Corona ist Mist. Nicht nur, weil es eine gefährliche Krankheit sein kann. Da kann ich nicht mitreden, zumindest wissentlich hatte ich es noch nicht. Aber wer weiß das schon so genau ...
Das Auto stehen lassen und dank Neun-Euro-Ticket mit Fahrrad und Bahn auf Arbeit. Danny Scheler-Stöhr macht genau das derzeit – und erlebt dabei so einiges. Eine (fast) wahre Geschichte.
Corona ist Mist. Nicht nur, weil es eine gefährliche Krankheit sein kann. Da kann ich nicht mitreden, zumindest wissentlich hatte ich es noch nicht. Aber wer weiß das schon so genau ...
Nach der Werbung weiterlesen
Was ich aber definitiv seit Corona habe, sind zu enge Klamotten. Also entweder sorgt die Viruslast in der Luft dafür, dass Stoffe schrumpfen oder ich bin einfach fett geworden. Ich befürchte leider, es ist Letzteres. Ein bisschen Abhilfe hatte ich mir durch das Neun-Euro-Ticket versprochen. Seit Anfang Juni fahre ich jetzt schon nahezu täglich mit dem Fahrrad zum Bahnhof. Doch meine Wampe fährt noch immer mit. Schwarz natürlich. Schweinerei! Doch ich bin sicher, bald werde ich sie los. Denn die Bahn hat ihr Fitnessprogramm für Kunden im Fernverkehr nun endlich auch auf den Regionalverkehr ausgeweitet.
Wer ICE fährt, kennt und liebt es schon lange: Während der Zug gerade einfährt, ertönt eine Ansage. „Heute verkehrt der Zug in umgekehrter Wagenreihung.“ Die Reisenden verwandeln sich dann in Athleten. In einer Mischung aus Sprint und Hürdenlauf über die Koffer geht es vom einen Ende des Bahnsteigs zum anderen. Da purzeln die Pfunde.
Weil es im Regionalverkehr keine Wagenreihung gibt, musste sich die Bahn aber etwas anderes einfallen lassen. Die Lösung ist ebenso clever wie einfach:
Morgens, 8.48 Uhr an meinem Startbahnhof. In einer Minute kommt planmäßig der Zug. Doch er kommt nicht. Keine Information an der Anzeigetafel, keine Ansage. Nervosität. Leichter Schweißausbruch. Die erste Stufe des Fitnessprogramms: Denn wer schwitzt, wird leichter. Logisch. Fünf Minuten lang dünste ich vor mich hin. Ich fühle mich erleichtert. Nicht, weil ich jetzt so viel Gewicht weggeschwitzt habe. Nein, der Zug ist am Horizont zu erkennen. Doch halt! Der fährt doch auf einem anderen Gleis ... Näher und näher kommt die Bahn. Dann, während der Zug am gegenüberliegenden Bahnsteig einfährt: Gong! Die sonore, männliche Stimme der automatischen Ansage ertönt. Ganz ruhig und freundlich verkündet sie: „Information zu RB 46 nach Ilmenau: Heute von Gleis 1.“
Hektik bricht aus. Alle rennen wie die Irren los, ohne Rücksicht auf Verluste. Neben mir stürzt ein junger Mann. Seine Freundin blickt ihn panisch an, hält seine Hand. „Lass mich zurück! Es ist zu spät für mich. Ich bin dir nur ein Klotz am Bein“, ruft er theatralisch. Sie weint. In Zeitlupe gleiten ihre Finger auseinander, sie rennt los. Irgendwo im Hintergrund steht Celine Dion und schmettert „My heart will go on“.
Auch ich eile los, schnappe mir mein gut 25 Kilo schweres E-Bike. Ich schleppe es erst die Treppen der Unterführung hinunter und wuchte es auf der anderen Seite wieder nach oben. Während wir rennen, bin ich mir sicher, ertönt noch einmal der Ansager. Die Ruhe und Freundlichkeit in der Stimme sind verschwunden. Mit einem diabolischen Lachen schreit er: „Und jetzt rennt, ihr Fettsäcke! Rennt!“ Klatschnass erreiche ich den Zug und steige ein. Das kostenlose Fitnessprogramm der Bahn, einfach und effektiv – es funktioniert.
Lesen Sie auch die weiteren Teile des Bahn-Tagebuchs: