Die Kanzlerin hatte sich nach Angaben von Diplomaten oft sehr viel Zeit genommen, um auch kleinere Mitgliedstaaten bei gemeinsam mit Frankreich angestoßen Entscheidungsprozessen mitzunehmen. Scholz war dafür nicht bekannt, eher dafür, teilweise eher undiplomatisch und direkt seine Position vorzutragen.
Auch das Verhältnis des Kanzlers zu Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wird von Gipfelteilnehmern regelmäßig als schwierig und wenig konstruktiv beschrieben. Von einem starken "deutsch-französischen Motor" für europäische Projekte könne keine Rede sein, heißt es in Brüssel - auch wenn Scholz und Macron gerne das Gegenteil behaupteten.
Das Ampel-Aus weckt in Brüssel nun die Hoffnung, dass große EU-Projekte wie eine weitere Verschärfung des Asylsystems und die Aufstellung des nächsten langfristigen Gemeinschaftshaushalts deutlich früher angepackt werden können als gedacht.
Wegen der Streitigkeiten in der deutschen Regierung galt es als sehr wahrscheinlich, dass die zuständige EU-Kommission konkrete Vorschläge erst nach der nächsten Bundestagswahl macht - also nach ursprünglicher Erwartung erst im Spätherbst oder Winter des kommenden Jahres.
Im Fall von Neuwahlen könnten Schlüsselprojekte nun schon im Frühsommer angegangen werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kann zudem darauf hoffen, dass mit Friedrich Merz ein Parteifreund neuer Kanzler in Deutschland wird.
Vertrauensfrage fünf Tage vor Trump
Nach dem Scholz-Plan wird das aber noch eine Weile dauern. Er will die Vertrauensfrage nach jetzigem Stand erst am 15. Januar stellen - fünf Tage bevor Trump ins Weiße Haus zurückkehrt. Was dann passiert, weiß noch niemand. Aussetzung der Ukraine-Hilfe? Friedensgespräche mit Putin? Handelskrieg mit der EU? Wie verhält er sich gegenüber China?
Europa wird darauf reagieren müssen und mit Deutschland wäre das größte und bevölkerungsreichste Land mit einer Regierung ohne Rückhalt des Parlaments politisch nur noch bedingt handlungsfähig. Scholz würde dann tatsächlich als "lame duck" gelten und das Land hätte die heiße Wahlkampfphase vor sich.
Der wahrscheinlichste Wahltermin wäre der 30. März. Sollte Scholz die Wahl verlieren, könnte er nach Konstituierung des neuen Bundestags als dann nur noch geschäftsführender Kanzler wichtige Entscheidungen ohne Absprachen mit seinem Nachfolger gar nicht mehr treffen. So ist es jedenfalls üblich. Die Koalitionsverhandlungen könnten ein bis zwei Monate dauern oder auch noch länger. Dann landet man ganz schnell im Mai oder Juni.
Die Opposition macht deswegen Druck, den Termin vorzuziehen. Sie strebt den 19. Januar an, den Tag vor der Trump-Vereidigung. Am Ende des EU-Gipfels zeigte Scholz sich überraschend verhandlungsbereit. Gemeinsam mit einer Einigung im Bundestag darüber, welche Gesetze noch beschlossen werden sollen, könne man auch über den Termin für die Neuwahl sprechen. "Für mich ist das so, dass wir hier ein großes demokratisches Fest haben, und das gelingt am besten, wenn alle gemeinsam zur Party schreiten", sagte er.