Aus dem Gerichtssaal Hitlergruß-Serie mit Haftstrafe geahndet

Der nationalsozialistische Führer Adolf Hitler (l.) wird bei seiner Ankunft auf dem vierten Parteitag der NSDAP 1929 in Nürnberg mit dem Hitlergruß empfangen. Während der Gruß von seinen Anhängern meist mit gestrecktem Arm ausgeführt wurde, war er von Hitler meistens mit angewinkeltem Arm zu sehen. Foto: picture alliance / dpa

Das Maß an Hitlergrüßen und Heil-Rufen war diesmal voll für Ilmenaus Amtsgericht. Ein mehrfach Vorbestrafter kassierte nun statt Geld- eine Haftstrafe. Diesmal noch ausgesetzt zur Bewährung.

 
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Ilmenau - Wird er binnen zwei Jahren Bewährungszeit erneut straffällig – mit was auch immer –, droht einem 53-Jährigen dann auch der Widerruf der jetzt verhängten Bewährung und der Antritt dieser Haftstrafe. Zu elf Monaten verurteilte das Amtsgericht den Mann wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen, Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen, Beleidigung und Bedrohung; ausgesetzt zur Bewährung. Geständig war der Angeklagte nicht, die Vorfälle trugen sich offenbar alle unter Alkoholeinwirkung zu.

Wie aus den Schilderungen des Angeklagten selbst und von Zeugen offenbar wurde, könnte der Mann alkoholkrank sein. 1,94 Promille Atemalkohol waren noch lange nach einem der angeklagten Delikte von der Polizei gemessen worden, Richter Jörg Türpitz ging zurückgerechnet von weit über zwei Promille Blutalkohol zur Tatzeit aus, „sturzbetrunken“ sei der da wohl gewesen. „Ich hatte ja auch Wein getrunken“, erwiderte der Angeklagte. „Wohl mehrere Flaschen?“, fragte der Richter spitz.

„Ich schwöre es!“

Er sei das nicht gewesen, sagte er zur verlesenen Anklageschrift, das müssten andere gewesen sein. Weder habe er eine Nachbarin bedroht, noch einen Nachbarn beleidigt oder gar „den Gruß von früher gezeigt. Ich habe Fernsehen geguckt bei einem Glas Wein. Ich bin es nicht gewesen. Ich schwöre es. Ohne Quatsch“, so der Angeklagte. Er sei aber schon früher aufgefallen mit dem Hitlergruß und Sieg-Heil-Rufen, stellte der Richter beim Durchblättern der Akte fest. „Da bin ich für bestraft worden. Das war auch das einzige Mal“, so der 53-Jährige. „Auch das stimmt nicht ganz“, stellte der Richter fest, dass er bereits zweimal allein wegen solcher Vorfälle eine Strafe kassierte habe. Und sämtliche geladenen Zeugen bestätigten die diesmaligen staatsanwaltschaftlichen Vorwürfe.

So hörte ein 30-jähriger Nachbar, als er mit dem Fahrrad heimkam, am 15. September 2020 schon von weitem den Angeklagten mehrfach aus dem Fenster rufen: „Sieg Heil“ und „Heil Hitler“. Danach habe er auf dem Balkon auch mehrfach den Hitlergruß gezeigt zu weiteren Rufen. Er sei sichtlich alkoholisiert gewesen und habe ihn als „Du fettes Schwein“ sowie mit „Kinderschänder“ und „Kinderficker“ beleidigt, sagte der Zeuge, der damals auch die Polizei rief. „Lüge!“, warf der Angeklagte halblaut in den Gerichtssaal, was den Vorsitzenden warnen ließ, nachdem er schon eine Ermahnung wegen Zwischenrufen kassiert hatte, geschehe dies noch einmal, drohe ihm eine Ordnungsstrafe.

„Sind nicht in der Kneipe!“

Er sei häufiger betrunken, bestätigte der Zeuge auf Nachfrage der Staatsanwältin, es gebe aber auch manchmal Tage, an denen man sich ganz klar mit ihm unterhalten könne. Beim Abgang des Zeugen aus dem Saal schwenkte der Angeklagte sich die flache Hand ausgestreckt vor seinen Augen hin und her. Richter Türpitz geriet außer Fassung und verwarnte den Angeklagten ausdrücklich. Dieser „Scheibenwischer“ sei ein weiterer Verstoß: „Wir sind hier nicht in der Kneipe. Das können Sie mit Ihren Saufkumpanen machen!“ Er habe sich lediglich ins Gesicht gegriffen, versuchte der Angeklagte die Flucht nach vorn.

