat nicht geschlafen“. Einen Monat höchstens hätte seit Ausbruch der Pandemie im Ballettsaal der Stadt am Südharz gähnende Leere geherrscht – trotz seit Frühjahr 2020 immer wieder längerer Corona-Pausen. Auch Andris Plucis, Ballettchef in Eisenach, spricht von einer intensiven Arbeitszeit, die hinter seiner Company liegt: „Wir haben neun Premieren vorbereitet.“ Welch künstlerische Opulenz, die da auf das Publikum wartet! Die nach dem Figurentheater kleinste Thüringer Theatersparte steht sozusagen unter Aufführungsdruck. Die jungen Tänzerinnen und Tänzer sind elektrisiert, das Einstudierte auch endlich zeigen zu können.

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Doch das ist oft nicht einfach. Zum einen machen Corona-Regeln, die auch Besucherzahlen begrenzen, allen Theatern zu schaffen. Zum anderen muss das Publikum nach langer Entwöhnung erst einmal wieder ins Theater kommen. Eine recht coole Idee hatte Andris Plucis mit der am Samstag zu Ende gegangen Eisenacher Ballettwoche: Zum Höhepunkt, der Thüringer Ballettgala, tanzten all drei Thüringer Ensembles. Ausschnitte aus 13 Choreografien demonstrierten dem Publikum dabei die fulminante künstlerische Vielfalt des Tanztheaters – von der vor männlicher Kraft strotzenden Nordhäuser „Poeten“-Choreografie über das gerade im Meiningen uraufgeführte „Identitas“, in der sich die Tänzerinnen und Tänzer gleich menschlicher Seelen einander suchen, begegnen und verlieren – bis hin zu den wunderbar poetischen Choreografien „Ein Hauch von...?“ und „Spiegel im Spiegel“ der Geraer Ballettdirektorin Silvana Schröder.

Für diesen Abend, sagt Andris Plucis, hätte er doppelt so viele Karten verkaufen können. Und überhaupt habe ihn die Resonanz auf die Ballettwoche mit immerhin sechs Tanztheaterabenden am Stück überrascht. „Ich hatte meine Erwartungen heruntergeschraubt, aber es gab sehr viele positive Reaktionen, vor allem vom jüngeren Publikum, und das, obwohl wir alle Karten im freien Verkauf angeboten haben.“ Für Plucis ein Hinweis, dass mit Tanztheater vor allem junge Leute erreicht werden können.

Die Frage, mit welchem Angebot Menschen nach rund zwei Jahren verordneter Zurückhaltung wieder ins Theater gelockt werden können, beschäftigt auch Ivan Alboresi. „Leichte Kost, klassischer Tanz, moderne Ästhetik – ich glaube, es gibt nicht die eine Lösung, sondern es muss eine Mischung aus allem sein.“ Das Format der Thüringer Ballettgala, bei der jedes der drei Ensembles Highlights seiner Arbeiten zeigt, scheint geeignet, um das Theater als solches und das Tanztheater als künstlerisches Instrumentarium nach Corona wieder interessant zu machen. Denn die Gala bietet ohne die Mühe, in Thüringen umherfahren zu müssen, Mehrwert: Eine überraschende Vielfalt in einem Land, das eben keine der großen, populären Ballett-Ensembles sein eigen nennt.

Die Ungeduld der Tänzerinnen und Tänzer auf die Bühne erklärt sich vor dem Hintergrund nur begrenzter Zeit, die ihnen zur Verfügung steht. Etwa 15 bis 20 Jahre bleiben ihnen effektiv für den Tanz – das unterscheidet sie von Schauspielern oder Sängern. Ein Großteil der jungen Leute, die aus aller Welt nach Thüringen kommen (eine hierzulande ausgeschriebene Stelle zeitigt laut Ivan Alboresi bis zu 1200 Bewerbungen) wechseln die Ensembles daher auch oft schon nach zwei bis drei Jahren wieder: Zu kostbar ist die Zeit, in der sie tänzerisch in Höchstform sind. Von daher braucht das Tanztheater eine hohe Schlagzahl, und auch wenn die viele Proben der letzten Monate die Tänzerinnen und Tänzer künstlerisch weiter gebracht haben – am Ende ist die Vorstellung vor Publikum natürlich der Moment, dem sie alle entgegen fiebern.

Für Andris Plucis sind die drei Ensembles einander in sportlichen Ehrgeiz verbunden – es gebe kein Konkurrenzdenken. Dafür seien sie mit nur 50 Tänzerinnen und Tänzern landesweit ohnehin zu klein. Im Gegenteil: An der Idee gemeinsamer Gala-Auftritte, die alle Facetten des Thüringer Tanztheaters zeigen, soll festgehalten werden: Der Internationale Tag des Tanzes am 29. April wäre eine gute Gelegenheit für ein Programm, das dann in allen drei Städten gezeigt werden könnte. Und überdies verbindet gerade das Wissen um die bescheidene Größe einer Sparte, die in der Thüringer Theaterwelt eine nicht unerhebliche Rolle spielt: „Die Thüringer Ballettlandschaft ist es wert, gepflegt zu werden“, sagt Andris Plucis.