Ausstellung Karl Staudinger: Retrospektive – ein Blick zurück

Iris Fleischhauer

Anlässlich des 150. Geburtstages von Karl Staudinger zeigt die Galerie „Notwehr“ in Sonneberg ab 20. Juli Werke des Künstlers und Lehrers.

 
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Selbstporträt von Karl Staudinger mit Weinglas, 1951, Öl auf Leinwand. Foto: Iris Fleischhauer

Wer ist dieser Mann? Er sieht glücklich und zufrieden aus, wie er da am Tisch sitzt und vor sich hin lächelt. Den linken Arm hat er locker auf die Stuhllehne gelegt, in der rechten Hand, die auf dem Tisch liegt, hält er ein Glas Rotwein. Er schaut in Richtung des Glases, sieht aber über dieses hinweg und scheint seinen Gedanken nachzuhängen. Unter einem hellen Kittel trägt er ein weißes Hemd mit einer Fliege. Vielleicht sitzt er in seiner Wohnung oben am Schönberg. Es muss ein schöner Tag sein im Leben des Professor Karl Staudinger. Er ist 77 Jahre alt, als dieses Ölbild entsteht und er kann auf ein erfolgreiches Leben als Künstler und Lehrer zurückblicken. Doch gab es auch schwere Zeiten ...

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Kindheit und Jugendjahre

Karl Staudinger wird 1874 in der Steiermark, in Österreich-Ungarn geboren. Er erhält eine Ausbildung im Bereich der Papiertechnik und Lithografie. Im Alter von 26 Jahren geht er nach München und besucht eine private Malschule, in der schon so bedeutende Künstler wie Paul Klee und Emil Orlik gelernt haben. Fünf Jahre später wechselt er an die Münchener Kunstakademie. In seiner Studienzeit zeichnet er für die Satirezeitschrift „Der Scherer“, die in Innsbruck, Linz und Wien erscheint, um seinen Lebensunterhalt finanzieren zu können. Des Weiteren stellt er in der Münchner Sezession aus und wird als aufstrebender „kraftvoller Realist“ beachtet.

Bis 1912 lebt Karl Staudinger mit seiner Frau Else in Dachau, wo die beiden Töchter Annemarie und Liese geboren werden. In dieser Zeit wird der kunstinteressierte Herzog von Sachsen-Meiningen, Georg II, auf den begabten Künstler aufmerksam und kann ihn davon überzeugen, den Direktorenposten der 1883 in Sonneberg gegründeten Industrieschule zu übernehmen.

Direktor und Lehrer an Industrieschule

Karl Staudinger lässt sich von der Idee leiten, dass eine Industrieschule, so wie er sie in Sonneberg vorfindet, der Produktion und Vermarktung der Spielzeuge dienlich sein muss. Ausgehend von der Nachfrage, besonders des ausländischen Marktes, sollen sich die Produkte an dem Geschmack der Käufer orientieren, jedoch weniger einer sich ständig ändernden Mode unterliegen.

Die Industrieschule soll nach der Meinung von Karl Staudinger selbständige Facharbeiter hervorbringen, die geübt sind im Sehen und Beobachten und die in der Lage sind, zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem zu unterscheiden. Es ist Karl Staudinger wichtig, dass es die Ausbildung an der Industrieschule schafft, Freude an der Arbeit und Lust am kreativen Gestalten zu entwickeln. Theoretisches Wissen soll nur in dem Umfang vermittelt werden, wie es für die künstlerische Arbeit notwendig ist. Im Mittelpunkt der Ausbildung in der Industrieschule soll der vielseitig gebildete Mensch stehen. „Herz, Hand und Hirn“ sollen gleichermaßen geschult werden. Mit diesen reformpädagogischen Ideen hat er sich von den damals noch weit verbreiteten Ideen der „Paukerschulen“ entfernt, denen es vermehrt um reine Wissensvermittlung ging.

Ab 1912 übernimmt Karl Staudinger neben der Leitung der Schule auch den Unterricht im Malen, Zeichnen, in Spielzeuggestaltung und in Anatomie.

Kriegsjahre

Die Jahre des ersten Weltkriegs, die er an der Front verbringt, prägen ihn stark. In einem Büchlein, das in den Folgejahren von Professor Paul Oestreich herausgegeben wird, beschreibt Karl Staudinger seine Beobachtungen. Es entsetzt ihn, als er die Kinder in den Flüchtlingstrecks sieht. Kinder, die traumatisiert und ohne eine Bezugsperson inmitten der Zerstörung vegetieren; die ein wertloses Spielzeug mit sich tragen als einzige Erinnerung an die Heimat. Er beobachtet, wie die kleinen Kinder mit nichts als Holzklötzen spielen, diese aufeinander stapeln und wieder umstoßen. Er beobachtet ihr Spiel und er versucht, sich in sie hineinzuversetzen.

