Auf drei Rädern Ein neues Gefühl der Freiheit

Gerhard Schmidt (links) konnte es kaum erwarten und drehte mit Betreuer Thomas Leis – den Hausleiterin Kathrin Schmidt kurzerhand zum E-Bike-Beauftragten ernannte – die erste Runde. Foto: Ulricke Bischoff

Ein Tandem-E-Bike eröffnet für Bewohner des Breitunger Diakoniewert-Hauses neue Möglichkeiten. Die Lieferung des Fahrrades wurde mit Freude begrüßt.

 
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Breitungen - Mitarbeiter hatten Kuchen gebacken, vor dem Eingang standen Tische und Bänke bereit, zwei Feuerkörbe erhellten das trübe Wetter: In der Breitunger Wohnanlage für geistig und schwerstmehrfach behinderte Menschen wurde die Lieferung des Tandem-E-Bikes am Mittwochnachmittag mit Spannung erwartet und mit einem kleinen Fest gefeiert. Als der Kleinbus des Bad Salzunger Fahrradladens Eyring ankam und René Kaufmann das Gefährt auslud, wollten die ersten gleich aufsitzen und am liebsten losfahren.

Kathrin Schmidt, die Leiterin des Hauses, freute sich über das Interesse, musste dennoch etwas bremsen: Einer der beiden Sitze des Tandems sei immer für einen Betreuer gedacht, rechts daneben sitzt der zweite Tandemfahrer. Beide können in die Pedale treten, der Betreuer muss es tun, um vorwärts zu kommen, der Beifahrer kann seine Füße auch auf eine ausziehbare Platte stellen. Beide haben einen Lenker und eine Klingel, gesteuert und gebremst wird das dreirädrige Bike links.

Sofort dabei

„Es ist etwas ganz Besonderes“, sagt Kathrin Schmidt. Sie freut sich, dass es mit der Lieferung noch vor Weihnachten geklappt hat. Die Idee, ein Elektrofahrrad für das Breitunger Haus anzuschaffen, kam bereits im Frühjahr auf. Da stieß Kathrin Schmidt auf eine Mitteilung der „Aktion Mensch“, wonach E-Mobilität gefördert werden könne. Es war ein Freitag, erinnert sich Kathrin Schmidt, am Wochenende stöberte sie im Internet auf der Suche nach einem passenden Modell und möglichen Lieferanten. „Ich war sofort dabei“, erzählt sie.

Im Frühsommer fuhr Kathrin Schmidt mir drei Heimbewohnern nach Erfurt, um Tandem-Bikes zu testen. Es sollte den Bedürfnissen möglichst vieler Bewohner entsprechen. Manche sind körperlich beeinträchtigt und können keine größeren Strecken bewältigen, manche nicht in der Lage, sich allein am Straßenverkehr zu beteiligen, manche beides. Da ist es günstig, im Tandem nebeneinander zu sitzen. „Somit besteht der enge und direkte Kontakt zwischen Bewohnern und Mitarbeitern und man kann permanent in Kommunikation bleiben“, erklärt Schmidt. Das Tandem „soll Menschen mit Behinderung helfen, ihre Umwelt weiter kennenzulernen und den Bewegungsradius zu vergrößern“. Es helfe dabei, Wahrnehmung mit allen Sinnen zu trainieren und ein neues Gefühl von Freiheit, Beweglichkeit und Selbstwirksamkeit zu erzeugen. „Zudem ist es nicht zuletzt sehr unterstützend bei der sozialen Teilhabe“, zählt die Leiterin des Hauses auf.

Aus Angst wird Gesang

Bei den ersten Testrunden offenbaren sich die beschriebenen Gefühle. Sie habe Angst, gab eine Bewohnerin zu, traute sich dennoch auf den roten Sitz und fuhr mit. Nach einer kleinen Runde an der Seite von Betreuer Thomas Leis kam die Frau singend zurück. Die Angst war weg, die Freude da. „Die meisten haben ja nie Radfahren gelernt“, erklärt Kathrin Schmidt. Mit dem Tandem eröffnen sich für sie neue Horizonte.

Auch die Betreuer werden sich mit dem neuen Gefährt anfreunden, ist sich Kathrin Schmidt sicher. Die meisten freuten sich darauf, bei Zögernden „werden die Hemmungen schon fallen“, meint sie – spätestens dann, wenn sie das stabile Gefährt mit seiner Anfahrhilfe und elektrischer Tret-Unterstützung erst einmal getestet haben.

Nach dem ersten Test in Erfurt hatten die Breitunger ein speziell für ihre Bedürfnisse ausgestattetes Modell zusammengestellt. Der Fahrradladen in Bad Salzungen bleibt nicht nur Lieferant. Mitarbeiter René Kaufmann übernahm die erste Einweisung vor Ort, Kati Beck, die wie Nadine Leimbach zur Übergabe mitgekommen war, brachte gleich noch einen Gutschein für die erste Service-Wartung mit.

Möglich wurde der Kauf des 11 000-Euro-Tandems durch die „Aktion Mensch“ , außerdem wird im Spendenbrief der Einrichtung um Unterstützung für das Bike gebeten.

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