Aktion der Wefa Bürgermeister für einen Tag

Daniela Löffler

Beschäftigte der Werkstatt für angepasste Arbeit (Wefa) in Hildburghausen haben ihren Arbeitsplatz für einen Tag mit Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt getauscht – auch mit dem Bürgermeister der Kreisstadt.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Sitzung mit dem Abteilungsleitern im Rathaus: Silvio Stärker (rechts) nimmt für einen Tag den Platz von Bürgermeister Patrick Hammerschmidt (2. von rechts) ein. Foto: Verena Müller

Flink bewegen sich die Hände von Holger Mathiebe über die kleinen Werkstoffteile, behände pult er die Kunststoffbeschichtung ab und legt die sauberen Gewindestöpsel in den Behälter. Seit drei Jahrzehnten arbeitet der 57-Jährige in der Werkstatt für angepasste Arbeit (Wefa), zunächst in Eisfeld, dann in der Hildburghäuser Bahnhofstraße, seit gut 14 Jahren auf dem Roten Hügel. „Er weiß, was er tut und ist sehr engagiert – nicht nur, was seine Arbeit hier betrifft, sondern auch im sozialen, zwischenmenschlichen Bereich“, bestätigt Werkstattleiter David Schubart.

Nach der Werbung weiterlesen

Sorgfältig begutachtet Holger Mathiebe seine Werkstücke und wechselt dann den Platz mit Julia Löhr, Assistentin der Fertigungsleitung der Firma Metob Beschichtungen in Hildburghausen. Es ist „S(ch)ichtwechsel“, eine deutschlandweite Aktion der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für Menschen mit Behinderung (BAG WfbM), bei dem Menschen mit und ohne Behinderungen in ganz Deutschland ihren Arbeitsplatz tauschen und so die jeweils andere Arbeitswelt kennenlernen. Für Löhr ein besonderes Erlebnis: „Respekt, wie Holger diese Arbeit bewältigt“, sagt sie anerkennend.

S(ch)ichtwechsel: Gemeinsam mit Werkstattleiter Schubart, Verena Müller vom begleitenden Dienst der Wefa Hildburghausen und dem an diesem Tage anwesenden Team des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) geht es zur Firma Metob gleich um die Ecke. Staunend sieht sich Holger Mathiebe um: So viele stählerne Teile, die entweder blank sind oder bereits beschichtet. Zaghaft probiert er aus, was Julia Löhr und Werksleiter Thomas Pfeufer ihm zeigen und erklären, wie beispielsweise Leisten, die minimale Fehler aufweisen, die die Mitarbeiter der Qualitätskontrolle ertasten und mit dem bloßen Auge finden müssen. Keine leichte Aufgabe, das merkt Mathiebe schnell. Doch bald hat er den Dreh raus, und an der Kiste mit „seinen“ Werkstoffteilen ist er wieder in seinem Element: „Jetzt passt’s!“, ruft er freudestrahlend aus.

Szenenwechsel: Hildburghausens Bürgermeister Patrick Hammerschmidt lässt sich von Silvio Stärker an einer Maschine für die Produktion von Zugankern für BMW-PKW einweisen, bevor er selbst Hand anlegen darf. „Mir ist es wichtig, den Blickwinkel eines Menschen mit Behinderung kennenzulernen“, betont der 39-Jährige, der den Aktionstag „S(ch)ichtwechsel“ als Auftakt für einen langen Dialog mit der Werkstatt und den Beschäftigten sieht. „Ich möchte mir vor Ort anschauen, wie die Arbeit hier in der Wefa funktioniert, wo es Probleme gibt, was den Menschen auf der Seele brennt.“ Laut Silvio Stärker habe der Bürgermeister seine Arbeit ganz gut gemacht, und aufseiten des Stadtoberhaupts waren die Eindrücke nachhaltig und eindeutig: „Ich habe hier nur ehrliche Menschen getroffen, die mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg halten. Und vor dem, was sie hier täglich leisten, haben sie von mir den größten Respekt.“

Aus der Werkstatt ins Rathaus

S(ch)ichtwechsel: Raus aus den Arbeitsklamotten, rein in den feinen Zwirn. Mit Jackett und Fliege begibt sich Silvio Stärker als „Bürgermeister für einen Tag“ gleich zum ersten Außentermin. Zusammen mit Verena Müller folgt er Patrick Hammerschmidt zur Theresienwiese, auf der das wichtigste Volksfest der Stadt stattfindet. Von Mitarbeitern des städtischen Bauhofs lässt er sich erklären, was für ein Fest dieser Größenordnung wichtig ist, worauf man achten muss und was bei der Organisation auf keinen Fall vergessen werden darf. Im Zelt bespricht er mit den Arbeitern, wie der Boden am besten ausgelegt wird, damit nicht passiert.