Spielzeug im neuen Design

Zurückgekehrt nach Sonneberg geht er verstärkt der Frage nach, was Kinder wirklich brauchen, wie ein Spielzeug sinnvoll gestaltet sein soll. Er fertigt viele eigene Entwürfe für die Spielzeugindustrie an. Spielzeug muss schön sein, aber nicht unbedingt natürlich. So viel Realität wie nötig und Abstraktion wie möglich. Nur so bleibt das Kind frei und seine Fantasie kann sich entfalten. Karl Staudingers Design wird abstrakter, seine farbliche Gestaltung expressiver.

Außerdem entwirft er ab 1918 das Notgeld für Sonneberg. Im Deutschen Spielzeugmuseum sind noch heute einige der Scheine zu bestaunen, auf denen Spielzeug- und Puppenmotive, aber auch das alte Sonneberger Rathaus zu sehen sind.

1929 wird er vom Thüringischen Wirtschaftsministerium zum Professor ernannt. In dem Jahr verlässt er die Schule, die zwischenzeitlich in Kunstgewerbliche Fachschule für Spielzeug und Keramik umbenannt wurde, um für drei Jahre die Leitung der Escuela y Oficios (Schule für Kunstgewerbe) in San José de Cucuta in Kolumbien zu übernehmen.

Von 1932 bis 1937 übernimmt er abermals die Direktion der Sonneberger Kunstgewerbeschule.

Weggang von der Kunstgewerbeschule

Dann erfolgt der Bruch. Die Schule soll in ein anderes Gebäude verlegt werden und das Spielzeugmuseum darf das für die Kunstgewerbeschule vorgesehene moderne Gebäude am heutigen Standort nutzen. Karl Staudinger ist entsetzt und empört. Hinzu kommen die sich zuspitzenden politischen Verhältnisse, der Druck durch die NSDAP auf den Schulbetrieb. Er legt sein Amt als Direktor der Kunstgewerbeschule nieder und arbeitet fortan als freischaffender Künstler. Er ist jetzt 64 Jahre alt.

Schon bevor er nach Sonneberg gekommen ist, hatte er sich einen Namen als Maler, Grafiker und Karikaturist gemacht. Noch heute ist sein Name in den Ausstellungskatalogen der Dachauer Künstlervereinigung zu finden, die sich anfänglich, wie die Künstlergruppe in Worpswede, den Ideen des Impressionismus verschrieben hatte.

Von dem begnadeten Künstler Karl Staudinger sind zahlreiche Aquarelle und Radierungen erhalten, Holzschnitte und Gebrauchsgraphiken. Bei vielen Sonnebergern hängen heute noch Arbeiten, die Ansichten von Sonneberg und der umliegenden Ortschaften zeigen aber auch solche, die das schwierige Leben in der Nachkriegszeit widerspiegeln.

Seinen Humor und seinen Witz kann man beim Betrachten seiner Buchillustrationen erahnen.

In Schriftstücken seiner Zeitgenossen ist zu lesen, dass sie Karl Staudinger für einen leisen und humorvollen Menschen gehalten haben. Mit seiner Beobachtungsgabe und seiner Menschenkenntnis konnte er die Mitmenschen treffend karikieren.

Karl Staudinger war im Kulturbund der DDR aber auch in seiner Heimat eine bekannte Persönlichkeit. In den Jahren 1984 und 2008 wurden in Sonneberg Werke des Künstlers ausgestellt, teilweise zusammen mit Werken des Malers Franz Kürschner, der in jungen Jahren Schüler von Karl Staudinger war.

Ausstellung in der Galerie „Notwehr“

In diesem Jahr jährt sich der Geburtstag von Karl Staudinger zum 150. Mal. Dieses Jubiläum haben die Enkel, allen voran Frau Dr. med. Dorothea Ledwon, zum Anlass genommen, um ihren Großvater in einer Retrospektive zu ehren. Darüber hinaus ist Professor Karl Staudinger aber auch eine bedeutende Persönlichkeit der Stadt Sonneberg: Als Lehrer, Künstler und Leiter der Industrieschule prägt er die Stadt Sonneberg bis heute.

Die Ausstellung ist in der Galerie „Notwehr“, Rathenaustraße 16, vom 20.07. - 08.09.2024, samstags und sonntags von 14:00 - 17:00 Uhr zu sehen. Vernissage zur Ausstellung ist am 19.07.2024 um 19:00 Uhr.