Schmalkalden - Zahnputztablette, eine Bambuszahnbürste, Seife, einen kleinen Waschlappen, ein Handtuch, zwei Laufhosen, zwei Shirts, eine Jacke, eine Regenjacke, Wanderschuhe und Schlappen kommen in den Rucksack. „Das schwerste ist das Wasser“, sagt Marina Leinhas und zeigt ihr Trinksystem, das drei Liter fasst und bequem auffüllbar ist. Essen für sieben Tage nimmt sie mit. Alles vegan. Hund Lene, eine französische Bulldogge, trägt sein Fresschen selbst. Am Samstagnachmittag war Rucksackanprobe. Lene hält still. Sie kennt das von vier voraus gegangenen Wanderungen. Marina Leinhas schlüpft für die nächsten zwei Woche wieder in ihre Rolle als „Frau mit Rucksack“. Um den Keltenerlebnispfad abzulaufen. Der Trip hat schon begonnen. Am gestrigen Sonntag stieg sie in Schmalkalden in den Zug nach Meiningen. Von dort aus ging es los. Geplant hat die Schmalkalderin zehn bis 14 Tage, inklusive einer vierundzwanzig stündigen Pause. „Die muss sein, denn es ist anstrengend“, sagt sie und erzählt vom vorigen Jahr als sie den 223 Kilometer langen Heidschnuckenweg von Hamburg nach Celle in zehn Tagen erwanderte. „Da bin ich ohne Pause durchgelaufen“, sagt sie. Gerade die letzten Kilometer seien herausfordernd gewesen. „Es gab so viele lange Waldschneisen und kein Ende war in Sicht“, erinnert sie sich noch gut. Irgendwann habe sie sich im Dickicht wiedergefunden und große Angst vor Kreuzottern gehabt. Letztlich aber sei alles gut ausgegangen. Die Tour entlang des Keltenerlebnisweges ist mit 254 Kilometern ihre längste bisher. Pro Tag will sie 25 Kilometer hinter sich bringen. Mit Hund natürlich. Er ist ihr ein treuer Begleiter und ein guter Türöffner, falls sie unterwegs Fragen hat und in der Fremde klingeln muss. Unterwegs sein wird Marina Leinhas ganz ohne Zelt. Schlafsack und Isomatte reichen zum Übernachten in der Natur. Erfahrungen hat sie in den vier vorausgegangen Wanderungen genügend gesammelt. Alles begann mit dem Rennsteig – den erwanderte sie 2017 innerhalb von acht Tagen. Hier kamen ihr in Sachen Übernachtungen die Schutzhütten recht. „Ich schlaf nirgends so gut wie nachts allein im Wald“, berichtet sie und fügt hinzu: „Wandern ist mein Verständnis von Freiheit.“ Und ein schöner Ausgleich zum Job. Marina Leinhas ist Lehrerin. Übers Schuljahr pendelt sie vom regionalen Förderzentrum in Schmalkalden über die TGS in Trusetal und das PMG in Schmalkalden. Als sie sich 2017 von ihrem Mann trennte, war das der Zeitpunkt für Veränderung. Marina Leinhas wollte zu sich selbst finden, sich mit sich selbst auseinandersetzen. Das Wandern sei dafür perfekt. „Wir können uns ja kaum noch retten vor Einflüssen“, meint sie. Natürlich dauere es zwei bis drei Tage ehe sie auf den Touren vom Alltag abschalten könne. Wenn das geschafft sei, laufe sie meditativ und konzentriere sich nur noch auf sich selbst. „Mir reicht dann das Gehechel des Hundes als Geräuschkulisse“, sagt die 39-Jährige. Sonntags ist sie ohnehin immer wandernd unterwegs. Dazu kommt: Ein Langstreckenwanderweg pro Jahr. Seit 2017 ist das so. Die Sommerferien sind dafür ideal. Das Wetter interessiert sie nicht weiter. „Ich laufe so oder so.“ Rennsteig, Hochrhöner und Heidschnuckenweg liegen schon hinter ihr. Seit dem vorigen Jahr verbindet sie ihre große Wanderung mit einem guten Zweck. Beim Podcasthören im Lockdown 2020 wurde sie auf den im vorigen Jahr leider verstorbenen Survivalkünstler Rüdiger Nehberg und den von ihm gegründeten Verein Target e.V. aufmerksam. Der Verein setzt sich unter anderem gegen die weibliche Genitalverstümmelung ein. Marina Leinhas wurde hellhörig. „Jedes Mädchen sollte unversehrt aufwachsen können“, sagt sie und nahm Kontakt zu Target auf. Im vorigen Jahr gelang es ihr, im Laufe ihrer Wanderung 900 Euro für den Verein zusammen zu bekommen. Auch während ihrer jetzigen Wanderung darf wieder gespendet werden. Marina Leinhas berichtet täglich über ihren Instagram-Kanal „frauleinhas_wandert“ über die Tour. Mit angehangen ist ein QR-Code, über den man direkt auf ihre Aktionsseite von Target, zu dessen Gunsten sie läuft, kommt. Um spenden zu können, muss man den roten Button bedienen. „Dorthin gelangt man entweder über den QR-Code oder über den Link in meinem Instagram-Profil“, erläutert sie. Die Spenden kämen zu 100 Prozent dem Verein zu Gute. Ein bisschen Nehberg verbunden fühle sie sich dadurch auch. Und wie ist es mit der Angst, so allein im Freien? „Mir ist noch nie was Negatives begegnet“, sagt sie. Im Gegenteil – die Menschen, die sie unterwegs treffe, seien sehr offen und hilfsbereit. Bei ihren Touren baut die Pädagogin auf ihre Erfahrungswerte. „Es ist wichtig los zu gehen und zu machen“, weiß sie. Während ihrer ersten Wanderung hatte sie sich Blasen gelaufen. Seitdem weiß sie: Die Schuhe dürfen nicht zu klein sein. Und wie war es mit dem Verlaufen? Marina Leinhas schmunzelt: „An den Wanderschildern kann ich mich besser orientieren als im Auto.“ Zudem sei die Strecke in ihrem Kopf gespeichert und obendrein habe sie das Gefühl, beim Wandern ein Teil der Natur zu sein. Natürlich ist man am Ende jeder Tour kaputt. Aber: „Ich bin dann immer stolz, es geschafft zu haben und habe ganz viel Kraft für die Hürden des Alltags gesammelt“, betont sie. Natürlich sei das Leben in den zwei Wochen sehr reduziert, aber: „Ich bin ja nicht in der Wüste“. Den Kontakt zur Außenwelt hält sie via Instagram. Auch ihre drei Kinder kontaktiert sie zwischendurch. Ihr großes Ziel sind der Jakobsweg und das „Grüne Band“. Und worauf freut sie sich nach der Tour am meisten? „Auf die Dusche und mein Bett“, sagt sie. An die nach der Reise auf sie wartende Fülle muss sie sich dann auch stückweise wieder gewöhnen. „Schon komisch, mit wie wenig man auskommen kann – auch das lernt man während einer langen Wanderung.“