Artensterben, Weltraummüll, Hitze Das sind die Risiko-Kipppunkte für die Erde

/Markus Brauer

Wenige Wochen vor der nächsten Klimakonferenz warnt ein UN-Bericht vor Kipppunkten, bei denen essenzielle Systeme wie die Grundwasserversorgung kollabieren könnten. In einigen Ländern sei das schon geschehen. Deutschland könne noch innehalten.

 
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Vernichtung des Lebensraums: Erst sterben die Eisbären und dann die Menschen. Foto: Imago/Peter Widmann

Von Artensterben über Wassermangel bis zu den Gefahren von Weltraumschrott: Schlüsselrisiken können zu unumkehrbaren Schäden führen, wenn die Menschheit nicht umsteuert. Das ist die Botschaft des Reports „Interconnected Disaster Risks“ der Universität der Vereinten Nationen in Bonn, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. Er zeigt sechs Risiken auf.

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Maßlose Ausbeutung der Ressourcen

Die Hauptautorin des Berichts, Zita Sebesvari, „Indem wir maßlos unsere Wasserressourcen ausbeuten, die Natur und die Artenvielfalt zerstören und sowohl die Erde als auch den Weltraum verschmutzen, bewegen wir uns gefährlich nahe an den Rand mehrerer Risiko-Kipppunkte.“ Ein solcher Punkt ist laut Report erreicht, wenn ein System nicht mehr in der Lage ist, Risiken abzufedern und gewisse Funktionen zu erfüllen.

„Unser Handeln gefährdet diese wichtigen Pufferkapazitäten, auf die wir dringend angewiesen sind“, ergänzt Sebesvari. Die Umweltkatastrophen der vergangenen Jahre wie Dürreperioden, Überschwemmungen und Wirbelstürme zeigten dies deutlich.

Eskalation des Artensterbens

Erdkröte vor einem Autoreifen. Foto: Imago//Chromorange

Wenn eine bestimmte Tier- oder Pflanzenart ausstirbt, hat dies Folgen für andere Arten. Ein Beispiel: die Gopher-Schildkröte. Sie gräbt Löcher, die von mehr als 350 anderen Arten als Verstecke, Brutplätze oder Ausweichort bei extremen Temperaturen genutzt werden. Die Folge: Stirbt die Schildkröte aus, gefährdet dies auch andere Arten. Der Bericht warnt zudem: Wenn ein Ökosystem mehrere besonders stark vernetzte Arten verliert, kollabiert es schließlich.

Erschöpfung des Grundwassers

Wassermangel,gehört schon heute in vielen Ländern zum Alltag. Foto: Imago/Christian Ohde

Aus mehr als der Hälfte der großen Grundwasserspeicher der Welt wird mehr Wasser entnommen als sich auf natürliche Weise wieder auffüllen kann. Dadurch können Wasserquellen dem Bericht zufolge verlorengehen.

In Saudi-Arabien wurde dieser Kipppunkt der Grundwasserschöpfung laut Bericht schon erreicht. „Auch in Deutschland greift die Landwirtschaft immer öfter auf Grundwasser-Vorräte zurück. Wir sollten uns jetzt frühzeitig überlegen, wie weit wir mit der Nutzung gehen wollen“, appelliert Sebesvari.

Schmelzen der Gletscher

Der einst massive Eiskörper des Tiroler Jamtalgletschers. Foto: EXPA/APA/J/Johann Groder/dpa

Gletscher ziehen sich zurück, wenn ihr Eis schneller schmilzt als neues durch Schnee geformt wird. Aufgrund der Klimaerwärmung schmelzen dem Bericht zufolge Gletscher weltweit doppelt so schnell wie in den vergangenen 20 Jahren. Wenn erst einmal der Höhepunkt der Schmelze überschritten ist, weil sich der Gletscher stark verkleinert hat, nimmt die Menge des Schmelzwassers ab. Das hat dem Bericht zufolge erhebliche Folgen für die Wasserversorgung, die in vielen Gebieten davon abhängt. Lange Phasen der Trockenheit können die Folge sein.

Müll im Weltraum

Das computergenerierte Bild der European Space Agency (ESA) zeigt Weltraummüll früherer Weltraummissionen, der neben intakten Satelliten um die Erde kreist. Foto: ESA/ESA//dpa

„Der Weltraum hat ein Müllproblem“, heißt es im Bericht. „Das kommt daher, dass Satelliten, die nicht mehr funktionieren, als Weltraummüll in der Erdumlaufbahn belassen werden.“ Da sich der Weltraummüll mit einer Geschwindigkeit von mehr als 25 000 Kilometern in der Stunde bewegt, kann auch schon ein kleines Schrottteil bei einer Kollision massiven Schaden verursachen und dadurch für noch mehr Weltraumschrott sorgen.

Die Internationale Raumstation und funktionstüchtige Satelliten müssten deshalb regelmäßig Ausweichmanöver vollführen. Der Bericht sieht das Risiko einer Kettenreaktion, wenn zwei große Objekte kollidieren sollten. Dies könne den Betrieb von Satelliten und die damit verbundene Wetterbeobachtung beeinträchtigen. „Hier müssten wir dringend über eine Regulierung nachdenken“, fordert Sebesvari. Sonst drohten wir unsere Weltraum-Infrastruktur zu zerstören.

