Bahn-Tagebuch „Papa, nie mehr mit dem Kotzzug!“

Die Baureihe 612, auch bekannt als Regioswinger – oder eben als Kotzzug. Foto: imago/Rüdiger Wölk

Das Auto stehen lassen und mit dem Deutschlandticket Zug fahren. Für manchen ist das eine Alternative. Auch unser Autor Danny Scheler-Stöhr ist wieder Bahn gefahren, diesmal mit den Kindern. Eine blöde Idee.

 
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Entspannt verreisen mit Kindern ist ja immer eine Herausforderung. Insbesondere längere Autofahrten sind mitunter lästig: Entweder, weil man während der Fahrt zum zwölften Mal das Best-of der Giraffenaffen vorgedudelt bekommt – nicht nur aus den Lautsprechern, sondern auch von der Rückbank. Oder, weil alle fünf Minuten die drängendste aller Fragen gestellt wird: Wann sind wir da? Dazu noch die ganzen anderen Idioten, auf die man auf der Straße achten muss. Mir reicht’s, dachte ich, diesmal fahren wir zu Oma mit der Bahn.

Was nach dem Entschluss folgt, ist ein recht wilder Ritt, an dessen Ende dieser rote Zug, mit dem wir gerade gefahren sind, von den Kindern kurzerhand und leider sehr treffend „Kotzzug“ getauft wird. Aber der Reihe nach: Der Zug fährt ein und wir erklimmen zunächst einmal – ähnlich einem Bergsteiger – die steilen Treppen zum Innenraum. An der Nebentür versucht derweil ein junges Paar, den Kinderwagen samt Kind ins Gefährt zu hieven. Barrierefreiheit? Hören Sie bloß auf mit diesem neumodischen Kram!

Eisberg dringend gesucht

Los geht es also in der Sardinenbüchse auf Rädern. Vom Hersteller wird sie übrigens als Regioswinger bezeichnet, wie ich später ergoogelt habe. Und das nicht, weil der Zug – was eigentlich gut zur roten Konzernfarbe der Bahn passen würde – ein fahrendes Rotlichtetablissement für Partnertausch ist, sondern vermutlich eher, weil das Gefährt während der Fahrt swingt. In jeder Kurve. Wie auf einem Schiff. Ich möchte sogar behaupten, er schwankt dermaßen beim Fahren, das seekranke Menschen sich wünschen, der Zug möge bitte einen Eisberg rammen und wie die Titanic untergehen, um das Elend hinter sich zu haben. Oder um es mal bildlich zu beschreiben: Fährt er in eine Rechtskurve, sieht man – je nach Sitzplatz – den Himmel nicht mehr, so sehr neigt sich die Blechbüchse gen Boden. In einer Linkskurve hingegen erblickt man dann nur noch das Blau des Himmels. Vom Erdboden keine Spur.

Das alles bekommt den Kindern nicht sonderlich gut. Schon nach zehn Minuten Fahrt ist eine der beiden schon recht blass um die Nasenspitze. „Mir ist schlecht“, mault sie. Ob sie die restlichen 40 Minuten noch übersteht?

WC unbenutzbar

Nun, die Hoffnung stirbt ja bekanntermaßen zuletzt – aber auch sie stirbt eben irgendwann. In unserem Fall ungefähr 15 Minuten später. Das Kind ist mittlerweile blau-grün im Gesicht. Also sicherheitshalber fix zur Zugtoilette, denke ich. Und der Zug schmettert mir lachend ein „Denkste!“ entgegen. „WC unbenutzbar. Bitte benutzen Sie die anderen WC“ steht an der Tür geschrieben. Blöd nur, wenn es ein anderes WC nicht gibt.

Und nun? Vor uns liegen noch 25 Minuten Fahrt. Die Toilette ist defekt, ein Zugbegleiter, der womöglich irgendwo eine Mülltüte für den Notfall hervorzaubern könnte, ist nicht zu sehen. Viele Möglichkeiten bleiben da nicht. Ich könnte das Kind einmal gepflegt ins Abteil reihern lassen. Dann hätten alle was davon. Gedanklich beerdige ich aber bereits meinen Rucksack, ich bin ja kein Unmensch.

Immerhin: Die Uhr tickt fleißig für uns. 20 Minuten. Auch das zweite Kind jammert jetzt, ihr sei schlecht. Ob in echt oder aus Mitleid? Ist mir in diesem Moment völlig egal. 15 Minuten. Wir beginnen zur Ablenkung im Zug auf und ab zu laufen. Das hilft offenbar. Zehn Minuten, fünf Minuten. Dann wird unser Halt angesagt.

Der Zug stoppt. Quasi noch während sich die Türen öffnen, hechten wir hinaus. Das große Kind rennt zur nächstbesten Wiese und zeigt recht deutlich, wie sie diese Zugfahrt bewertet: Sie fand es zum Kotzen.

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