Ortswechsel: Silvio Stärker betritt das Hildburghäuser Rathaus, seinen temporären Arbeitsplatz. Kein leichtes Unterfangen, steht es doch mit der Zugänglichkeit zur Stadtverwaltung für Menschen mit Gehbehinderung nicht gerade zum Besten. Ein Anliegen, das viele seiner Kollegen umtreibt, denn Barrierefreiheit ist in der ganzen Stadt nur selten zu finden. Dessen sei er sich bewusst, erklärt Hammerschmidt und ergänzt: „Da gibt es tatsächlich so einige Stolpersteine. Bei Neubauten ist barrierefrei inzwischen Vorschrift. Bei den alten Gebäuden jedoch, von denen es hier noch ziemlich viele gibt, gestaltet sich die Umsetzung schwierig.“

Spannend wird es für Silvio Stärker, als alle Abteilungsleiter zur Sitzung mit dem vorübergehenden Bürgermeister und dem amtierenden zusammenkommen. Alle sind dieser Einladung gerne gefolgt und stellen sich den Fragen Stärkers zu verschiedenen Themen. Und davon hat er einige mitgebracht aus der Wefa, wollen doch auch seine Kollegen einiges aus dem Nähkästchen wissen, wenn Silvio schon mal Bürgermeister für einen Tag ist. Deshalb bringt er auch gleich das Hauptanliegen auf den Tisch: den Wunsch nach einem Freizeitpark in Hildburghausen. Gemeinsam besprechen alle Amtsleiter die Möglichkeit zur Umsetzung, erwägen Für und Wider sowie die finanziellen Fragen, kommen jedoch zu dem Schluss, dass es leider auf absehbare Zeit keinen Freizeitpark geben wird. Schade, findet Silvio Stärker und lässt sich weitere amtliche Abläufe und Sachverhalte erläutern, die auf die Mitarbeiter einer Stadtverwaltung zukommen, wie beispielsweise die wichtige Frage: Was ist eine Haushaltssperre und was bedeutet das für die Bürger einer Stadt oder Gemeinde?

Schlusspfiff: Ein anstrengender, aber sehr spannender Tag neigt sich dem Ende. „Ich ziehe den Hut vor unserem Bürgermeister“, resümiert Silvio Stärker. „Das ist echt ein schwieriger Job. Er muss überall präsent sein, viele Sachen koordinieren, damit nichts schiefläuft. Und im Stadtrat sitzen 24 Stadträte und nur ein Bürgermeister. Da gibt es so viele verschiedene Meinungen, und es kann schon ein Weilchen dauern, bis man sich geeinigt und eine Lösung gefunden hat“, berichtet er. „Allein dafür hat Patrick Hammerschmidt meinen größten Respekt.“

„S(ch)ichtwechsel“

Der Aktionstag
wurde von den Berliner Werkstätten und der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen Berlin entwickelt und bietet Menschen mit und ohne Behinderungen die Möglichkeit, für einen Tag ihren Arbeitsplatz zu tauschen. So lernen sie neue Perspektiven kennen und sorgen gemeinsam dafür, dass Offenheit und Vielfalt in der Arbeitswelt gestärkt werden. Die wenigsten Menschen haben eine Vorstellung von den Leistungen, die in den Werkstätten erbracht werden. Es existieren immer noch viele Klischees über Werkstätten und die dort arbeitenden Menschen mit Behinderungen. Beim Aktionstag „S(ch)ichtwechsel“ soll damit aufgeräumt werden.

In diesem Jahr
haben rund 240 Werkstätten aus allen Bundesländern daran teilgenommen, mehr als 1550 Werkstattbeschäftigte und knapp 1430 Mitarbeiter aus Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes und allen Bereichen haben ihre Arbeitsplätze miteinander getauscht. Über das verbindende Thema Arbeit schafft der Aktionstag Raum für neue Perspektiven und hilft, Vorurteile abzubauen.