Unerträgliche Hitze

Aufgerissen und ausgetrocknet ist eine Sandbank an der Niedrigwasser führenden Donau bei Mariaposching in Bayern. Foto: dpa/Armin Weigel

In einigen Regionen werden heute schon Temperaturen erreicht, bei denen Menschen kaum noch ohne Hilfsmittel für längere Zeit draußen bleiben können. Dies wird laut Bericht durch den Klimawandel in immer mehr Gebieten vorkommen. Kühlung durch Klimaanlagen und Ventilatoren können sich nur reiche Menschen leisten.

Zudem verzögern sie den Autoren zufolge nur den Zeitpunkt, an dem der Kipppunkt „unerträgliche Hitze“ für Menschen erreicht ist. Sie könnten sogar zur weiteren Erderwärmung beitragen, wenn sie mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, erklärt Sebesvari.

Verlust von Versicherbarkeit

Bagger reißen die 300 Jahre alte Nepomukbrücke im Ahrtal ab. Das Wahrzeichen von Rech wurde 2021 durch die Flutkatastrophe schwer beschädigt. Foto: dpa/Thomas Frey

Immer schwerwiegendere Katastrophen treiben die Kosten für Versicherungen hoch, bis sie irgendwann nicht mehr bezahlbar sind. Sobald dieser Punkt erreicht ist, haben die Menschen kein wirtschaftliches Sicherheitsnetz mehr.

Probleme verzögern statt bekämpfen

Das Braunkohlekraftwerk Lippendorf bei Leipzig. Foto: dpa/Jan Woitas

Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass sich die heute umgesetzten Lösungen eher auf eine Verzögerung der Kipppunkte konzentrieren als wirklich die Ursachen zu bekämpfen. „Unser Handeln ist zu sehr auf das Jetzt getrimmt“, kritisiert Sebesvari. „Die Optionen künftiger Generationen werden zu wenig berücksichtigt.“

Die Autoren nennen viele mögliche Verbesserungsschritte. Generell sei es nötig, die Bedürfnisse und das Wohlergehen der Natur besser zu achten und sie als globales System von zusammenhängenden Teilen zu sehen, „von denen wir Menschen nur eines sind“.

Info: Menschheit überfordert die Erde

Wie belastend ist die menschliche Zivilisation für die Erde?
Nicht nur die Klimawandel bedroht das Leben auf der Erde, sondern auch andere vom Menschen beeinflusste Entwicklungen. Dazu gehören etwa die knapper werdenden Süßwasserreserven, die Umweltverschmutzung und die Verringerung der Artenvielfalt (Biodiversität). Die Earth Commission, ein internationaler Zusammenschluss von Wissenschaftlern, hat nun sichere und gerechte Grenzen des Erdsystems benannt und in Zahlen gefasst. In ihrer Studie in der Fachzeitschrift „Nature“ schreibt die Gruppe um Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), dass sieben von acht sicheren und gerechten Grenzen bereits überschritten seien.

Wie belastend ist die menschliche Zivilisation für die Erde?
Aus Sicht der mehr als 40 Wissenschaftler gefährdet der Mensch mit seiner heutigen Lebensweise die Stabilität und Belastbarkeit des gesamten Planeten.

Biodiversität
Bei der Biodiversität zum Beispiel sehen die Studienautoren bereits zwei sichere und gerechte Grenzen überschritten: 50 bis 60 Prozent der Landfläche müssten naturbelassen sein oder nachhaltig bewirtschaftet werden, damit die natürlichen Leistungen der Ökosysteme wie Bestäubung, frisches Wasser und frische Luft erhalten bleiben. Derzeit treffe dies aber nur auf 45 bis 50 Prozent der Landfläche zu.

Klimawandel
Zum Tragen kommt das Gerechtigkeitskonzept auch beim Klimawandel: Während eine Erwärmung um 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter von den Wissenschaftlern noch als „sicher“ eingestuft wird, sehen sie die Erwärmung um maximal ein Grad als „gerecht“ an. Denn schon beim heutigen Stand seien mehrere zehn Millionen Menschen massiv vom Klimawandel betroffen, schreiben die Studienautoren. Diese Zahl werde sich mit jedem Zehntelgrad größerer Erwärmung drastisch erhöhen.

Menschheit benötigt zwei Planeten
Lebt die Menschheit unverändert weiter wie bisher, benötigt sie bis 2030 zwei Planeten, um den Bedarf an Nahrung und nachwachsenden Rohstoffen zu decken. Bis 2050 wären es knapp drei, prognostiziert der WWF in seinem jährlichen Umweltbericht. Zum Vergleich: 1961 benötigte die Menschheit nur zwei Drittel der zur Verfügung stehenden Ressourcen.

Wie lange wird das noch gut gehen?
Dass angesichts der begrenzten Ressourcen ein globales Umdenken und Umsteuern stattfinden muss, ist unbestritten. Die Frage ist, wo der Hebel zu einem ökologisch nachhaltigen Weltwirtschaftssystem ansetzen soll. Acht Milliarden Menschen – bis 2050 werden es vermutlich mehr als zehn Milliarden sein – mit den elementaren Dingen des Lebens zu versorgen.

Weltbevölkerung steigt
Auf der Erde wird es immer voller Weltbevölkerung steigt auf 8 MilliardenAuf der Erde wird es immer voller. „Unser System frisst sich selbst auf“