Der damals herbeigerufene Polizist sagte im Zeugenstand, der Angeklagte sei nach den Vorfällen in keinster Weise kooperativ gewesen. Deswegen sei Verstärkung angefordert und er in Unterbindungsgewahrsam genommen worden. Ja, so der Polizist, der Angeklagte sei alkoholisiert gewesen, „er hat aber gewusst, was er sagte und tat. Als Alkoholkranker braucht er ja ein gewisses Maß...“. Auch der Polizist selbst war als „Kinderschänder“ vom Angeklagten beleidigt worden. Er sei das alles nicht gewesen, wiederholte der Angeklagte und bestritt alles. Es seien damals ja viele Erwachsene draußen gewesen und viele Kinder und die hätten alle irgendetwas geschrien, teilte er dem Gericht seine diffuse Wahrnehmung mit, bei der er offenbar auf Grund Alkoholmissbrauchs die Übersicht über eigene Äußerungen und den Auflauf an Menschen verloren hatte.

Anzeige wegen Beleidigung hatte auch eine 65-jährige Nachbarin des Mannes erstattet. Diese hatte der Angeklagte am 17. August 2020 vom Einkauf kommend verfolgt und bedroht. Das bestätigte die Frau auch vor Gericht noch einmal. Im Zeugenstand sagte sie, der Mann sei ihr damals nachgelaufen, habe gerufen, er wolle sie „platt machen“ und „irgendwann übergieß ich Dich mit Benzin und fackel Dich ab“. Auch diese Frau bestätigte, der Angeklagte habe dies im betrunkenen Zustand geäußert.

Fast jährlich ein Delikt

Fünf Eintragungen hatte der 53-Jährige bisher im Bundeszentralregister angesammelt, ab 2015 fast jährlich ein Delikt; beginnend mit Diebstahl, danach vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr, Nötigung mit Körperverletzung, Beleidigung und Zeigen verfassungswidriger Kennzeichen sowie Sachbeschädigung und erneut die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidrigen Organisationen.

Die Frage, ob er unter Betreuung stehe, verneinte er. Er pflege aber seine 82-jährige Mutter, sagte der Angeklagte. Eine Alkoholtherapie habe er bereits absolviert. Die habe nur drei Monate gehalten, so der gelernte Koch, der einen 8-Klassen-Abschluss angab, aber die 9. und 10. Klasse in der Abendschule mit „sehr gut“ nachgemacht habe. Einer Arbeit gehe er nicht nach, er beziehe Hartz IV, sagte er. Er trinke aber nicht jeden Tag, manchmal auch drei oder vier Tage gar nicht.

„Na vielleicht so 0,8.“

„Wenn ich jetzt den Alkomat hole, was zeigt der wohl?“, fragte ihn der Richter nicht ohne Grund. Der Angeklagte druckste rum: „Jetzt so? – Grade?“, „Ja“ erwiderte der Richter. „Na vielleicht 0,8“, so der Angeklagte. Der Richter zweifelte: „Das reicht wohl nicht! Ich riech’s doch bis hierher. Trinken Sie täglich?“, „Nein“, versicherte der Angeklagte schnell, heute habe er nur zur Beruhigung ein Bierchen getrunken.

Die Staatsanwältin sah alle Vorwürfe als bestätigt an, was ihr den Zwischenruf des Angeklagten einbrachte, das stimme alles nicht, „ich bin das nicht gewesen“, jedoch die Klägerin nicht die Butter vom Brot nehmen ließ mit sofortigem Konter, „doch“, denn das hätten sämtliche Zeugen genau so bestätigt. Sie forderte, da sich Geldstrafen bei ihm nicht bewährt hätten, elf Monate Haft, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung, sowie 300 Stunden ehrenamtliche Arbeit und eine Alkohol-Therapie.

200 Stunden ehrenamtliche Arbeit

In seinem letzten Wort wirkte der Angeklagte völlig verwirrt und erklärte nach zweifacher Aufforderung dazu dann, er wolle gegen den ersten Zeugen „Anzeige wegen schwerer Körperverletzung“ erstatten, denn er sei hingefallen. Das könne er gerne nach dem Urteilsspruch bei der Polizei erledigen, bot der Richter ihm an, der den Mann schuldig verurteilte in allen angeklagten Fällen. Neben der angedrohten Haftstrafe muss er zwingend 200 Stunden ehrenamtliche Arbeit ableisten und sich einmal monatlich bei der ambulanten Suchtbehandlung vorstellen. Das Gericht habe die Alkoholisierung zu den Tatzeiten als mildernd berücksichtigt, so der Vorsitzende. Allerdings sei er unbelehrbar und inzwischen nun dreimal allein wegen des Verwendens nationalsozialistischer Symbolik verurteilt. Mache er weiter so, gebe es auch keine Strafaussetzung zur Bewährung mehr, so der Richter. gbe

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